Am 7. November fand zum ersten Mal eine Veranstaltung des HR TechClub statt, bei der ich dabei sein konnte. Zum Glück, wie ich danach fand. Es war an der Zeit, dass (technologische) Innovationen im HR ein Gefäss erhalten, in dem sich Interessierte treffen, vortragen und diskutieren können. Über Neuerungen und Hindernisse, über Realitätsbezug und konkrete Erfahrungen. Gerade nach Letzteren suchen wir alle händeringend.
Das PWC Experience Center bot den stimmigen Rahmen für die erstaunlich vielen TeilnehmerInnen. Der Anlass hat mich positiv überrascht und war ein weiterer Schritt, den andauernden Verdichtungsprozess meiner Gedanken zur gemeinsamen Zukunft von Technologie, HR und Recruiting voranzutreiben. Ich konnte für mich drei wesentliche Erkenntnisse gewinnen:
HR-Tech ist eine riesige Spielwiese
Kaum ein Tag vergeht, ohne dass ein neues Tool, das irgendetwas vereinfachen oder verbessern soll, auf den Markt kommt. Als unabhängiger Unternehmensberater erachte ich es als meine Pflicht, am Ball zu bleiben. Ich muss urteilsfähig sein. Und dafür müsste ich die Anwendungen kennen. Es tut mir leid, aber das ist mittlerweile fast unmöglich. Es gibt schlichtweg zu viele. Und das ist bloss die Speerspitze.
Viele Anwendungen klingen in Theorie sinnvoll, gut und sogar nachhaltig. Andere sind unausgegoren und dem Untergang geweiht. Was im Markt tatsächlich Akzeptanz findet, kann gegenwärtig kaum beurteilt werden. Vieles ist abhängig vom Nutzenversprechen, dem Innovationsgehalt, den finanziellen Möglichkeiten der Hersteller u.v.m.
Unglaubliche Diskrepanz zwischen Fortschritt und Anwendung
Es ist immer wieder krass festzustellen, wie innovativ existierende Anwendungen heute bereits sind und wie weit weg von deren Gebrauch sich der durchschnittliche Arbeitgeber heute befindet. Man kann mit Video- und/oder Sprachanalyse-Tools mehr über Menschen/Kandidaten und deren Jobeignung erfahren, als mit jedem gelernten und gebrauchten Persönlichkeitstest. Oder digital verfügbare Profile automatisch mit Stellen-Anforderungen abgleichen und werten, um geeignete Mitarbeiter zu finden. Wir können Unternehmenskulturen digital messen und in Worte fassen, um auch hier optimal passende Menschen zu finden.
Wann wohl wird es aber einen echten Durchbruch für eine komplett neue Herangehensweise, gerade im Recruiting, geben? Der Markt wird das selbst regeln. Solange Tools immer nur Teilaspekte eines grossen Ganzen adressieren, wird die Absicht, die Prozesse anzupassen, jedoch erstmal hinausgezögert. Meistens fehlen Zeit, Geld und Wissen. Da der Themenkreis aber äusserst komplex ist, wird es durch neue Tools immer nur Teillösungen geben. Die Katze beisst sich somit in den Schwanz.
Mechanisches Recruiting wird besser sein als Menschliches
Ich glaube es selbst kaum, dass ich das schreibe. Noch vor wenigen Wochen hätte ich das Gegenteil behauptet. Persönlich bin ich ein grosser Verfechter von Kopf-, Bauch- und Herzentscheidungen, auch wenn ein ehemaliger Marketeer wie ich sich eigentlich auf Zahlen, Daten und Fakten verlassen sollte. Nun komme ich aber zur Einsicht, dass, je mehr Daten verfügbar sind, je lernfähiger Systeme werden, desto erkenntnisreicher werden die daraus abzuleitenden Schlüsse. Ein sich selber nährendes qualitätssteigerndes System.
Es ist nur eine Frage der Zeit, bis Entscheide einer Maschine objektiv nachvollziehbar, ja sogar besser sein werden. Denn der Mensch wird von vielen Einflüssen geleitet. Die Maschine wird dereinst gar bessere Kandidaten-Empfehlungen ausspucken als ich selbst. Also eigentlich müsste ich ihr blind vertrauen.
Fazit: Wie man zu dieser Technologie steht, wird schon fast zur philosophischen Glaubensfrage. Noch weiss aber niemand, was sich durchsetzen wird und das wird noch eine ganze Weile so bleiben. Deshalb gilt in meinen Augen: Habt Spass mit den aktuellen technischen Möglichkeiten und probiert sie aus. Denn Mit-der-Zeit-gehen heisst auch an Entwicklungen teilnehmen.
Ich hätte mir gewünscht, dass wir eben diese technologischen Fortschritte am HR Tech Club ausprobieren würden und hoffe, dass wir nächstes Mal mehr praktische Erlebnisse mit nach Hause nehmen können.
Hallo Herr Bisang
wir haben soeben die Demozugänge zu den präsentierten Tools versendet. Viel Spass beim Testen! Wir hoffen wir sehen Sie am 6. Februar zur 2. HR Tech Club Night!
Grüezi Herr Bisang
Live Demos/Praxistests von Innovationen wären in der Tat sehr wünschenswert. Nichts geht über konkrete Einblicke. Ich hoffe, dass künftige Präsentationen dies in Teilen berücksichtigen werden.
Viele Grüsse
Michel Ganouchi
Bei vielen Erkenntnissen stimme ich dem Autor, Michel Ganouchi, zu. Einer Aussage gegenüber stehe ich kritisch gegenüber – nämlich, dass „mechanisches Recruiting besser sein wird als menschliches“. Am Ende des Tages sind wir Human Beings, deren Verhaltensweisen sich in komplexen Systemen und unterschiedlichen Situationen verändern können, so, dass keine künstliche Intelligenz dies abschliessend für jede Berufsgruppe erfassen und beruteilen kann. Bei einfachen Berufsbildern mit klar definierten fachlichen Kompetenzen mag dies vielleicht anwendbar sein. Sind wir uns bewusst, was die rasante technische Entwicklung uns an Routinetätigkeiten im Recruiting abnimmt. Gleichzeitig sollten wir unser Wissen schärfen, was KI genau bedeutet, Chancen wie aber auch Risiken und Gefahren dazu verstehen lernen.
Hallo Viola
Ich bin mir über die pointierte Aussage sehr bewusst, dass Maschinen besser rekrutieren werden. Und ich bin durchaus einverstanden mit deiner Aussage, dass die ganze Komplexität kaum je mechanisch abgebildet werden kann. Nur: bei aller Komplexität lassen sich Menschen in ihren Entscheidungen immer wieder fehlleiten (unconscious bias). Auch in komplexen Berufsbildern. Maschinen können unvoreingenommen Sachverhalte beurteilen. Ob wir das so wollen, ist eine andere Frage…
Liebe Grüsse
Michel
Ich stimme in einigen Punkten zu und bin auch davon überzeugt, dass menschliche Interaktion immer einen Einfluss auf Entscheidungen im Personalbereich notwendig, gut und richtig sind. Auch wenn wir uns auf AI, Robots, Tools und Technologie einlassen, am Ende arbeiten Menschen mit Menschen zusammen und die Chemie muss stimmen.
Hallo Frau Baier
Vielen Dank für Ihren Kommentar. Ja die Chemie… wie soll die eine Maschine prüfen? Man muss sich „riechen“ können. Genau gleich wie in einer Partnerschaft. Nur weiss ich heute selber nicht, wie nachhaltig Chemie stimmt und ob das qualitätsfördernd im Sinne einer optimalen Passung für eine Stelle ist ist. Ich als Vorgesetzter werde eine Stelle auch nicht ewig innehaben. Da sollte die Chemie eigentlich einen geringen Anteil in der Selektion spielen zum Wohle des grossen Ganzen.
Viele Grüsse
Michel Ganouchi