New Work und der Fachkräftemangel

Blog Barbara Josef HR Today Future Work

Seit Monaten dominiert das Thema Fachkräftemangel die öffentliche Debatte. Dass wir uns Gedanken machen, wie wir Arbeitskräfte gewinnen und vor allem halten können, ist eine gesunde Entwicklung. New Work jedoch auf Employer Branding und Employee Experience Management zu reduzieren, ist der falsche Weg.

Der verantwortungsbewusste Umgang mit knappen Ressourcen ist eine der Daseinsberechtigungen der Ökonomie und stellt eine Herausforderung dar, mit der sich Entscheidungsträger in Wirtschaft und Gesellschaft täglich auseinandersetzen. Im freien Markt erfolgreich zu bestehen, heisst nichts anderes, als sich durch geschicktes Agieren kurz- und langfristige Wettbewerbsvorteile zu verschaffen. Das Thema Fachkräftemangel könnte man vor diesem Hintergrund unaufgeregt als Knappheit des Inputfaktors «Arbeitskraft» einordnen und grob vereinfacht eine oder mehrere der folgenden Strategien fahren:

  1. Angebot reduzieren
  2. Effizienz erhöhen
  3. Arbeitsmarktattraktivität steigern

Während die Abkehr von der Wachstumsstrategie für die meisten Wirtschaftskapitäne gar nicht erst in Frage kommt, zeichnet sich bei Option 2 und der Goldgräberstimmung im Zusammenhang mit dem Thema künstliche Intelligenz zumindest ein Silberstreifen am Horizont ab. Da das «Quick Win»- und Quartalsdenken-Zeitalter jedoch auf schnelle Erfolge pocht, setzen aktuell viele Organisationen auf die dritte Option und versuchen, ihre Attraktivität als Arbeitgeberin zu stärken und sich in einen Talentmagnet zu verwandeln. Spätestens an diesem Punkt wird die «New Work-Keule» gezückt: flexible Arbeitsformen, hybride Meetings, remote Work, Workation, Coworking, Purpose Workshops, Labs, Pilotprojekte, alternative Karrieremodelle wie Top-Sharing und so weiter. Ich sehe in jeder dieser Massnahmen, zielorientiert und aus echter Überzeugung eingesetzt, durchaus Potenzial, möchte aber vor dieser sehr reduzierten Auslegung warnen. Wer die Chancenpotenziale von New Work versteht, weiss, dass es nicht darum geht, Mitarbeitende mit modern anmutenden Zusatz-Goodies zu ködern oder den eigenen Auftritt im Arbeitsmarkt oberflächlich zu pimpen. Vielmehr handelt es sich um eine tiefgreifende Transformation, die alle Sphären des Unternehmens und Wirtschaftens miteinschliesst und das Ziel hat, langfristige Mehrwerte für alle Anspruchsgruppen zu erzielen.

Erweitern wir die Herausforderung Fachkräftemangel auf die Frage, wie es Organisationen gelingt, nicht unüberlegt aus der Not mit kurzfristigen Massnahmen zu reagieren, sondern vielmehr zu lernen, wie sie mit Unsicherheit, Schocks und schnellen Veränderungen tanzen können. Vielleicht ist «tanzen» im wirtschaftlichen Kontext ein unübliches Wort, aber es bringt zum Ausdruck, dass wir mit unserem alten, starren Verständnis von Anpassungen an die Marktdynamik (Reorganisation, Restrukturierung, Konsolidierung usw.) an Grenzen stossen und Gefahr laufen, uns in einen permanenten Krisenmodus reinzumanövrieren.

Vor diesem Hintergrund kann der Grundgedanke von New Work durchaus bei der Bewältigung der aktuellen Herausforderungen – im Arbeitsmarkt und darüber hinaus – helfen und insbesondere die Zukunftsfähigkeit von Menschen und Organisation stärken. Dabei geht es im Kern um folgende, nicht abschliessende Ansatzpunkte:

  • Anpassungsfähigkeit: Wie können innerhalb der Organisation Ressourcen schneller verlagert werden, so dass zeitnah mit den bestehenden Mitteln auf dynamische Veränderungen reagiert werden kann?
  • Wirksamkeit: Welche Prozesse und Angebote stiften Mehrwerte für die Anspruchsgruppen, welche nicht? Wie kann sich die Organisation von Bürokratie, unnötigen Prozessen und obsoleten Strukturen befreien?
  • Antizipation: Gelingt es, durch eine bessere Vernetzung Veränderungen innerhalb und ausserhalb der Organisation früher zu erkennen und vorausschauend anzugehen?
  • Potenzialausschöpfung: Wie kann die Führung dazu beitragen, dass das individuelle Potential der Mitarbeitenden im Verbund maximale Wirkung entfalten kann?
  • Gestaltungsräume: Wie können Reflexions- und Freiräume geschaffen werden, die es ermöglichen, Chancenfelder laufend aufzugreifen und in die eigenen Angebote einfliessen zu lassen beziehungsweise Risiken vorausschauend anzugehen?
  • Kooperationen: Wie können bei zyklischen Schwankungen und Schockwellen im Markt externe Partner und zusätzliche Ressourcen schnell zur (temporären) Verstärkung und Kompetenzerweiterung beigezogen werden
  • Technologien: Wie können mittels gezieltem Technologieeinsatz die Mitarbeitenden optimal unterstützt und freigespielt werden, so dass sie sich auf Gestaltungsaufgaben konzentrieren und die menschlichen Stärken ausspielen können?
  • Beziehungen: Wie gelingt es, mit den Ökosystempartnern starke langfristige Partnerschaften aufzubauen und das gegenseitige Wohlwollen zu fördern, so dass turbulente Situationen miteinander und nicht gegeneinander bewältigt werden können?

Woodrow Wilson (28. Präsident der Vereinigten Staaten und Friedensnobelpreisträger) hat einst gesagt: «I not only use all the brains that I have, but all I can borrow.» («Ich nutze nicht nur meinen gesamten Grips, sondern auch sämtlichen, den ich mir borgen kann.») Genau hier liegt meine Hoffnung in Bezug auf den Wandel in der Arbeitswelt. Dass es uns gelingt, dank einer echten Transformation Kräfte freizusetzen, die wir bisher nicht erschliessen konnten und lernen, gesund und besonnen mit Unsicherheit und schnellen Veränderungen umzugehen.

Auf lange Sicht profitieren von dieser Haltung auch Mitarbeitende. Nicht in Form von Goodies, die mit der nächsten wirtschaftlichen Abkühlung ohnehin so schnell verschwinden, wie sie aufgetaucht sind, sondern viel mehr davon, dass sie das Privileg haben, in einem Arbeitsumfeld zu arbeiten, in welchem sie ihr Schicksal selbst in die Hand nehmen können und nicht darauf warten müssen, bis sie befähigt, entwickelt, mit Sinn betankt und als ersetzbare Ressource gemanagt werden.

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