Wasser für das tote Pferd

HR-PraxisOder wie man mit «Employer Branding» fieberhaft versucht, dem Fachkräftemangel zu begegnen. Jede Zeit hat ihre Herausforderung, die Situation am Arbeitsmarkt gehört aktuell zweifellos dazu.

Man braucht nicht lange suchen, um in Netzwerken fündig zu werden. Zahlreich sind die Unternehmensfilme, in denen strahlende Gesichter uns am Arbeitsplatz entgegenwinken. Die Firma wird präsentiert, die schönen Büros, Mitarbeitende, die in der Homeoffice-Pause mit dem Hund spazieren gehen und glückliche Familien auf der Bergwanderung, die zeigen, dass der Arbeitgebende Wert auf Work-Life-Balance legt. Das also sind Massnahmen, die ein Unternehmen ergreifen kann, um die eigene Marke zu stärken, sich von potenziellen Mitbewerbenden abzuheben. Wirklich?

Als Dozent an einer Fachhochschule unterstütze ich junge Menschen, wenn es darum geht, im Berufsleben Fuss zu fassen. «Wenn ich die Bewerbung abgeschickt habe, kriege ich eine unpersönliche Eingangsbestätigung. Danach passiert meist mehrere Wochen nichts mehr.» Solche und ähnliche Aussagen höre ich bei knapp der Hälfte der Studierenden. In einem Coaching mit einem IT-Mitarbeitenden macht dieser seinem Frust Luft. «Als Zusatzaufgabe führe ich aktuell einen jungen Mitarbeitenden als Quereinsteiger in die Branche ein. Ist es gerecht, dass sein Einstiegslohn dreihundert Franken mehr beträgt als mein jetziges Gehalt?» In meiner Rolle als Seminarleiter frage ich die Teilnehmenden nach ihren Zielen für die Weiterbildung und möchte wissen, wie die Nachhaltigkeit dieses Anlasses im Betrieb gewährleistet ist. «Mein Chef wird morgen fragen, wo ich gewesen bin und sich weniger dafür interessieren, was heute war.» Dies eine Originalaussage einer Seminarteilnehmerin. Kürzlich beim Mittagessen erzählte mir eine Kollegin, wie sie nach ihrer Kündigung vom Umfeld kaum mehr beachtet wurde, man ihr das Gefühl vermittelte, eine Verräterin zu sein. Drei Wochen ist ihr Austritt her, auf das Abschlussgespräch hatte man aus Zeitgründen verzichtet, auf das Arbeitszeugnis wartet sie noch heute!

Lassen Sie das Pferd erst gar nicht sterben. Sorgen Sie gemeinsam mit Ihrer Führungscrew dafür, dass das «Employer Branding» zuerst im Inneren des Unternehmens wirkt!

  • Digitale Rekrutierungsprozesse erleichtern ohne Zweifel den Alltag. Sie entbinden aber nicht von der Professionalität, sich spätestens eine Woche nach Eingang von Unterlagen um die Kandidatinnen und Kandidaten zu kümmern!
  • Der Arbeitsmarkt verändert auch das Lohngefüge. Tappen Sie nicht in die Falle, wie sie die Telekommunikationsbranche immer wieder praktiziert, indem sie mit billigen Angeboten neue Kunden anlockt und die bestehenden frustriert. So fühlte sich nämlich der IT-Mitarbeitende. Suchen Sie Wege, die aktuellen Mitarbeitenden mit neuen Arbeitsmodellen zu halten (spezielle Möglichkeiten der Gewinnbeteiligung, Förderung des Unternehmertums, Übergabe von Projekten zur Steigerung der Eigenverantwortung etc.).
  • Wir fördern unsere Mitarbeitenden. Wer sich auf die Fahne schreibt, Menschen die Möglichkeit zu persönlicher und fachlicher Weiterbildung zu bieten, sollte diese in die unternehmerischen Ziele einbinden, Seminarthemen im Berufsalltag aufgreifen und die Teilnehmenden im Sinne der Nachhaltigkeit an den Fortschritten messen.
  • Mitarbeitende, die das Unternehmen verlassen, werden zu Meinungsträgern im Aussen. Die mediale Welt trägt ihre Botschaften rasch auf den Arbeitsmarkt. Positive, aber auch vor allem negative Erfahrungen werden geteilt und schädigen den Ruf des Unternehmens. Schliessen Sie Kündigungsprozesse so ab, dass Sie später nicht die Strassenseite wechseln müssen, wenn Ihnen ehemalige Mitarbeitende begegnen.

Vier Beispiele, vier Säulen die den «inneren Regulationsprozess» des Human Resources bestimmen. Mitarbeitende rekrutieren, halten, fördern und verabschieden.

Vier Schwerpunkte, welche die Unternehmenskultur wesentlich beeinflussen, den Kern des inneren «Employer Brandings» beleben.

Und doch wäre es zu einfach, wenn die Geschäftsleitung einfach auf das HR zeigt und all die Prozesse einfordert. Der Fachkräftemangel setzt ein Umdenken von ALLEN voraus. Nur wenn ALLE, hierarchieübergreifend, auch die Führungskräfte sich einbringen, jede und jeder an seinem Ort, werden sich Dinge verändern und mit dem lebenden Pferd kann ausgeritten werden.

Vielleicht sind in den Netzwerken auf einmal andere Filme zu sehen. Bilder, in denen Unternehmen die Wert- und Sinnhaftigkeit ihrer Tätigkeit in den Mittelpunkt stellen, die Kultur des Miteinander fokussieren und den Zuschauenden aufzeigen, was es bedeutet, Verantwortung und Selbständigkeit in der täglichen Arbeit zu leben!

Und am Ende muss auch niemand auf einen Hundespaziergang oder einen Familienausflug verzichten…

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