Was Firmen brauchen, wollen Bewerbende nicht

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In der Welt der Personalgewinnung treffen die Erwartungen der Fachkräfte auf die Ansprüche der Arbeitgeberinnen und Arbeitgeber. Besonders stark sieht man die verschiedenen Wünsche und Anforderungen im Bewerbungsprozess. Ein Balanceakt, welcher offene Kommunikation und viel Flexibilität erfordert – auch vom HR.

Paradigmenwechsel in der HR-Welt

Bewerbende betreten in der heutigen Zeit den Arbeitsmarkt mit klaren Vorstellungen und Erwartungen. Durch die Machtverschiebung hin zu einem Arbeitnehmermarkt können sie klare Ansprüche stellen. Diese fangen schon früh an – nämlich im Rekrutierungsprozess. Lange Wartezeiten auf Rückmeldungen der Firmen und komplizierte Bewerbungsprozesse können ein Killer-Kriterium sein und dafür sorgen, dass Bewerbende abspringen. Die Ansprüche stellen also nun die Bewerberinnen und Bewerber. Aber das ist uns allen doch längst bewusst! Die wichtigere Frage ist: Was bedeuten diese neuen Erwartungen für HR-Fachpersonen und Unternehmen im Rekrutierungsprozess? Im Folgenden beleuchte ich einige der heiss diskutierten Punkte etwas genauer.

Bewerbungsunterlagen: Was muss wirklich alles rein?

Von digitalen Bewerbungsprozessen, über Bewerbungs-Funnels, bis hin zu Quick-Bewerbungen – in der Welt der Rekrutierung gibt es kaum mehr etwas, was es nicht gibt. All diese Innovationen haben ein Ziel: Den Bewerbungsprozess für die Kandidatinnen und Kandidaten so einfach, schnell und unkompliziert wie möglich zu machen. Damit soll verhindert werden, dass sie abspringen. Für HR-Fachpersonen bedeutet das allerdings Kompromisse: Nämlich beispielsweise den Verzicht auf das Bewerbungsschreiben, einen vollständigen Lebenslauf oder alte Zeugnisse. Wie schwierig diese Umstellung vielen HR-Profis tatsächlich fällt, habe ich selbst gemerkt, als wir bei professional.ch einen neuen, viel nutzerfreundlicheren Bewerbungsprozess eingeführt haben. Was bei den Bewerbenden super ankommt, traf auf Unternehmensseite teilweise auf Skepsis.

Mein Tipp: Wenn Dokumente wegen der modernen Bewerbungswege fehlen, dann fordern Sie diese einfach etwas später direkt bei den ausgewählten Top-Talenten ein. So kommen Sie an die vollständigen Unterlagen, verhindern aber dennoch, dass Sie spannende Bewerberinnen und Bewerber schon im Bewerbungsprozess verlieren.

Das Bewerbungsschreiben: längst veraltet oder essenziell?

Das Bewerbungsschreiben war lange Zeit ein zentrales Element der Bewerbungsunterlagen. Während die Kandidatinnen und Kandidaten es heutzutage oftmals für eine zeitraubende, nervige Angelegenheit halten, höre ich von vielen Unternehmen, dass sie dennoch darauf pochen. Das häufigste Argument: Das Bewerbungsschreiben zeige die echte Motivation der Talente auf, was unerlässlich sei.

Meine Meinung: Durch die künstliche Intelligenz hat sich die Aussagekraft solcher Schreiben massgeblich verändert. Denn wie persönlich können standardisierte Motivationsfloskeln schon sein, wenn diese von ChatGPT und Co. verfasst wurden? Damit wird das Argument, dass ein Bewerbungsschreiben die Motivation der Bewerbenden aufzeigt, hinfällig. Anstelle eines Bewerbungsschreibens sollten daher eher Bewerbungsvideos oder individuelle, auf das Unternehmen und auf die Stelle angepasste Bewerbungsfragen eingesetzt werden. Meiner Erfahrung nach gibt oftmals auch schon ein spontanes, unverbindliches Telefongespräch einen guten Überblick über die Motivation des Gegenübers. So gelingt es einem, den Wünschen der Fachkräfte gerecht zu werden und dennoch einen Einblick in die Motivation der Bewerbenden zu erhalten.

Mit individuellen Fragen kann das Unternehmen mehr über den Bewerber oder die Bewerberin herausfinden, was das Bewerbungsschreiben hinfällig macht. Beispiel eines Funnels beim Bewerben auf eine Stelle bei professional.ch.

Persönliche Angaben: zwischen Transparenz und Diskriminierung

Sensibilisierung ist heutzutage wichtiger denn je, auch in der Personalgewinnung. Viele Kandidaten und Kandidatinnen möchten nicht mehr freiwillig Daten wie ihr Alter oder die Nationalität angeben – aus Angst vor Diskiminierung. In vielen Ländern, beispielsweise den USA, ist es tatsächlich schon Gang und Gäbe, dass diese Informationen nur auf Nachfrage eingereicht werden. Auch in Deutschland wird bereits oft auf das Bewerbungsfoto verzichtet. Einige Informationen sind aber doch wichtig zu wissen – beispielsweise das Alter für die bevorstehende Lohnplanung.

Was also tun? Auch hier ist es oftmals hilfreich direkten Kontakt mit der jeweiligen Person aufzunehmen, um so die Angst vor Diskriminierung zu eliminieren und transparent zu erklären, weshalb jene Daten für den weiteren Bewerbungsprozess notwendig sind.

Heutzutage ist es also mehr denn je die Aufgabe von HR-Profis, zwei Welten zusammenzubringen. Es geht darum, sich den Bewerberinnen und Bewerbern anzupassen und dabei die internen Bedürfnisse und die Effektivität zu wahren. Das ist eine Kunst! Sich gegen Digitalisierung und Anpassungen zu wehren ist kontraproduktiv. Immer sofort auf jeden Trend aufzuspringen, aber auch.

Es handelt sich also wie so oft um einen Balanceakt. Durch klare Kommunikation, Respekt und nutzerfreundliche Bewerbungsprozesse, kann sichergestellt werden, dass die Wünsche der Kandidatinnen und Kandidaten sowie die eigenen berücksichtigt werden, was schlussendlich zum Rekrutierungserfolg führt.

1 comment for “Was Firmen brauchen, wollen Bewerbende nicht

  1. 2. November 2023 um 14:09

    Wir verzichten als Rekrutierungsagentur schon seit längerem auf Bewerbungsschreiben von Kandidaten. Seien wir ehrlich, wie oft legen wir das Bewerbungsschreiben ungesehen zur Seite, um direkt den CV anzuschauen… Der Lebenslauf und ein allfälliges erstes Gespräch / Telefonat ist um ein Vielfaches aussagekräftiger als nichtssagende Floskeln und Selbstlobereien im Bewerbungsschreiben.

    Wir haben damit nur gute Erfahrungen gemacht und können das allen HR Fachkräften sehr empfehlen!

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