Viele Stelleninserate enthalten völlig unrealistische Anforderungen. Und das wissen die Kandidaten natürlich. Aber wie kommen wir aus diesem Teufelskreis wieder heraus?
Wir haben uns daran gewöhnt, in Stelleninseraten die Anforderungen in Bezug auf Ausbildung, Erfahrungen und Fähigkeiten schamlos aufzubauschen. Und die Kandidaten bewerben sich deshalb auch dann, wenn sie nicht alle Kriterien erfüllen. Manchmal funktioniert es. Aber oft führt dies bei allen Betroffenen, also Recruitern, Linienvorgesetzten und Bewerbern, zu unnötigem Frust.
Aber wie wäre es, wenn wir Stelleninserate ohne Anforderungsliste veröffentlichen würden?
In dieser Folge der HR Today Minutes bespreche ich eine Idee von Gianni Raffi, die ich bereits in meinem Podcast zur Recruiting Convention 2015 erwähnte.
Podcast: Play in new window | Download | Embed
Subscribe: RSS
Alles fliesst. Vor allem die geforderten Sprachkenntnisse. Neu nicht „nur“ Deutsch (wenn man gewisse Stelleninserate liest, scheint Deutsch in der jüngsten Vergangenheit keine Anforderung gewesen zu sein…), sondern auch Englisch, Französisch, Italienisch und neuerdings Chinesisch und Serbisch. In Inseraten gefordert wurden stets zwei bis vier dieser Sprachen, fliessend oder verhandlungssicher. Und nein, ausgeschrieben waren keine Diplomaten- oder Übersetzerjobs, sondern simple HR-Generalisten-Jobs. Jaja, die Globalisierung. Tolle Sache. Aber unter 500 Millionen wird es schon den einen oder die eine geben, die das alles – und noch viel mehr (ja, HR-Kenntnisse etc. wurden auch gefordert) – mitbringt: eine Fachkraft. Eine dringend benötigte, ohne die es heutzutage ja gar nicht mehr geht.
Ok, vielleicht ist dann dafür das Deutsch halt nicht ganz so gut. Und die kulturelle Anpassung dauert etwas. Und die Tugenden, die (von Rückwärtsgewandten) mit der Schweiz noch gerne in Verbindung gebracht werden, sind vielleicht etwas unterdurchschnittlich ausgeprägt. Und, naja, nach einem Jahr ist der Söldner bzw. die Söldnerin ja dann auch schon wieder weg an einem anderen Kriegsschauplatz, äh, Stelle. Aber immerhin, das Englisch ist gut, soweit man es beurteilen und die Fachkraft es überhaupt anwenden konnte. Und günstig war sie, für die Unternehmung – nicht für die Volkswirtschaft. Aber egal. Wir denken ja lokal und rekrutieren global. Oder wie hiess das?
Es macht absolut Sinn, die Anforderungen so ins Stelleninserat zu schreiben, dass die Leserin bzw. der Leser erkennen kann, ob es vielleicht passen könnte. „Gute Englischkenntnisse“ heisst gar nichts. „Sie müssen fähig sein, Fachreferate auf Englisch zu halten und mit Ihrem Vorgesetzten, der in [you name it] residiert, sowie mit ihren polnischen/schwedischen/indischen/welschen Arbeitskollegen vor Ort, täglich mündlich und schriftlich zu kommunizieren.“ Es schadet gar nichts, wenn der Aufgabenbeschrieb mit den Anforderungen vermischt wird. So sollte klarer werden, a) was die Tätigkeit konkret beinhaltet und b) was man dafür können muss.
Und ja, es ist heute nunmal so, dass einem viele Unternehmen keine Chance geben, wenn man nur 90 % der Anforderungen erfüllt. Das war mal. Wir alle wissen: Es gibt die eierlegende Wollmilchsau – irgendwo draussen, vor unserer Landesgrenze.
Derzeit suche ich eine Stelle als „Quereinstieg“ und wenn ich mein mehrjähriges Knowhow (Personalvermittlung) der Erfüllung der geforderten Aufgaben lese, denke ich super das kenne ich und weiss wie zum Beispiel eine Personaladministration von A-Z zu händeln ist. Nachdem ich die Anforderung, die meist mit ca. 3 Jahren Berufserfahrung und gepaart mit einer Weiterbildung lese,“hängt der Kopf“ meist tiefer als zuvor.
Die Idee Anforderungen einmal aussenvor zu lassen und somit vielleicht auch grössere Chancen zur langfristigen Besetzung der Stellen zu schafen, dass wäre toll. Vielleicht die Idee eine Zusatzanforderung bei Einstellung. d.h. z.B. nach bestandener Probezeit den Besuch der Weiterbildung fordern. die Weiterbildung ist meist 1 Jahr oder mehr.
Für das Unternehmen ist die Besetzung der Stelle längerfristig gewährleistet, da der Mitarbeiter wirklich den Willen und das Wollen zeigen muss und das Einarbeiten von 6 Monaten sich sicher für das Unternehmen lohnt. Natürlich gäbe es da verschiedenste Ideen.
LG Manuela
Hallo Manuela
Ich finde deine Idee sehr spannend. Viele Arbeitgeber sehen bei Weiterbildungen vor allem die Kosten. Aber wie du sagst, es kann Mitarbeiter und Arbeitgeber aneinander binden und gibt beiden eine längerfristige Perspektive. Und eine Weiterbildung ist auch für die Mitarbeiter nicht ganz ohne (Kurse besuchen, lernen und sich auf Prüfungen vorbereiten, etc.).
Ich muss mir diese Idee noch etwas durch den Kopf gehen lassen ;-)
viele Grüsse
Etienne
Hallo Etienne
Da bin ich mit dir absolut einig. Natürlich sind die Kosten ab zu wägen und ein Risiko bleibt dennoch immer bestehen. Nur heute ist die stetige Weiterbildung für einen Mitarbeiter sehr wichtig und kann nicht mehr weggedacht werden.
Es gibt da wirklich sehr viele Punkte zu beachten. Jobs, die ohne eine Grundausbildung ein Laie nicht ausüben kann. Zeit während der Weiterbildung, die der Arbeitgeber wieder abdecken muss, dass kostet auch Geld ect. Dies wäre eine Diskusion mit pro und kontra, die endlos und je nach Unternehmen anders gewichtet werden müsste.
Nur das Ziel denke ich ist ja bei der Stellenbesetzung und der Inseratausschreibung bei allen gleich. Man sucht einen neuen Mitrabeiter von dem der Arbeitgeber langfristig profitieren kann.
Kann ein Arbeitgeber eine solche Chance bieten wird sich das auch rumsprechen und der Ruf eines Unternehmens positiv beeinflussen. Ein Inserat was ja heutzutage auch nicht mehr wiklich günstig ist zu veröffentlichen, bleibt für längere Zeit aus. Somit könnte auch eine hohe Fluktation vermieden werden. Alles Kosten, die eingespart werden könnten. Theoretisch gesprochen. Praktische Umsetztung nicht immer möglich – dass ist mir bewusst.
Für mich ein spannendes Thema. :-)
Danke!
Lg Manuela
Ich gebe Gianni recht. Ich war jetzt fünf Monate auf der Suche nach einem neuen Job. Es steht immer das gleiche in den Inseraten und das langweilt. Sie lesen ja auch nicht jeden Tag den gleichen Roman. Ein Stellen-Inserat, das anders daher kommt als die altgedienten, das würde bei mir auch den Blick auf die Firma schärfen. Wenn ich Recruter wäre, würde ich diesen Schritt auf jeden Fall wagen. Denn ohne es ausprobiert zu haben, können wir doch nicht sagen, wie das Resultat ausgefallen wäre.
Hallo Susanne
Vielen Dank für deinen Kommentar. Und es stimmt leider, dass in den meisten Inseraten immer wieder das gleiche steht. Und dein Beispiel mit dem Roman finde es cool ;-)
Vielleicht werde ich wirklich einmal ein solches Inserat ausprobieren. Mal schauen…
viele Grüsse
Etienne
*** Aber wie wäre es, wenn wir Stelleninserate ohne Anforderungsliste veröffentlichen würden? ***
Das ist doch eine gute Idee! – Eine Anzeige pro Kandidat/-in.
D.h. nur mit Aufgaben und Salär-Benchmark. Das wäre doch eine Innovation ;-)
Vermutlich ist dann eine Einbusse bei der Qualität der Bewerbungen zu erwarten. Den nebst den qualifizierten Bewerbern würden sich auch viele bewerben, die gerne die Aufgaben wahrnehmen würden aber die Erfahrung nicht mitbringen.
LG, Gianni
Lieber Gianni
Vielen Dank für deinen Input. Wir sind uns ja einig, dass ohne Anforderungsliste sich auch Leute bewerben würden, die den Job nicht ausführen können. Aber das geschieht ja auch jetzt schon mit Anforderungsliste.
Mit unserer Methode könnte es aber sein, dass die Leute sagen: Ich beherrsche alle Tätigkeiten ausser a und b. Und dann bleibt für uns die Frage, ob wir bei dieser Person das notwendige Potential sehen und sie trainieren können.
Ich freue mich jetzt schon auf unsere nächste Diskussion. Ist immer sehr spannend!
viele Grüsse
Etienne