So klappt es garantiert nicht: Eine Anleitung, wie Sie die besten Talente vergraulen

Inside HRManche Unternehmen haben noch nicht begriffen, dass sie die Fachkräfte, nach denen sie händeringend suchen, mit ihrem eigenen Verhalten wieder vertreiben. Als Beraterinnen und Berater erleben wir das immer wieder. Gerne teilen wir unseren Erfahrungsschatz: Hier sind die besten Tipps aus der Praxis, damit rare Fachkräfte ganz bestimmt nicht bei Ihnen arbeiten wollen.

«Es ist geradezu das Wesen der Fachkräfte, dass es einen Mangel gibt. Sie sind so knapp wie gute Lehrer, Managerinnen oder Verwaltungsräte», stellt Christoph Eisenring in seinem NZZ-Artikel «Das ewige Gejammer über den Fachkräftemangel» fest. Darum werden solche Talente besonders umgarnt und charmiert – könnte man meinen. Weit gefehlt, zeigt unser Berufsalltag. Manche Unternehmen scheinen den Ernst der Lage am Arbeitsmarkt (noch) nicht verinnerlicht zu haben.

Nachfolgend und abgeleitet aus unserer Praxis einige nicht ganz ernstgemeinte Empfehlungen an Arbeitgeber, wie es beim Gewinnen der raren Talente ganz bestimmt nicht funktioniert! Kleiner Tipp vorweg: Das Erste, was Sie verinnerlichen müssen, ist eine sture Grundhaltung. Zeigen Sie Kandidatinnen und Kandidaten gegenüber bloss keine Flexibilität, denn diese ist ein Eingeständnis von Schwäche und Ausdruck einer fehlenden Linie. Bleiben Sie immer auf Ihrem eingeschlagenen Kurs – koste es, was es wolle.

Regel Nummer 1: Salär

Halten Sie unter allen Umständen am definierten Maximalsalär fest und kommen Sie erst gar nicht auf die Idee, Ihre Lohnspanne grundsätzlich zu überdenken. Lassen Sie sich nicht beirren, wenn gute Kandidatinnen nicht zu finanziellen Abstrichen bereit sind – Sie sitzen am längeren Hebel.

Verzichten Sie stattdessen lieber konsequent auf diese unverschämten Bewerbenden, unabhängig vom Zeitdruck bei der Stellenbesetzung und davon, wie gering die Abweichung auch sein mag. Prinzip ist Prinzip.

Regel Nummer 2: Pensum

Die Stelle ist eine Vollzeitstelle. Punkt. Stellen Sie sich bloss mal vor: Wenn Sie für diesen Kandidaten eine Ausnahme machen, dann kommt bald die gesamte Belegschaft mit Teilzeitforderungen auf Sie zu – und ehe Sie es sich versehen, lottert Ihre ganze Firma auseinander.

Lassen Sie sich nicht von den Stimmen beeindrucken, die sagen, dass Teilzeitmitarbeitende motivierter und produktiver arbeiten – und ignorieren Sie Studien (zum Beispiel hier), die diese Tatsache belegen. Bleiben Sie also stur: So überzeugend die Favoritin für diese Stelle auch sein mag, ein 80-Prozent-Pensum gibt es nicht.

Regel Nummer 3: Arbeitsformen

Sie wollen Ihre Leute im Büro haben, damit Sie wissen, was diese den ganzen Tag tun. Klar geht es Ihnen nicht um Kontrolle, aber Ihnen liegt halt viel an einem geordneten Betrieb. Und der ist schlicht nicht möglich, wenn die Hälfte der Belegschaft im Homeoffice rumgammelt. Denn dann zerflattert das gesamte Teamgefüge und es bricht die Anarchie aus. Wir gratulieren! Sie haben offenbar verstanden, worauf es bei guter Führung ankommt.

Ignorieren Sie, wie gut Homeoffice während den Spitzenzeiten der Corona-Pandemie funktioniert hat. Ignorieren Sie die Trends und Entwicklungen der Arbeitswelt. Ignorieren Sie auch Nasen wie Stefan Camenzind (den berühmtesten Büro-Bauer der Schweiz), der in einem Interview mit der NZZ sagte, dass Homeoffice einfach eine Tatsache ist und dass die Unternehmen, die sich hier nicht anpassen, Mitarbeitende verlieren werden.

Also: Bei Ihnen gibt es KEIN Homeoffice. Nein, auch nicht einen Tag pro Woche. Pech für die Bewerberinnen und Bewerber, die sich hybride Arbeit wünschen.

Regel Nummer 4: Arbeitsbedingungen

In Ihrer Firma gibt es schon seit jeher die 45-Stunden-Woche und vier Wochen Ferien. Ausserdem legen Sie Wert auf flexible Präsenz bis um 20 Uhr, wenn es die Situation erfordert – und das kommt immer mal wieder vor. Auch über das Wochenende und in den Ferien sollen Ihre Leute erreichbar sein.

Wie bitte?! Das ist für die Bewerberin zu einschränkend? Dann ist sie eben die Falsche. Zeigen Sie ihr die Tür. Sie finden schon noch jemanden mit der richtigen Arbeitseinstellung!

Regel Nummer 5: Idealprofil

Stehen Sie in aller Offenheit dazu, dass Sie für die Assistentinnenstelle Männer ausschliessen, genauso wie Kandidatinnen unter 30 und über 50, dass Nicht-Schweizerinnen einfach nicht in Ihren Betrieb passen und dass Sie auf gar keinen Fall eine Assistentin wollen, die ihren vorherigen Job bereits nach einem Jahr verlassen hat, egal mit welcher Begründung. Für all das brauchen Sie sich weder zu erklären noch zu schämen. Weichen Sie Ihre Kriterien bloss nicht auf – schliesslich haben Sie ja Ihre einschlägigen Erfahrungen gemacht.

Regel Nummer 6: Zeit

Lassen Sie sich bei der Rekrutierung alle Zeit der Welt. Es ist doch klar, dass sich Bewerbungsgespräche über Wochen und Monate dahinziehen und mit immer neuen Terminen, Tests und Cases gespickt sind. Das gehört schliesslich zu einem fundierten, durchdachten Prozess. Unter Zeitdruck wurde noch nie ein guter Entscheid gefällt.

Lassen Sie sich nicht von Kandidatinnen hetzen, die sich angeblich bei einem anderen Arbeitgeber unter Zeitdruck befinden. Wer nicht will, hat gehabt – so einfach ist das!

Hier enden unsere augenzwinkernden Tipps. Was jetzt kommt, meinen wir ernst.

Bitte umdenken!

Manche Arbeitgeber scheinen in den Wind zu schlagen, was Christoph Eisenring in seinem Artikel über das Lamento des Fachkräftemangels ebenfalls feststellt: «Letztlich müssen sich aber die Firmen selbst anstrengen, um attraktiv zu bleiben.» Warum nur tun sie es nicht? Es entspräche doch dem gesunden Menschenverstand und den simplen Hebeln der Marktwirtschaft: Was rar ist, hat einen besonderen Wert. Und das gilt eben auch für Mitarbeitende … besonders für Mitarbeitende!

Denjenigen Arbeitgebern, die bisher nach unseren oben genannten sechs Tipps rekrutiert haben, raten wir dringend umzudenken. Der heutige Arbeitsmarkt ist ein hartes Pflaster – auch für fortschrittliche Arbeitgeber. Wer aber auf seinem eigenen sturen Kurs bleibt und keine Argumente, keine Anreize und keine strategischen Wettbewerbsvorteile vorzuweisen hat, wird einen hohen Preis bezahlen.

Es geht auch anders

Natürlich gibt es sie auch in unserem Beratungsalltag die einsichtigen, fortschrittlichen und grosszügigen Firmen. Da ist der Geschäftsführer, der seinem neuen Kadermitarbeiter salärmässig so weit entgegenkam, dass dieser jetzt mehr verdient als er selbst. Oder der CFO, der eigentlich eine Vollzeit-Assistentin suchte, sich dann aber für die beste Kandidatin mit einem 70-Prozent-Pensum entschied. Oder diejenigen Firmen, die ihren Mitarbeitenden weitgehende Selbstbestimmung punkto Arbeitsort zugestehen.

Unnötig festzustellen, dass die Rekrutierungsprozesse bei solchen Firmen ungleich schneller über die Bühne gehen, weil sie einfach die besseren Karten auf dem Arbeitsmarkt haben.

10 comments for “So klappt es garantiert nicht: Eine Anleitung, wie Sie die besten Talente vergraulen

  1. Manuela Buhl
    5. Mai 2022 um 10:49

    Liebe Frau Biland-Weckherlin

    Von welcher Art Stellen sprechen Sie? Das klingt so, als würden nur grosse Firmen Arbeitgeber sein? Ich würde mich sehr freuen, einmal aus einer anderen Sichtweise nämlich der Arbeitgebersicht eines KMU-Handwerksbetriebes etwas zu lesen. Ich bin mitten drin im Rekrutierungsprozess mittels Headhunter, er bewahrt mich noch vor dem Schlimmsten wie ich weiss, darum habe ich ihn jetzt dazwischengeschaltet.
    Motivationsschreiben sollen ja out werden. Also das einzige Dokument, das mir zeigen kann, ob die Person wirklich sattelfest in Rechtschreibung ist, oder zumindest so klug ist jemanden zu fragen, soll wegfallen. Warum? Scheinbar damit ich nicht beurteilen kann, wie viele Fehler in einer Offerte, einer Auftragsbestätigung oder einem Vertrag sein werden. Zeugnisse – und schon gar nicht Arbeitszeugnisse – sind keine verlässlichen Dokumente mehr.

    Fremdsprachenkenntnisse: Bei der Rekrutierung spreche ich die Bewerber in der von mir gesuchten Sprache an (und ich spreche von den Landessprachen Französisch und Italienisch) und erwarte dann auch eine Antwort in dieser Sprache. Unsere Kunden können nicht darauf warten, dass meine Sachbearbeiterin den Anfängerkurs in 4 Monaten durch hat, obwohl im Schulzeugnis ja eigentlich die Sprachfähigkeit bestätigt steht.

    Flexibilität: Wird vom Arbeitnehmer gefordert. Wir als KMU-Arbeitgeber sollen immer Freitag und Montag freigeben, damit die Arbeitnehmer lange Wochenenden machen können.

    Fahrausweise: Eigentlich normal sollte man denken, aber wieso bewirbt sich jemand ohne Fahrausweis für eine Stelle, bei der er täglich mit dem Firmenfahrzeug unterwegs sein muss?

    Krankheiten: Die Probezeit ist noch nicht vorbei und ich muss schon darauf aufmerksam machen, dass im ersten Arbeitsjahr die Lohnfortzahlung nur 3 Wochen geht.

    WhatsApp und Mobile Phone: Diese beiden sollten mit der Arbeitszeit-Messung verknüpft werden können. Morgens die Erlebnisse vom Vorabend erzählen und ab Mittag den Abend planen gehört eindeutig nicht in die Arbeitszeit.

    Umgang mit Fahrzeugen: Nagelneue Firmenfahrzeuge werden zum Posen und für Ausflüge benutzt, wo diese Fahrzeuge sich eigentlich nicht befinden dürften. Dumm, wenn die eingefahrenen Schäden der Versicherung mit Ort und Zeit gemeldet werden müssen, noch dümmer, wenn der Schadensverursacher die Ehefrau war.

    Arbeitszeit: Morgens im Büro erscheinen, um dann erstmal nach Hause zu fahren und den letzten Abend ausschlafen. Im Büro Bescheid geben, man fahre jetzt bei einem Kunden los und komme nicht mehr ins Büro, tatsächlich steht das Fahrzeug aber bereits daheim vor der Tür. Mittagspausen werden angeblich wegen zu viel Arbeit nicht gemacht, während die Kollegen das Mittagsschläfchen im Auto beobachten oder der Spruch: «Wer es nicht schafft, während seiner Arbeitszeit den Einkauf zu erledigen oder zum Coiffeur zu gehen, der hat nichts verstanden.»

    Ich könnte noch endlos so fortfahren. Meine Arbeitszeit ist aber erst dann beendet, wenn ich alle meine Aufgaben korrekt erledigt habe und nicht generell um 16:15 Uhr. In meinem Fall bedeutet das – nicht nur, aber auch – Bewerbungen sichten und solche herauspicken, die vielleicht ansatzweise die Anforderungen erfüllen (mit 70 % Erfüllung wäre ich schon glücklich), dann am Abend – in meiner Freizeit – Bewerbungsgespräche führen oder am Samstag, um dann zu hören, dass man nur mit dem Hund kommen würde, 2 Tage Homeoffice machen möchte (ich bin gespannt auf die ersten Erfahrungen der Handwerksbetriebe mit Homeoffice) um 07:00 Uhr nicht anfangen kann, weil der Weg zu weit ist, oder man keinen Fahrausweis hat und mit den Öffentlichen kommen muss, dass man pünktlich um 16:15 Uhr gehen muss wegen Stau, am Mittag eine Ruheecke braucht, wegen diverser Krankheiten das eine oder andere nicht machen kann, kein Wort von dem versteht was ich sage, weil die Freundin den Bewerbungsprozess geführt hat und nicht der Herr Bewerber selber.

    Ach köstlich die kleine Ruhepause, in der man Tipps für flexible Arbeitgeber bekommt…

    • 5. Mai 2022 um 16:40

      Liebe Frau Buhl

      Merci für Ihre Zuschrift und die Zeit, die Sie sich dafür genommen haben! Merci auch für das Teilen Ihrer Erfahrungen. Sie schildern die andere Seite der Medaille, die ebenso gehört werden sollte – jene aus Arbeitgebersicht. Ihre Erlebnisse aus der HR-Praxis klingen anstrengend. Das von mir geschilderte Verhalten gewisser Arbeitgeber ist gleichermassen stossend wie das Ihrer Kandidaten und Mitarbeitenden. Was klar fehlt ist die Empathie und der gegenseitige Respekt. Momentan sitzen Arbeitnehmer in gewissen Branchen am längeren Hebel… zuvor waren es die Arbeitgeber. Auch hier ist ein längerfristiges Umdenken angefragt, denn die Verhältnisse könnten wieder einmal kippen… Denken Sie auch?

  2. Karin Weimann
    3. Mai 2022 um 15:42

    Herzlichen Dank für diesen Artikel, habe ihn auch auf LinkedIn gepostet. :-)

  3. 28. April 2022 um 14:29

    Auf den Punkt gebracht! Ich würde noch ergänzen: Wenn dann die passende Person für die Stelle trotz der oben erwähnten Fehler gefunden wurde, lassen Sie sie während der Einarbeitungszeit möglichst alleine wurschteln, grüssen Sie sie möglichst selten, nehmen Sie sich als Vorgesetzte wenig Zeit, man hat ja Wichtiges zu tun und so viele Meetings. Ignorieren Sie weiterhin alle Erkenntnisse, welche belegen, dass Mitarbeitende sich vor allem eines wünschen: Wertschätzung und ein gutes Teamklima.

    • 2. Mai 2022 um 15:26

      Danke für Ihre weiterführende Fantasiereise nach erfolgter Anstellung! Sie hat mich amüsiert und … zum Inhalt eines Folge-Blogs motiviert! Ja, in den ersten Wochen und Monaten nach dem Eintritt kann man ebenfalls sehr viel unnötiges Geschirr verschlagen. Merci für die wunderbare Inspiration zu einem ebenfalls SEHR ergiebigen Thema.

  4. 28. April 2022 um 7:25

    Well done! Macht Spass zu lesen. Ergänzend würde es auch helfen, wenn sich Unternehmen mal ganzheitlich mit dem Thema Employer Branding befassen würden. Statt ein teures Video auf die Webseite zu stellen geht es um die hundert kleinen Dinge, die den Unterschied zu einem attraktiven Arbeitgeber machen.

    • 2. Mai 2022 um 15:32

      Ich freue mich immer wieder aufs Neue über Deinen spontanen Zuspruch – Merci! Du hast vollkommen Recht: Gelebtes Employer Branding ist halb so teuer wie jedes sterile Video, und doppelt so wirksam!

  5. Karola
    28. April 2022 um 7:16

    Und ganz besonders wichtig: Die Candidate Journey/Experience! Es wäre so einfach, als Unternehmen etwas Eindruck (und Werbung!) zu machen und die Bewerbungsphase persönlich und eindrucksvoll zu gestalten. HR und Recruiting sitzen noch immer in ihrem «Prinzessinnen-Turm», reden sich auf die Geschäftsleitungen aus, und schaffen es nicht, offene Jobs erfolgreich und nachhaltig zu besetzen. Entweder sind Jobs ewig ausgeschrieben oder nach kurzer Zeit wieder.
    Ich denke, dass es nicht an den passenden Bewerber*innen mangelt.

    • 2. Mai 2022 um 15:38

      Nein, an den passenden Bewerber*innen liegt es gewiss nicht…auch wenn der Markt wirklich ausgetrocknet ist. Wenn gewisse Personalabteilungen über mehr unternehmerisches Verständnis, Nähe zu den Mitarbeitenden und Realitätssinn verfügten, sähe die Sachlage schon ganz anders aus. Danke für den Kommentar!

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