Das Tempodiktat

Print Friendly, PDF & Email

Employer BrandingFirmen bauen Innovationsgaragen auf. Berater predigen Start-up-Spirit. Das Business gruppiert sich um den Kunden. Teams werden interdisziplinär zusammengewürfelt. Überall stehen Kanban-Boards. Design Thinking und Sprints halten Einzug in den Meeting-Räumen. Unternehmen bestellen zentnerweise Post-It-Zettel. Die Geschäftsleitung pilgert nach Silicon Valley, Berlin oder Shanghai. Und HR? Was macht HR so? Hier sind die sechs wichtigsten Hebel, mit denen HR Speed ins Unternehmen bringt.

Die Zeit der traditionellen HR-Werkzeuge läuft ab. Kompetenzmodelle sind vorbei. Talentpools haben ausgedient. Stellenbeschreibungen überholen sich dauernd selber. Und das HR-Business-Partner-Modell braucht dringend ein neues Tuning. Irgendwie taugen die alten Winterreifen nichts, um auf der Autobahn der Digitalisierung auf Tempo zu kommen.

1. Performance Management

Das Jahresgespräch ist ein totes Pferd. Damit kommt man nicht mehr weit und schon gar nicht, wenn man einfach ein bisschen frisches Heu nachschiebt. Erste Reaktion: Es geht auch ohne.

Nach einer ersten Phase der Erleichterung folgt die Phase der Ernüchterung. Das Abschaffen des Beurteilungsrituals führt nicht zu häufigerem Feedback. Der Dialog braucht doch ein bisschen Organisation. Schneller, häufiger und von allen Seiten zu allen Zeiten. Das reimt sich zwar gut, aber zu viel Feedback kann auch bremsen.

Neueste Trends gehen sogar soweit, dass man je nach interner Zielgruppe den Mitarbeitenden auch verschiedene Varianten von Feedbackritualen anbietet. Bei der Entwicklung und Zielsetzungsprozessen für die Teams und Mitarbeitenden in der IT Abteilung hat man sich etwas Spezielles ausgedacht. Dieses System sieht dann im Marketing oder im Kundendienst anders aus. Das HR wird damit gezwungen, sich um die spezifischen Bedürfnisse ihrer internen Kunden zu kümmern. Warum eigentlich nicht?

2. Coaching

Geschwindigkeit hinterlässt Spuren. Und da braucht das Unternehmen eine neue Sicht auf Coaching und Supervision. «Das ist doch der Job für Psychologen oder ausgediente Manager, die gestresste Führungskräfte mit Problemen betreuen», so das Vorurteil. Coaching erfährt gerade ein heftiges Update.

Coaching heisst lernen, heisst gezielter Umgang mit Fehlern. Kontinuierlicher Verbesserungsprozess am Team und am Mitarbeitenden sozusagen. Es liegt im Interesse der Organisation, Geschwindigkeitskontrollen durchzuführen. Burnout-Prävention und organsierte Retrospektive gleichzeitig. Verfügbar und erwünscht für alle. Diese Funktion muss nicht zwingend von HR übernommen werden. Es gilt auch, geeignete Führungskräfte dafür einzubinden. Organisationen müssen diese Kompetenz massiv aufbauen, wenn sie sich selber mit Höchstgeschwindigkeit bewegen wollen, ohne die Kontrolle zu verlieren.

3. Teams

Traditionelles HR setzt auf das Individuum. Modernes HR denkt in Teams. Wie muss ich Teams zusammenbringen, aufstellen und betreuen, damit sie optimale Leistung erbringen? Teams setzen sich Ziele, legen Prioritäten fest, definieren Aufgaben und bringen diese auf den Boden. Sie übernehmen Verantwortung, treffen eigenständig Entscheidungen, messen ihre Leistung und optimieren sich selber.

Die Idee von Scrum geht in diese Richtung. Das Team löst den Manager ab, dem es nicht mehr möglich sein wird, alle Einzelleistungen zu überwachen und zu beurteilen. Unsere Aufgabe wird es also sein, Teams dazu zu befähigen, sich selber zu entwickeln. Feedbackrituale sind genauso gefragt wie das Verständnis für Teamdynamik. Erste Unternehmen bauen dafür auf Spezialisten für Teamintelligenz. Auftrag: Herausfinden, was wir von den besten Teams im Unternehmen lernen können und wie wir schwächere Teams von diesen Erkenntnissen profitieren lassen.

4. Lohnmodelle

Agile Arbeitsformen erfordern agile Lohnmodelle. Unternehmen müssen Löhne in Zukunft schneller und häufiger anpassen können. Abhängig von Bewegungen am Arbeitsmarkt, aktuellen Herausforderungen in der Projektarbeit oder der Bereitschaft, Wissen zu teilen.

Können Sie sich das vorstellen? Auch denkbar ist eine komplett andere Richtung. Grundlohn mit viel kleinerem Unterschied zwischen höchsten und tiefsten Löhnen und gleichmässige Verteilung des Gewinns als Bonus. Und schon sind wir beim Employer Branding. Welche Botschaft soll Ihr Entschädigungsmodell aussenden? Der jährliche Kampf um den Bonustopf mit krampfhafter Kopplung an Mitarbeiterbeurteilung ist das genaue Gegenteil von dem, was von agilen Organisationen gefordert wird: Transparenz, Fokus und Flexibilität.

5. Recruiting

Nehmen wir an, wir hätten eine Recruiting-Taskforce, die sich aus Business-Vertretern aller Bereiche zusammensetzt. Ihre Aufgabe ist es, Rekrutierungszeiten tief zu halten, alle offenen Jobs im Auge zu haben und zu priorisieren. Rekrutierung im Scrum-Team. Alle paar Monate wieder neu zusammengewürfelt. Ich habe das nicht erfunden. Das gibt es schon. Unternehmen wie General Electric arbeiten damit. Aus solchen Konzepten werden sich Dank Unterstützung durch künstliche Intelligenz und dem Fortschritt der digitalen Netzwerke viele neue Möglichkeiten ergeben.

Disruption ist nicht nur erlaubt, sie ist gefordert. Kanban-Boards sind hier definitiv am richtigen Ort. Die HR-Funktion spielt in diesen neu gedachten Modellen eine eher sekundäre Rolle. Das Business wird das Steuer übernehmen. Recruiting kann man getrost komplett neu denken.

6. Personalentwicklung

Wer Tempo im Blut hat, braucht dauernd neue Kompetenzen und Skills. Wie bekomme ich neue Fähigkeiten schnell ins Haus? Wie halte ich die Employability hoch? Wie kann sich die Organisation, das Team und der Mitarbeitende neue Fähigkeiten aneignen? Wie bleiben die Mitarbeitenden gegen Innen und gegen Aussen arbeitsmarktfähig?

Vergessen Sie Nachfolgeplanung. Viel zu langsam. Neue Methoden gehen soweit, dass per Datenanalyse herausgefiltert wird, welche Kompetenzen in welchem Projekt besonders gefragt sind. Dann sucht das System die Mitarbeitenden heraus, die am ehesten darauf passen oder am einfachsten dafür ausgebildet werden können. Anschliessend werden dem Mitarbeitenden Weiterbildungs- und Projektangebote vermittelt. Simulationen und Virtual Reality tun den Rest, um konventionelle Formate aus dem Schulungsraum zu verdrängen. Das ist Ausbildung on Demand – nicht auf Vorrat.

Wenn wir jetzt zur Ausfahrt des Blogs kommen, dann können wir auch mal etwas Tempo rausnehmen. Nicht alle Veränderungen werden gleichzeitig kommen. Nicht alle Organisationen sind gleich exponiert, wenn es um Veränderungen geht. Buchhalter und Chirurgen etwa stehen weniger im Fokus.

Aber so viel ist klar: Noch selten war Personalarbeit so entscheidend in der Zukunftsgestaltung der Unternehmen. Wenn wir mithalten wollen mit dem Tempo, das der digitale Wandel vorgibt, dann müssen wir Gas geben. Wir müssen IT-Wissen aufbauen, uns schlaumachen, wie man mit Teams umgeht und bei der Coaching-Kompetenz zulegen. HR hat sich in den letzten 30 Jahren nicht allzu stark verändert. Jetzt ist die Zeit gekommen, einen Gang hochzuschalten. Gute Fahrt!

Dieser Blog orientiert sich an einem längeren Artikel aus der Harvard Business Review: «HR Goes Agile» von Peter Capelli und Anna Tavis.

2 comments for “Das Tempodiktat

  1. Jonas
    2. August 2018 um 15:51

    Guter Bericht – Aber, bspw. beim Thema Performance Management, habt ihr konkrete Beispiele oder Quellen, was die Firmen in der Praxis so machen im Bereich Performance Management, wenn sie mit Scrum, Kanban, LeSS, Safe etc. arbeiten?

    • 7. August 2018 um 7:41

      Lieber Jonas
      Danke für Deinen Kommentar. Wir haben konkrete Beispiele und Quelle mit Praxisbeispielen. Auch von Firmen, die mit Scrum, Safe oder LeSS arbeiten.
      Du kannst Dich gerne bei uns melden.

      Herzliche Grüsse

      Christoph

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert