«Unconscious Biases» – unbewusste Denkfehler – machen uns oft das Leben schwer. Das Problem: Wir bemerken das nicht einmal. Das kann gerade im Recruiting zum Hindernis werden. 5 Biases und 5 Tipps.
Als Rekrutierende kennen wir sie und sind laufend mit ihnen konfrontiert: unbewusste Vorurteile, so genannte «Unconscious Biases». Wir stehen jeden Tag vor der Herausforderung, Bewerbende möglichst unvoreingenommen und objektiv zu beurteilen. Das ist einfacher gesagt als getan. Versteckte Denkmuster beeinflussen unbewusst selbst erfahrene Rekrutierende.
Warum «Unconscious Biases» relevant sind
«Unconscious Biases» auf Deutsch «unbewusste Vorurteile» sind automatische Denkfehler, die unsere Wahrnehmung und Bewertung von Bewerbenden im Rekrutierungsprozess beeinflussen. Sie entstehen durch persönliche Erfahrungen, kulturelle Hintergründe und gesellschaftliche Prägungen. Sie können dazu führen, dass wir talentierte Bewerbende übersehen oder falsch einschätzen. Neben einer eingeschränkten Diversität im Unternehmen kann es dadurch zu Fehlbesetzungen kommen, die langfristig negative Auswirkungen auf das Team und den Unternehmenserfolg haben können. Um eine möglichst objektive Beurteilung zu gewährleisten, ist es daher nötig, dass wir diese Biases systematisch hinterfragen und gezielt reduzieren.
Häufige Biases mit Beispielen aus dem Recruiting-Alltag
Ähnlichkeits-Bias (affinity bias)
Wir bevorzugen häufig Bewerbende, die uns in Interessen, Lebensstil oder akademischem Hintergrund ähneln. Beispiel: Wir lieben klassische Musik. Die Bewerbende spielt in ihrer Freizeit in einem klassischen Orchester Geige. Dadurch zeigen wir der Bewerbenden gegenüber übermässige Sympathie, auch wenn ihre fachlichen Kompetenzen weniger überzeugend sind.
Bestätigungsfehler (confirmation bias)
Hierbei interpretieren wir Informationen so, dass sie unsere bereits bestehenden Überzeugungen bestätigen. Beispiel: Eine Bewerbende hat ihren Masterabschluss an einer Elite-Universität mit hervorragenden Noten abgeschlossen, weshalb wir davon ausgehen, dass sie hoch qualifiziert ist. Diese Annahme bestätigt sich dann im Interview, weil wir gezielt auf diesen Aspekt fokussieren, um unseren Eindruck zu bestätigen, während wir andere Aspekte, wie zum Beispiel mangelnde Sozialkompetenz, dadurch unbewusst ignorieren.
Halo-Effekt (halo effect)
Ein Merkmal einer sich bewerbenden Person beeinflusst unsere gesamte Wahrnehmung der Person. Es besteht die Tendenz, dass wir von diesem einen Merkmal – positiv oder negativ – auf die Gesamtleistung der Person schliessen. Somit überstrahlt oder überschattet es den gewonnenen Gesamteindruck. Beispiel (Halo-Effekt): Die bewerbende Person hat hervorragende Kommunikationsfähigkeiten. So hinterlässt sie bei uns einen sehr positiven Eindruck, der andere Defizite überstrahlt.
Soziale Stereotypen (social bias)
Dazu gehören beispielsweise unbewusste Vorurteile basierend auf Alter, Geschlecht, kulturellem Hintergrund oder Religion. Beispiel: Wir schätzen eine junge Bewerbende als technikaffin und flexibel ein, während wir einer älteren Bewerbenden ein veraltetes Image und geringe Flexibilität zuschreiben, unabhängig von den tatsächlichen Kompetenzen und Eigenschaften.
Ankereffekt (anchoring bias)
Der erste Eindruck, den wir von Bewerbenden gewinnen, dominiert und wirkt wie ein Anker auf alle unsere folgenden Bewertungen. Beispiel: Eine Bewerbende erscheint pünktlich, professionell gekleidet und tritt äusserst souverän auf. Das führt dazu, dass durch diesen positiven ersten Eindruck spätere Kritikpunkte, beispielsweise fachliche Unsicherheiten, für uns in den Hintergrund rücken.
Wie wir «Unconscious Biases» reduzieren können
Klar definierte Kriterien und strukturiertes Bewerbungsverfahren: Im Voraus klar definierte Kriterien und ein standardisierter Interviewleitfaden stellen sicher, dass alle Bewerbenden dieselben Fragen beantworten müssen und nach den gleichen Kriterien beurteilt werden. Dadurch wird der Spielraum für subjektive Einflüsse reduziert. Zusätzlich helfen strukturierte Bewertungsraster dabei, die Kompetenzen und andere relevanten Aspekte nach der gleichen Skala zu beurteilen und damit vergleichbarer zu machen.
Schulung und Sensibilisierung: Regelmässige Trainings zu Diversity, Inklusion und den eigenen unbewussten Vorurteilen sind essenziell. Wenn wir uns unseren «Unconscious Biases» bewusst sind, können wir auch bewusster mit ihnen umgehen und sie reduzieren. Dazu können wir zum Beispiel Workshops und Reflexionsübungen implementieren. Auch kann es helfen, externe Fachpersonen hinzuzuziehen, welche einen wertvollen, neutralen Blick auf interne Prozesse bieten können.
Anonyme Bewerbungsunterlagen: Die Anonymisierung von Bewerbungsunterlagen ermöglicht es uns, schon bei der ersten Selektion einen unvoreingenommenen Blick auf die Qualifikationen der Bewerbenden zu werfen. So können wir beispielsweise Diskriminierung aufgrund von Geschlecht, Alter oder Herkunft reduzieren.
Reflexion von Bewerbungsprozessen: Eine systematische Reflexion nach jedem Bewerbungsprozess hilft uns, kritische Punkte zu identifizieren und kontinuierlich zu optimieren. Dabei trägt sowohl eine individuelle Reflexion als auch eine Reflexion im Team zu einem höheren Bewusstsein bei und erlaubt es uns, uns kontinuierlich zu verbessern.
Technologische Unterstützung: Der Einsatz von KI-gestützten Tools, die anhand von Algorithmen und Datenanalysen Bewerbende bewerten, kann unterstützend für uns wirken. Dabei dürfen wir aber nicht vergessen, dass auch Algorithmen voreingenommene Datenmuster übernehmen können. Wenn wir also solche Tools im Einsatz haben, müssen wir auch diese regelmässig überprüfen.
Unterm Strich
«Unconscious Biases» stellen eine allgegenwärtige Herausforderung für uns als Personen im Recruiting dar, selbst für die erfahrensten unter uns. Sie können unbewusst die Wahrnehmung und Bewertung von Bewerbenden verzerren. Angesichts der Bedeutung von Diversität und objektiver Entscheidungsfindung ist es daher essenziell, dass wir diesen Biases aktiv entgegenwirken. Durch strukturierte Prozesse, gezielte Schulungen, den Einsatz moderner Technologien und regelmässige Reflexion können wir nicht nur Fehlbesetzungen minimieren, sondern auch einen inklusiveren und faireren Einstellungsprozess gestalten.