Führen auf Distanz – zwei Seiten einer Medaille

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HR-PraxisWas ist das für ein «Hype». Danke Corona: Endlich Homeoffice – auf einmal DIE viel gepriesene Veränderung der Arbeitswelt. Natürlich wird altes neues «New Work» zusammen mit der Digitalisierung einen Wandel einleiten. Beides wird uns im vernetzten Denken einiges abfordern, Arbeitsabläufe optimieren, aber auch vermehrt eine nie dagewesene Abhängigkeit vor Augen führen.

Kommt das Führen auf Distanz in Verbindung mit Homeoffice zur Sprache, geraten Kritiker sofort ins Kreuzfeuer der Befürwortenden und werden als rückständig verschrien. Diese Herausforderung nehme ich gerne an.

Zu Beginn zwei Fakten: In einer neuen Arbeitswelt ändern sich die grundsätzlichen Aufgaben der Führungskraft ebenso wenig wie die Grundbedürfnisse der Mitarbeitenden. Während Gewichtung, Umsetzung und Bedingung an die Tätigkeiten sich im Führungsprozess wandeln, bleiben Themen wie Vertrauen, Wertschätzung und soziale Bindung ein Grundbedürfnis im zwischenmenschlichen Austausch.

Vertrauen ist in erster Linie Beziehungsarbeit und lebt zu einem grossen Teil von der persönlichen Begegnung. Nur wenn es möglich ist, zu spüren, wo jemand steht, welche Bedürfnisse wichtig sind, gelingt spezifisches Fördern.

«Meine Mitarbeitenden leisten zuverlässige Arbeit», ist eine oft gehörte Aussage. Ausgezeichnet, wenn Vorgesetzte dies über ihre Mitarbeitenden sagen können. Doch Zuverlässigkeit sowie Pflichtbewusstsein sind lediglich Bestandteile auf dem Weg zur Vertrauensbildung und kann nicht darauf reduziert werden. Wenn Mitarbeitende mehr als zwei Tage im Homeoffice arbeiten, verändert sich die Qualität der sozialen Begegnungen. Dasselbe gilt für die gegenseitige Kommunikation mit Vorgesetzten. Interkulturelle Prozesse innerhalb der Teams können sich verändern, problematische Konstellationen sich verstärken aber auch unbemerkt den Einzelnen ausschliessen.

Homeoffice verlangt ein hohes Mass an Vertrauen seitens der Führungskräfte. Es geht darum, Mitarbeitende in der Selbstorganisation zu befähigen, Kompetenzen abzugeben und dabei wachsam zu bleiben, damit das psychische Wohlbefinden aller Beteiligten so gut wie möglich unterstützt werden kann.

Doch so einfach wird die Praxis nicht sein, wenn sich der Alltag wieder in den Büroetagen eingeschlichen hat: Wer auf jede der zehn folgenden Fragen eine passende Antwort hat, der ist auf die hybride Arbeitswelt bestens vorbereitet:

  • Homeoffice wird die Unternehmenskultur verändern. Wie und auf welche Weise wird das bei Ihnen sein? Welche Massnahmen treffen Sie als HR?
  • «Zuhause kann man effizienter arbeiten.» Wer zuhause schneller arbeitet macht folglich Minusstunden, da er in kürzerer Zeit mehr schafft. Wie wird die Zeiterfassung im Betrieb diesbezüglich geregelt?
  • «Die im Homeoffice haben mehr Lebensqualität», sagen die Mitarbeitenden im Betrieb. Wer im Büro arbeitet, muss täglich den Arbeitsweg auf sich nehmen. Das ist nicht gerecht. Wie beantworten Sie solche Aussagen?
  • Stabstellen und Frontmitarbeitende driften durch das Homeoffice noch mehr auseinander. Wie gelingt es Ihnen, diese Distanz klein zu halten?
  • In vielen Unternehmen ist IT ein rotes Tuch, Sündenbock für Vieles, wenn digital Probleme auftauchen. Wie stellen Sie eine optimale Dienstleistung sicher, deren Tätigkeit durch das Homeoffice immer weniger ein Gesicht haben?
  • Wie gelingt es Ihnen, neue Mitarbeitende in das Team und die Kultur des Unternehmens einzuführen?
  • Kommunikation in und ausser Haus verändert sich durch die neuen Arbeitsformen. Welche Schwerpunkte setzen Sie künftig?
  • Wie stellen Sie sicher, dass die Führungskräfte auch weiterhin und virtuell wertschätzend führen?
  • Wie beraten Sie die Vorgesetzten, wenn es darum geht, Mitarbeitende im Homeoffice zu kritisieren? Wie schafft man eine optimale Feedback-Kultur?
  • Das Unternehmen schlittert unter Umständen in eine Krise, Umsätze gehen zurück. Wie geht die Geschäftsleitung mit Mitarbeitenden im Homeoffice um?

Jede Art von «Hype» ist gefährlich. Durch die starke Polarisierung geht die «andere Seite der Medaille» verloren.

Die Zeiten sind spannend. Vielleicht sollte wir sie als Entwicklungsmöglichkeit aktiv nutzen und weniger als Umsturzbewegung verstehen.

4 comments for “Führen auf Distanz – zwei Seiten einer Medaille

  1. Edi Fässler
    30. Dezember 2021 um 9:02

    Sehr geehrter Herr Marthaler
    Vielen Dank für diesen treffenden Artikel. Er rückt den Hype um Homeoffice, Digitalisierung und neue Arbeitswelt ins richtige Licht. Themen wie Aufgaben der Führungskräfte, Bedürfnisse der Arbeitnehmenden und Beziehungsarbeit zur Vertrauensbildung sind Elemente, welche wichtig sind und Bestand haben. Wenn wir das anerkennen und danach handeln, sind wir bereit für die Zukunft. Und wir werden auf die gestellten Fragen passende und vor allem vernünftige Antworten finden.
    Danke für die wertvollen Gedanken und alles Gute für 2022.

    • 2. Januar 2022 um 15:46

      Lieber Edi
      Ich danke Ihnen herzlich für die wertvollen zusätzlichen Überlegungen. Auch Ihnen von allem nur das Beste im neuen Jahr.
      Liebe Grüsse Markus Marthaler

  2. Konrad Grabs
    23. Dezember 2021 um 10:46

    Lieber Markus

    Gratuliere dir sehr zu diesem absolut gelungenen Artikel.

    • 23. Dezember 2021 um 15:53

      Lieber Konrad
      Ich danke Dir – ein frohes Fest wünsche ich Dir!
      Liebe Grüsse
      Markus

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