Ü50: Welches sind denn die wirklichen Herausforderungen?

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PersonalmarketingArbeitsmarkt- und Kommunikationsexpertin, Führungskraft und Beraterin, das ist mein individuelles Personalmarketing, mein «Branding». Aus diesen verschiedenen Blickwinkeln kann und möchte ich das allgegenwärtige Thema «50+» beleuchten. Zwei unterschiedliche Treffen mit über 50-Jährigen am gleichen Tag motivierten mich zu diesem ersten Blog-Beitrag.

Verschiedenste Studien zum Thema Arbeitsmarkt Ü50 sind im Umlauf. Das Thema ist nicht nur in den Medien allgegenwärtig. Auf Netzwerkanlässen, bei Gesprächen mit Arbeitnehmenden und -gebenden werden wir mit verschiedensten Aspekten konfrontiert: positive, nachdenkliche, resignierte und frustrierte Stimmen erreichen mich.

An diesem Tag traf ich einen ehemaligen Coachee, 55jährig, der sich selbstbewusst im Markt und in seinem Netzwerk bewegt und in den letzten beiden Jahren verschiedenste Job-Angebote auf dem Tisch hatte. Er strahlt Agilität aus, zeigt grosse Leidenschaft für seine Arbeit und ist sich seiner Kompetenzen und Möglichkeiten voll bewusst. Seiner Meinung nach sind «agile Denkweisen», das Bewusstsein der eigenen Kompetenzen, die Passion für ein Thema, Kommunikationsgeschick und die Steuerung des Netzwerks das Erfolgsgeheimnis, um als 50+ auf dem Arbeitsmarkt erfolgreich zu sein.

Zurück im Büro beriet ich einen 51-Jährigen, der seit einigen Monaten vergeblich versuchte, eine neue Stelle zu finden. Seine Strategie hat er während den letzten Monaten aber nicht angepasst. Warum? «Ich bin 50+. Ich habe ja eh keine Chancen mehr», sagte er mir.

Die Fakten zum Markt

Verschiedene Profile, verschiedene Industrien, verschiedene Rollen, verschiedene Energien. Diese beiden Beispiele zeigen mehr als deutlich auf, dass die Herausforderungen nicht für alle gleich sind und die Thematik 50+ nicht in eine einzige Schublade passt. Fakt aber ist:

  • Die Kündigungsquote liegt bei den Ü50 mit 31% (2019) im Durchschnitt. Bei den 40-50-Jährigen ist die Quote mit 42% viel höher, obwohl sie einen kleineren Anteil der Beschäftigung ausmachen. Damit kann widerlegt werden, dass Ü50 bei Kündigungen diskriminiert werden.
  • Die Stellensuche der Ü50 hingegen dauert mit 7,8 Monaten im Durchschnitt wesentlich länger als bei den anderen Altersgruppen. Sie liegt bei den 40-50-Jährigen bei (nur) 5,8 Monaten. Die Varianz ist hier indes sehr gross. Es gibt viele Ü50, die in weniger als 5 Monaten eine neue Stelle finden, während einige bis 12 Monate oder noch länger brauchen.*

Was sind die Herausforderungen der Ü50 im Arbeitsmarkt?

… aus der Sicht des Beraters

1. Gleiche Job-Bezeichnung, aber veränderte Anforderungen
50+-Stellensuchende, die viele Jahre in der gleichen Funktion gearbeitet haben, bewerben sich oft auf ebendiese Positionen. Was meist nicht beachtet wird ist, dass die Job-Bezeichnung meist gleich gelieben ist, sich jedoch die Inhalte und die Anforderungen verändert haben. Zudem bringen sie vorgespurte Lebensläufe mit, die schwieriger an die Anforderungen der agilen Arbeitswelt adaptierbar sind.

2. Bewerbungs-Strategie, Kommunikation und Motivation
Ü50 sind es häufig nicht mehr gewohnt sich zu bewerben, zu netzwerken und sich zu verkaufen. Sie kennen die Suchkanäle nicht und stehen einem Strategie-Wechsel eher träge gegenüber. Es lohnt sich also, in einem ersten Schritt eine Standortbestimmung der eigenen Kompetenzen zu erstellen. In einem nächsten Schritt zu prüfen, welche Kompetenzen neu für welche Positionen relevant sind. Drittens gilt es dann mit den richtigen Kommunikationsmassnahmen das Netzwerk und die Recruiter vom Auftritt zu überzeugen – dies mit agiler Denkweise und grosser Leidenschaft.

… aus Sicht der Ü50-Stellensuchenden

Wenn ich mich mit Ü50-Stellensuchenden unterhalte, sehen sie die folgenden Punkte als grosse Herausforderung:

3. Heutige Rekrutierung ist nicht Ü50-freundlich
In der heutigen Zeit gilt es die Suchstrategie auf möglichst viele Kanäle auszuweiten. Mittlerweile werden viele Stellen in den Sozialen Medien ausgeschrieben, auf Unternehmens-Websites gepostet, über Mitarbeitende gestreut. Oft erfolgt die Rekrutierung über ein Online-Bewerbungsportal.

Die meisten Ü50-Jährigen haben sich in den letzten Jahre innerhalb des Unternehmens wenig mit den sozialen Netzwerken und den «neuen» Kommunikationsformen auseinandergesetzt. Ihre Anlauf- und «Lernzeit» dauert entsprechend länger, somit auch die Suchdauer. Hinzu kommt, dass Ü50 meist zuerst herkömmliche Suchstrategien wählen, bevor sie sich auf «Experimente» einlassen.

Auch die Stellenmeldeplicht zeigt ihre Wirkung: 2019 wurden signifikant mehr Stellen öffentlich ausgeschrieben als in den Vorjahren. Hier profitieren jedoch eher jüngere Arbeitnehmende. Über persönliche Kontakte wurden lediglich 33% (Vorjahr: 41%) der Positionen besetzt. Der erfolgreichste Suchkanal für Ü50 ist und bleibt weiterhin der verdeckte Arbeitsmarkt mit der Möglichkeit, direkt vor Ort zu überzeugen.

Wer aber kann ein «gutes und intaktes» Netzwerk vorweisen? Wer weiss in Netzwerk-Gesprächen zu überzeugen? Und wer bringt genügend Geduld und Zeit mit abzuwarten, dass sich aus Netzwerk-Gesprächen eine Job-Option ergibt?

4. Wie kommuniziere ich die Bereitschaft eines Lohnrückgangs und meine Agilität glaubhaft?
Mit dieser Frage werde ich in Trainings und Interview-Vorbereitungen oft konfrontiert. Viele Ü50-Stellensuchende sind durchaus bereit, einen Lohnrückgang in Kauf zu nehmen. Doch wie kann ich dies glaubhaft kommunizieren? Auch werden die heutigen neuen «Skills» wie Agility, Digital Native und Adaptability eher jüngeren Mitarbeitenden zugeschrieben. Dies muss nicht unbedingt zutreffen. Wie kann ich hier überzeugen?

Einfluss auf Personalmarketing

Diese Herausforderungen zeigen auf, dass ein Umdenken aller Beteiligten zwingend nötig ist. Für Ü50-Stellensuchende gilt es, sich der eigenen Kompetenzen bewusst zu sein, kommunikativ fit und agil zu werden, das Netzwerk auszubauen und regelmässig zu pflegen und verschiedene Suchstrategien zu entwickeln.

Unternehmen sollten auch in Zeiten von digitalen Tools, Agilität und Social Networking, die Qualität nicht aus den Augen verlieren. Ausserdem gilt es, das interne Potenzial ständig weiterzuentwickeln, damit Agility, Adaptability und Weiterentwicklung auch intern gelebt werden kann.

Ich bin gespannt auf Ihre Eindrücke, Ihre Herausforderungen und freue mich über jede (Erfolgs-) Geschichte.

*Quelle: Von Rundstedt Arbeitsmarktbarometer 1/2020

Anmerkung der Redaktion: Dies ist der erste Beitrag von Sibylle Scheiwiller. Herzlich Willkommen im HR Today Blogger*innen-Team!

5 comments for “Ü50: Welches sind denn die wirklichen Herausforderungen?

  1. 2. April 2020 um 15:28

    Aus meiner Sicht besteht die Hauptproblematik darin, dass überhaupt ein «Problemfeld Ü50» gebildet wird – und sich dann auch eine ganze Beratungsindustrie darauf stürzt. Je mehr zu diesem Thema geschrieben wird, desto fester etabliert sich die Meinung, dass diese alten Knacker über 50 tatsächlich ein Problem für die Arbeitswelt darstellen und man da etwas machen müsse.
    Tatsächlich erlebe ich Menschen über der magischen Grenze ganz unterschiedlich. Sicher gibt es diejenigen, die in diesem Artikel beschrieben werden. Aber viel mehr erlebe ich sie als engagiert, weitergebildet, agil, interessiert – und mit einer guten Portion Lebenserfahrung. Mit Lebenserfahrung tun sich Vorgesetzte allerdings oft schwer.
    Aus meiner Erfahrung ist der Hauptteil des Problems auf Seiten des Gesetzgebers und der Arbeitgeber, insbesondere der oft «netten» Menschen in Personalabteilungen, die meinen, sich profilieren zu müssen, indem sie auf das Geburtsdatum und die Schulabschlüsse achten und auf dieser Basis möglichst billig einkaufen. Und der Gesetzgeber sollte die Sozialversicherungen endlich so gestalten, dass sie altersunabhängig sind. Und das im Rentenalter auch tatsächlich noch was da ist. Aber das ist ein anderes Thema.

  2. Nicole Mignaval
    30. März 2020 um 14:46

    Liebe Sibylle, toller Artikel, Danke!
    Selber bin ich Ü50 und seit einiger Zeit auf Stellensuche. Was ich bei der Stellensuche als herausfordernd empfinde, ist nicht mein Alter oder die U50-Konkurrenz. Es ist mein Wunsch die letzten zehn Arbeitsjahre (evtl. auch länger…) etwas Sinnvolles und Interessantes zu machen. Agility, Adaptability und Weiterentwicklung habe ich mit mehrjährigem Auslandaufenthalt, diversen Weiterbildungen und Arbeitgebern in verschiedenen Branchen gezeigt. Dies glaubhaft zu vermitteln ist mitunter die Hauptherausforderung.
    Dass dafür neue Wege der Jobsuche nötig sind, glaube ich auch. Der Elevator Pitch, den ich gemacht habe, war eine gute Übung. Dies bezüglich Selbstmarketing und was es beim nächsten Interview in punkto Körperhaltung, Stimme und Gestik zu beachten gilt.

    • 31. März 2020 um 19:49

      Liebe Nicole, vielen herzlichen Dank für deinen Kommentar.
      Diesen Wunsch nach einer «sinnvollen» Tätigkeit, nach einer Nachhaltigkeit kenne ich aus vielen Beratungsgesprächen. Das Karrieredenken steht nicht mehr zwingend an erster Stelle. Wichtiger sind Jobinhalte, Unternehmenskultur, Balance und eben die Motivation. Oft beobachte ich auch, dass die «Suche nach dem Sinnvollen» zuerst im Vordergrund steht. Was kann ich denn mit meinem Profil Gutes bewirken? Und hier empfehle ich anzusetzen: Wenn wir wissen, was wir wollen und was uns motiviert, dann hat diese Erkenntnis einen grossen Einfluss auf unsere Kommunikation. Der 90-Sekunden-Spot, wie du ihn erwähnst, wird dann so richtig leben. Wir senden ja mit Inhalt, Gestik und Stimme. Der Inhalt macht den kleinsten Anteil aus.
      Wenn ich mich beobachte, wie ich über meinen Job spreche, dann kann ich selber die Zufriedenheit und den Drive spüren.

  3. 27. März 2020 um 10:36

    Sehr treffend beschrieben! Ich gebe Bewerbungskurse und der grosse Unterschied macht für mich die Persönlichkeit aus – und dies übrigens nicht nur bei den ü50. Es gibt solche, die suchen die Schuld bei Staat, Unternehmen, Vorgesetzten, und es gibt solche, die nehmen das Heft in die Hand und tun was. Und haben gute Chancen auf dem Arbeitsmarkt.

    • 27. März 2020 um 11:28

      Liebe Claudia, Danke für deinen Kommentar. Die Persönlichkeit, die Haltung, die Körpersprache und die Art und Weise wie kommuniziert wird, ist wirklich entscheidend. lg Sibylle

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