Das gute alte Motivationsschreiben – eine alte Diskussion neu entfacht

Print Friendly, PDF & Email

Selina Frei RecruitingKürzlich hatten wir für eine unserer Vakanzen zwei fast identische Motivationsschreiben in der Hand und das von zwei ziemlich unterschiedlichen Bewerbenden. Zufall? – Wohl kaum! Dahinter steckt mit grosser Wahrscheinlichkeit ChatGPT – ein Chatbot, der künstliche Intelligenz einsetzt, um zu kommunizieren oder, wie in diesem Fall, ein Schreiben zu verfassen. Damit entflammt eine alte Diskussion neu: sind Motivationsschreiben noch zeitgemäss?

Seien wir einmal ehrlich, niemand schreibt gerne Motivationsschreiben und viele Recruiter lesen sie auch nicht gerne oder nur dann, wenn der Lebenslauf als interessant eingestuft wird. Als Bewerbende frage ich mich, ob sich der Aufwand überhaupt lohnt. Und als Recruiter sträuben sich mir die Haare, während ich zum gefühlt tausendsten Mal den Satz lese: «Auf der Suche nach einer neuen Herausforderung bin ich auf Ihr Stelleninserat gestossen, auf welches ich mich hiermit gerne bewerbe.»

Natürlich gibt es Ausnahmen, jedoch sind die meisten Motivationsschreiben generisch, unkreativ und austauschbar. Von «Motivation» kann nicht die Rede sein. Wenn das Schreiben dann noch gespickt ist mit Schreib- und Grammatikfehlern oder gar mit einer falschen Anrede beginnt – und das kommt öfter vor als man denkt – dann tut man wirklich niemandem einen Gefallen.

Kann es KI besser?

Der Vorfall mit den fast identischen Motivationsschreiben hat mich im Kontext der vielen mangelhaften Schreiben, welche ich als Recruiter schon gelesen habe, neugierig gemacht: Kann es künstliche Intelligenz besser? Dazu habe ich mir ein Motivationsschreiben von ChatGPT verfassen lassen. Alles, was es dazu braucht, ist der Name des Unternehmens, das Stelleninserat und einige kurze Angaben zum eigenen Profil und schon macht sich der Chatbot ans Werk. Nach maximal fünf Minuten steht das Motivationsschreiben und das Resultat kann sich durchaus sehen lassen. In dieser kurzen Zeit entsteht ein Schreiben, welches zwar eher trocken formuliert ist und welchem es an Kreativität mangelt, welches aber sauber aufgebaut ist und die wichtigsten Inhalte auf den Punkt bringt – und das ohne Rechtschreibfehler und grammatikalisch korrekt! Das ist bereits mehr, als man von vielen «echten» Schreiben behaupten kann. Ich würde es zwar so noch nicht abschicken, sehe aber durchaus Potenzial drin, das Schreiben als Vorlage zu verwenden und ihm durch ein paar Anpassungen die noch notwendige Kreativität und den persönlichen Touch zu geben.

Die Sicht des Recruiting – braucht es das Motivationsschreiben noch?

Nun stecke ich aber aktuell nicht in der Haut der Stellensuchenden, sondern in jener des Recruiters. Wie gehe ich mit offensichtlich nicht eigenhändig verfassten Motivationsschreiben um? Ich persönlich nehme es ehrlicherweise gelassen. Das ist kein neues Phänomen. Das einzig Neue ist, dass statt einer (anderen) Person eine künstliche Intelligenz dahintersteckt. Gehe ich also mit einer Person ins Interview, spreche ich sie einfach darauf an und bin gespannt auf die Reaktion. Vielleicht ergibt sich daraus eine spannende Unterhaltung.
Bei uns hat der Vorfall der beiden fast identischen Schreiben und ChatGPT eine alte Diskussion neu entfacht: Sind Motivationsschreiben noch zeitgemäss? Da die meisten ohnehin austauschbar sind, stehe ich dem Wert dieser Schreiben schon länger skeptisch gegenüber. Sind wir mal ehrlich: wenn wir eine passende Bewerbung erhalten, welche Rolle spielt dann noch das Motivationsschreiben? Würden wir der vermeintlich passenden Besetzung für unsere seit Monaten offene Vakanz aufgrund eines schlechten Schreibens absagen? Ich glaube das können wir uns auf dem heutigen Arbeitsmarkt gar nicht mehr leisten. Und wenn das so ist, verlieren diese Schreiben wirklich mehr und mehr an Bedeutung.

Alternativen zum klassischen Motivationsschreiben

Immer mehr Unternehmen verlangen daher kein Anschreiben mehr, sondern lediglich einen Lebenslauf. Ob das der richtige Weg ist, darüber lässt sich streiten. Vielmehr bin ich der Meinung, dass wir die für eine Bewerbung verlangten Unterlagen oder Informationen auf unser Unternehmen und unsere Positionen anpassen sollten. Wenn zum Beispiel ein Content Creator gesucht wird, kann ein kreatives Bewerbungsvideo das richtige Format sein. Bei einem Softwareentwickler ein selbst geschriebener Code. Bei einem Projektleiter eine Beschreibung des erfolgreichsten Projektes. Oder es werden für jede Vakanz 2-3 spezifische Fragen gestellt, welche individuell zu beantworten sind, wie zum Beispiel: «Welches Projekt hat Sie in Ihrer Laufbahn besonders geprägt und warum?» Dabei sollten die Fragen so gewählt werden, dass die Antworten für uns als Recruiter relevant sind und bei der Selektion helfen.
Das sind nur einige Vorschläge und Gedanken, wie wir in Zukunft das Motivationsschreiben durch Formate und Inhalte ablösen können, welche der Diversität von Unternehmen und Vakanzen und der Individualität der Bewerbenden gerecht werden. Der Kreativität sind hier (fast) keine Grenzen gesetzt. Wir müssen einfach etwas mutiger werden.

4 comments for “Das gute alte Motivationsschreiben – eine alte Diskussion neu entfacht

  1. Mirjam Zindel
    19. Juni 2023 um 9:17

    Sehr geehrte Frau Frei,

    Mir gefällt der Ansatz der Alternativen zum klassischen Motivationsschreiben. Vielen Dank für diese Idee! Das werde ich bei den nächsten Stellenausschreibungen in meine Überlegungen miteinbeziehen.

  2. 17. Juni 2023 um 13:26

    Aus Kandidierenden-Sicht kann ein griffig verfasstes Motivationsschreiben sehr wohl das Zünglein an der Waage sein, ob sie oder er eingeladen wird. Hintergründe, Vorteile und Chancen, welche nicht in Form von Zertifikaten und Zeugnissen im CV abgebildet werden können, können im Anschreiben dargelegt werden.

  3. Krebs Heinz
    15. Juni 2023 um 14:31

    Guten Tag Frau Frei,

    Sie stellen in Ihrem Beitrag den Sinn und Zweck eines Motivationsschreibens bei Rekrutierungen in Frage. Auch wenn ich Ihre Ausführungen in weiten Teilen nachvollziehen kann und ich natürlich davon absehe, bei meiner Rekrutierungsarbeit alleine auf ein Motivationsschreiben abzustützen, so finde ich doch überzeugt, dass ein Motivationsschreiben auch heute noch Sinn macht.
    Aus Sicht der Bewerber ist es eine gute Möglichkeit zu zeigen, dass man sich mit der Wunschstelle und -Firma identifiziert und die Chance nimmt, zu zeigen warum man glaubt der/die richtige Person für die angebotene Stelle zu sein.
    Und aus Sicht Unternehmung gibt es mir eine erste Möglichkeit, die sich bewerbende Person zu «fühlen», wie sie sich beschreibt, was sie für Vorzüge glaubt zu haben die an dieser Stelle von Nutzen sein könnten usw. kurz, wie sie sich «verkauft». Was dann davon alles wahr ist, erfahre ich spätestens beim Studium des CV oder im Erstgespräch.
    Auch wenn in diesem Thema offenbar die KI immer mehr zum Einsatz gelangt, glaube ich dennoch, dass man als geübte/r Recruiter:in hier solche Elemente rausspürt.
    Bewerbungen ohne Motivationsschreiben riskieren bei mir, als «Minimalistendossier» Negativpunkte zu erhalten und letztlich bei der Vorselektion auszuscheiden. Schliesslich ist ein Entscheid für einen Jobeinstieg oder Jobwechsel nicht gleichzusetzen mit einer Auswahl eines Essens aus einer Speisekarte…

    Freundliche Grüsse
    Heinz Krebs

    • Selina Frei
      19. Juni 2023 um 14:53

      Vielen Dank, lieber Herr Krebs, für Ihre Gedanken zu meinem Artikel. Ich stimme vollkommen mit Ihnen überein, dass ein gut geschriebenes Motivationsschreiben, für das man sich Zeit nimmt, durchaus einen Mehrwert bieten kann. Meinen Erfahrungen nach liegt das Problem dieser Schreiben eher darin, dass die Qualität in den meisten Fällen sehr zu wünschen übrig lässt und das je länger je mehr. Daher können alternative Wege zum klassischen Schreiben meiner Meinung nach eine spannende Möglichkeit sein. Ich bin gespannt, wie sich diese Thematik in der Zukunft entwickelt…

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert