Die KI lässt erstarren. Zeit für etwas Abstand und eine persönliche Gegenmeinung zu den viral gehegten naiven Träumereien. Fünf Einblicke in eine KI-Zukunft, in der ich nicht arbeiten möchte.
Ich möchte nicht in einer Zukunft arbeiten, in der es ein Business-Netzwerk gibt, in dem sich alle aufführen, als wären sie in den Hunger Games. Auf der Plattform versuchten alle, sich gegenseitig aus der Arena zu drängen – indem sie lauter schreien, häufiger posten, lieblos inflationär Herzchen verteilen und infantile Emojis auf alles kleben. Man genierte sich nicht, Werbung für digitale Akteure zu machen, deren Produkte die Demokratie unterwandern und die Zivilisation verdummen lassen. Um den Rhythmus des Netzwerks mithalten zu können, würde man die Maschinen bitten, Posts zu verfassen und Likes zu verteilen. Das Netzwerk selbst ginge vor die Hunde, statt um einzigartige Inhalte ginge es den Nutzerinnen und Nutzer nur um ihre Reputation. In dieser Zukunft müsste man, um den Dopaminpegel hochzuhalten, viertelstündlich überprüfen, ob was passiert ist. Die Hunger Games stören bis spät in die Nacht die innere Ruhe, die Erholung und den Gedankenfluss. Durchdachte Lösungen könnte man in dieser Arbeitswelt nicht mehr erwarten.
Ich möchte nicht in einer Zukunft arbeiten, in der die gesamte digitale Arbeitsumgebung zur synthetischen Plastikwelt degenerierte. Um Kosten zu sparen, würde man auf menschengemachte Illustratorinnen und Fotografen verzichten und stattdessen die KIs anweisen, das nötige Bildmaterial zu produzieren. Es entstünde eine normierte Bilderwelt voller Stereotypen und falscher Lachen, eine geglättete Kulisse ohne Emotionen, ohne kulturelle Vielfalt, ohne historische Anker. Den Bildern fehlte der Tiefgang, der durch Bildung und Lebenserfahrung entsteht. Ich möchte nicht in einer Arbeitswelt leben, in der alle Maschinen alle Texte verfassen und man sich wünschte Menschen würden öfters schweigen und überlegen, bevor sie in die digitale Weite posaunen. Hoffentlich werden die Menschen die Maschinen nicht nur nutzen, um lästige Arbeit loszuwerden. Wie schön wäre eine Zukunft, in der die Menschen KI nutzen, um präzisere Fragen zu stelle, blinde Flecken einzufärben, die Qualität ihrer Arbeit zu verbessern. Richtig benutzt, macht künstliche Intelligenz Wissensarbeit anstrengender nicht einfacher.
Ich möchte nicht in einer Zukunft arbeiten, in der Menschen so tun müssen, als würden sie arbeiten. Wäre es nicht eine absurde Vorstellung, wenn Mitarbeitende nicht zugeben dürften, wenn sie mit intelligenten Werkzeugen die gestellten Aufgaben im Bruchteil der vorgegebenen Zeit erledigen können? Würde ich als Selbständiger jemals auf die Idee kommen, eine Abkürzung nicht zu nutzen? Wäre ich nicht verrückt, wenn ich meinen Katzen vorspielte, dass ich arbeite – statt mit ihnen zu spielen oder einen erholsamen Spaziergang zu machen? Zeit ist die wertvollste Ressource der Menschen, der Mitarbeitenden. Arbeitgeber sollten ihnen ermöglichen, alle Werkzeuge zu nutzen, damit Zeit für Wertvolles frei wird – für die Erholung, zum kritischen Nachdenken, zum Lesen, für Qualitätszeit mit Kundinnen und Patientinnen. Das 21. Jahrhundert ist gefüllt mit spannenden und ineinander verflochtenen Herausforderungen, welche unsere volle Aufmerksamkeit, unsere Dialogbereitschaft, unsere Kreativität aber auch die schlaue Nutzung der künstlichen Intelligenzen bedingen.
Ich möchte nicht in einer Zukunft arbeiten, in der Wissensarbeitende nicht mehr lesen. Statt Bücher zu lesen, würden sie nur noch die Maschinen befragen. Sie würden vergessen, dass Bücher anders als Prompts mehrschichtig sind und von jeder Leserin anders interpretiert werden. Sie würden übersehen, dass die Antwort der Maschine immer eine Möglichkeit aber niemals die einzige Wahrheit ist. Das Buch wäre in dieser Zukunft ein elitäres Gut, das kaum noch jemand kauft – auch weil man sich nicht mehr mehrere Stunden für das Studieren eines Texts Zeit nimmt und dessen multiplen Ebenen und inneren Widersprüchen als Vorzug versteht. Wer liest, schärft sein Gedanken, findet neue Argumente und Beispiele und präzisiert seine eigenen, weitet seine Horizonte weiten. Richtig, das geht auch mit Prompts, aber die müssen verdammt gut sein. Bücher sind Abkürzungen, weil sie Zeugnis eines mehrjährigen Prozesses der Auseinandersetzung sind. Wer dagegen nur die Superabkürzungen der Maschinen liest, kürzt zu krass ab. Es drohen Oberflächlichkeit, Mittelmass, Verständnislosigkeit, schalldichte Echokammern.
Ich möchte nicht in einer Zukunft arbeiten, in der Menschen nicht mit Maschinen zusammenarbeiten wollen. So scheint es mir wenig zielführend, in der Prognose der Zukunft einzig auf menschliche Fähigkeiten zu vertrauen. KI beurteilt Entwicklungen rational, durchwühlt hunderte Datensätze und Gedankenströme. Sie antizipiert das Exponentielle mühelos. Umgekehrt sind Menschen bisher besser darin, Trendbrüche zu benennen und Geschichten zu erzählen. Wem gelingt es, die Mensch-Maschine-Symbiose als etwas positives und natürliches zu betrachten? Ich sehe auch keinen Grund, weshalb nur Menschen Menschen führen sollten. Wir alle hatten einen Chef, eine Chefin, die wir lieber nicht gehabt hätten. KI wird unsere Stärken präzise wertschätzen und zusammen mit uns an Verbesserungen arbeiten. Und nein, Wissensarbeit gehört nicht zwingend ins Büro. Ich möchte nicht in einer Zukunft leben, wo auch nur eine Minute über die Homeoffice-Thematik verschwendet wird. Es braucht den Austausch natürlich. Aber die KI unterstütze Wissensarbeit kann überall, auch im Wald und im Hühnergehege stattfinden.
Diese Zukunft ist die Gegenwart.