Stellenanzeigen 2020: vergessen Sie das Gelernte!

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Employer-Branding«Nicht schon wieder!», mag sich die geneigte Leserin denken. «Dieses Thema hatten wir wahrlich schon genug.» Scheinbar nicht. Denn noch immer gibt es so viel Nonsens, der täglich aufgeschaltet und für den sogar noch Geld ausgegeben wird.

Beginnen wir vorne. Da, wo der erste grosse Bock geschossen wird: in der Ausbildung. Als Dozent für Personalmarketing hatte ich die Pflicht, meinen Studierenden die folgende, an der Abschlussprüfung erwartete, Regel beizubringen: man nehme das Anforderungsprofil, ergänze um die Stellenbeschreibung und würze es etwas mit Unternehmensbroschüre. Man beachte AIDA (attraction – interest – desire – action) und GIULIO (glaubwürdig – informativ – unverwechselbar – lesbar – interessant – optisch ansprechend) und fertig ist der Einheitsbrei. Ganz nebenbei bemerkt: Wenn wenigstens die Regel GIULIO wirklich ernst genommen würde, hätten wir schon bessere Resultate.

Ich appelliere an alle, diesen Quatsch endlich zu vergessen. Denken Sie neu, probieren Sie Neues aus. Ich sage das deshalb, weil:

1. … man einem Marketingleiter nicht in neun Bulletpoints zu erklären hat, was er/sie tun soll.
Dies gilt übrigens auch für 90% der restlichen Funktionen – egal ob man Metzger, Sanitär-Installateurin, Entwicklerin oder Forscher ist. In der Regel weiss die Zielgruppe, was mit dem Stellentitel gemeint ist. Dieser soll möglichst aussagekräftig und selbsterklärend sein. Hier bitte keine Versuche! Vertiefende oder ungewöhnliche Ergänzungen, um Spezifika darzustellen, darf und soll man durchaus einbringen.

2. … Anforderungsprofile für die Tonne sind.
Alle Arbeitgebenden suchen nach ähnlichen Muss- und Kann-Kriterien bei Kandidaten. Zumindest, was die Persönlichkeit betrifft. Selbst Ausbildungen sind austauschbar (und werden meines Erachtens als zu relevant wahrgenommen – Ausnahmen bestätigen die Regel). Natürlich: Erfahrung ist wichtig. Man sollte sich aber bewusst sein, dass die Forderung nach vielen Jahren Berufserfahrung womöglich Quereinsteigern den Eintritt verbaut. Und Ihnen entgeht so spannendes Potenzial, auf das Sie in Zukunft jedoch angewiesen sein werden.

3. … Ihr Corporate-«Blabla» einfach nicht aussagekräftig ist.

4. … die Schlusssequenz mit «Wir bieten» ganz einfach zum Heulen ist.
Denn wenn es das ist, was Sie in die Waagschale werfen können, um Talente zu holen, dann viel Spass mit dem Fachkräftemangel.

Ich weiss, es ist nicht trivial, das häufig einzige Instrument des Personalmarketings – das ist die Stellenanzeige für die allermeisten Unternehmen in der Schweiz tatsächlich – grundsätzlich neu zu denken. Ein leeres Blatt Papier zu befüllen braucht Inspiration, Musse, Können und Zeit. Meistens fehlt es gleich an allem. Und darum wird rezykliert und kopiert, was das Zeug hält. Grössere Unternehmen haben zudem Template-Vorgaben aus ihrem ATS (= Applicant Tracking System = Bewerbermanagementsystem), das ihnen zwar Effizienz bringt, oftmals aber Kreativität unterdrückt. Hauptsache, man hat eine Ausrede. Nur bringt Sie das nicht weiter.

Sie vergeuden wertvollen Platz mit überflüssigen oder nichts aussagenden Botschaften. Anstelle dessen könnten Sie:

1. … interessierten Menschen erzählen, weshalb Sie bei Ihnen arbeiten sollten.
Und bitte fallen Sie dabei nicht auf die Benefit-Falle herein. Sie werden sich nie über Vergünstigungen, Sozialleistungen oder Kicker-Tische positionieren können.

2. … relevante Informationen über Sie als Arbeitgeberin mitteilen.
Inhalte, die Menschen tatsächlich interessieren: Arbeitsplatz, Kollegen, Kultur, Besonderes halt. Videos können hier ungemein helfen.

3. … sagen, wer zu Ihnen passt und wer nicht. Was Ihre Erwartungen sind.
Wir wissen doch mittlerweile – oder lesen zumindest darüber – wie wichtig Kultur in einem Unternehmen ist. Weshalb erzählen Sie dann nicht darüber und lassen die Kandidatinnen entscheiden, ob sie sich in dieses Umfeld begeben möchten? Und ja: diese Aussagen dürfen und sollen polarisieren. Weil nicht jeder Mensch in jedes Umfeld passt.

Erzählen Sie in Ihren Anzeigen viel lieber eine passende Geschichte. Storytelling halt. In Worten, Bildern oder Videos. Seien Sie prägnant und ehrlich. Bringen Sie Ihre Unternehmensidentität ins Spiel und werden Sie aussagekräftig. Stecken Sie Herzblut rein. Lieber einen Aufsatz, der einen schmunzeln lässt als die nächste 0815-Stellenanzeige. Viele Kandidaten und ich werden Ihnen dankbar sein.

Übrigens geht es noch viel einfacher: Schalten Sie eine Kleinstanzeige nur mit Stellentitel, die Interessierte auf Ihre Karriereseite bringt. Vorausgesetzt natürlich, Sie haben (wenigstens) dort Ihre Hausaufgaben gemacht.

2 comments for “Stellenanzeigen 2020: vergessen Sie das Gelernte!

  1. Jasmin Denecke
    5. März 2020 um 21:35

    Hallo Herr Ganouchi
    ich bin da bei Ihnen, Einheitsbrei ist schrecklich eintönig. Allerdings zwingt uns heutzutage u.a. Google Jobs und das Crawling anderer Social Sites definierte Inhalte in Anzeigen aufzunehmen um ein einigermassen gutes Ranking zu erzielen bzw. mit der Anzeige mit verständlichem Content auf Jobportalen ausgespielt zu werden.
    Eine leere Anzeige würde hier sicherlich ins Leere laufen und ein Interessent hat bei der Vielzahl der Angebote vermutlich wenig Musse von Website zu Website zu surfen. Ich denke das Talent möchte eher schnell zu den, für sich wichtigen, Informationen gelangen…
    Trotzdem ist Umdenken wichtig, um sich in der Masse der Konkurrenz glaubhaft abzuheben. Da ist noch einiges möglich 😃
    Beste Grüsse
    Jasmin Denecke

    • 6. März 2020 um 12:19

      Liebe Frau Denecke
      Danke für Ihren Input. Das sind sehr valide Gedanken. Wir haben einen nicht ganz einfach auszutarierenden Zielkonflikt zw. Kanalabhängigkeiten und Selbstdarstellung. Reichweite vs. Aussagekraft. Evtl. auch Quantität vs. Qualität der möglichen Kandidaten? Die Prioritäten sind vermutlich individuell unterschiedlich. Passive Kandidaten erreiche ich ohnehin nicht über das Berücksichtigen von schemo.org (Google) und Crawler. Gerade für das Social Web sind vermutlich kreative Ansätze lohnenswerter.

      Herzliche Grüsse
      Michel Ganouchi

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