Die Boomer-Brille

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Employer Branding hat eine notorische Schlagseite zur Jugendlichkeit. Im Wunsch, vom schrumpfenden Kuchen der neuen Talente ein möglichst grosses Stück abzubekommen, überschlagen sich manche Unternehmen in Karriere- und Zukunftsversprechungen. Das Durchschnittsalter der Beschäftigten liegt aber Mitte 40. Und viele Ü50 fragen sich: «Was ist eigentlich mit mir?» Ganz zu schweigen von denen Ü60, die sich eher auf ein Karriereende freuen. Muss das so sein? Setzen wir doch einmal die Boomer-Brille auf…

Aus dem Einzelhandel kennt man Alters-Simulationsanzüge. Sie schränken Beweglichkeit, Sichtfeld und Hörfähigkeit ein, kosten enorme Kraft und erschweren das Gehen und Greifen. Man fühlt sich dann ansatzweise so wie ein betagter Mensch. Damit will man will sich bei der Ladengestaltung besser auf eine stetig wachsende Zielgruppe einstellen – indem man in gewissem Sinne in ihre Haut schlüpft.

Was, wenn wir diesen Selbsttest-Gedanken mal aufs Employer Branding übertragen? Wenn wir uns einfach mal eine Boomer-Brille aufsetzen, und die eigene Kommunikation durch die Augen unserer bestehenden Mitarbeitenden jenseits den Altersgruppen 50 oder 60 betrachten. Was sehen wir dann? In den meisten Fällen sehen wir ein Employer Branding, das eine im Wesentlichen nach aussen gerichtete Kommunikation betreibt und fast ausschliesslich auf «junge» oder «neue» Talente fokussiert. Es ist natürlich nicht falsch daran, sich interessant zu verkaufen und sich ein wenig zu inszenieren. Allerdings beobachte ich zunehmend, wie der Bogen überspannt wird.

Karriere-Versprechungen

«Starte Deine Zukunft bei XY.» Eines der häufigsten Motive in der schlichten Personalwerbung ist das Karriereversprechen. Meist nicht mal in dieser literarischen Umschreibung, sondern sogar in der pauschalstmöglichen Aussage: «Mach Karriere bei MüllerMeierSchulze». Wie aber «macht» man Karriere? Hat man es selbst in der Hand? Kriegt man sie geschenkt? Ertrag ohne Aufwand? Ist diese «Karriere» eine Art Aufstiegsgarantie, regelmässige Beförderungen, regelmässig mehr Geld? Ruhm und Ehre für die «Generation Influencer»? Was würden Sie denn darunter verstehen? Und was denkt man mit Mitte 50 darüber und im Vergleich dazu über die eigene «Karriere»? War sie gut oder schlecht, war es überhaupt eine? Noch eine Gedankenumdrehung weiter: Welche beiden 55-Jährigen wird die 27-Jährige als erstes kennenlernen – so entsteht nämlich der Altersschnitt von Mitte 40! Mit welchen Wertevorstellungen, aber auch Erwartungen begegnen sich diese unterschiedlichen Generationen, welche Erwartungen wurden auf der einen Seite geweckt und auf der anderen vielleicht enttäuscht?

Aufbruch und Zukunft überall

Was mir ebenso häufig auffällt: Das Wording, die Tonalität und die Motive in der Ansprache der sogenannten Berufserfahrenen unterscheiden sich nicht wirklich von dem, wie man auf jüngere Zielgruppen zugeht. Zukunft überall. Auch mit 50 soll man ununterbrochen «durchstarten», «etwas bewegen wollen» oder «Innovationen schaffen». Das schafft umgekehrt eher zwiespältige Gefühle. Durch die Boomer-Brille geblickt frage ich mich: Wollen die mich überhaupt? Oder richtet sich das auch nur an Jüngere. Und falls die mich wollen – was wollen die eigentlich von mir? Warum glauben die, mir noch Geschichten über das Arbeitsleben erzählen zu können, wo ich seit fast 30 Jahren mit dabei bin. Wisst ihr nichts Besseres zu sagen?

Ich kenne eine ganze Menge Leute, die in ihrer Beschäftigung zufrieden sind. Warum? Weil man Ihnen dieses Gehabe erspart! Weil man sie einfach in Ruhe ihren Job machen lässt. Dann kommt auch etwas raus. Weil das Arbeitsumfeld genau nicht der künstlichen Dynamik der schlichten Personalwerbung entspricht, die oft genug nur planlose Hektik ist.

Bevor mir vollends schwindelig wird, setze ich die Boomer-Brille lieber wieder ab. Sie wäre jetzt zu haben. Setzen Sie sie doch einfach mal auf.

Post scriptum: Warum wollen eigentlich alle der Generation Z gefallen? Von denen gibt es viel zu wenige. Ist es nicht viel wichtiger, das Identifikationsangebot an die Älteren zu erneuern, damit sie länger bleiben?

1 comment for “Die Boomer-Brille

  1. 8. September 2023 um 10:45

    Das Thema spricht mir aus der Seele. Die nicht mehr ganz Jüngsten, man nenne sie locker die Boomer, haben einen grossen Erfahrungsschatz, sind krisenerprobt und ausdauernder. Ein paar technische Lücken mag man ihnen verzeihen, wenn sie beruflich nicht gerade genau diesen Teil abdecken müssen. Zwischen B wie Boomer und Z wie Generation Z kann es wunderbar funktionieren, sofern die Bereitschaft zur Zusammenarbeit da ist.

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