It’s the signals, stupid.

Immer wieder machen «Rückrufaktionen» für Mitarbeiter Schlagzeilen – IBM ist das jüngste Beispiel eines Unternehmens, das sich ernüchtert von der grenzenlosen Freiheit des «work anywhere – anytime» verabschiedet. Wenn der Vorreiter des neuen Arbeitens diesen radikalen Schritt zurück zur Arbeit «Schulter an Schulter» propagiert, so ist er noch bedeutsamer. Wir sollten ihn ernst nehmen und uns mit den Motiven auseinandersetzen – und wenn auch nur, um am Schluss doch in der Entscheidung für mehr Eigenverantwortung und eine Kultur des gegenseitigen Vertrauens bestärkt zu werden.

Drehen wir das Rad der Zeit zurück. Telearbeit kam Ende der 1960er Jahre zögerlich auf – es war die Ölkrise, die der Arbeit von zu Hause aus 1973 zum Durchbruch verhalf. Nebst betriebswirtschaftlichen Ressourcenoptimierungen ging es damals auch um einen smarteren Umgang mit Mobilität. Eine zweite Blüte erlebte das Thema Ende des letzten Jahrtausends unter dem moderneren Begriff «Home Office». Im Gegensatz zur Telearbeit ging es nun aber um ein ergänzendes Arbeitsszenario, das grundsätzlich allen Arbeitnehmern im wissensintensiven Bereich offenstand. In der Schweiz sind dies immerhin 44 Prozent der Erwerbstätigen. Es ist keineswegs das Privileg einer kleinen Elite, wie oft ins Feld geführt wird. Trotz der eingangs erwähnten Schlagzeilen ist es eine erwiesene Tatsache, dass diese Form der Flexibilisierung unaufhaltsam und unumkehrbar stattfindet weltweit und insbesondere in der Schweizer Wirtschaft, die sich schon längst vom Werk- hin zum Wissensstandort entwickelt hat.

Der wichtigste Treiber dieser Veränderung ist sicherlich der technologische Fortschritt – für einige sind es die Geister, die wir nicht riefen. Vielen Firmen unterstützen die Flexibilisierung der Arbeit, weil sie sie nicht verhindern können. Oder weil sie sich davon ökonomische Vorteile versprechen. Dies im Gegenzug zu denjenigen Organisationen, die ein echtes Interesse daran haben, den technologischen Fortschritt in Freiräume für die Mitarbeiter umzuwandeln. Weil sie anerkennen, dass in einer Wissensgesellschaft Präsenz und Leistung nicht korrelieren. Weil sie sich vom Gedanken, alles kontrollieren zu können, verabschiedet haben. Und weil die Erkenntnis gereift ist, dass Autonomie und Selbstbestimmung die wichtigste Voraussetzung für eine unternehmerische Kultur sind.

Wenn Mitarbeiter mit Veränderungen konfrontiert sind, steht die Frage nach dem «Warum» immer im Zentrum. Bei dieser Suche nach den wahren Motiven der Veränderung spielt die offizielle Kommunikation eine unbedeutende Nebenrolle. Das Bild der Veränderung setzt sich wie ein Mosaik aus der Interpretation von unzähligen Signalen zusammen, denen die Mitarbeiter laufend begegnen. Sie stehen symbolisch für die grossen Monolithen wie die Unternehmenskultur, die Führungsphilosophie und das Wertesystem. Erst die Signale erwecken diese theoretischen Konstrukte zum Leben, da sie Werthaltungen, Denkweisen und ungeschriebene Gesetze begreifbar machen. Der Blick der Kollegin auf die Uhr, wenn man das Büro nach 10 Uhr betritt, der Gratiskaffee in der Pausenzone, die Beförderung eines Kollegen, der auch als «ewiges Licht» bekannt ist – nicht weil er so hell ist, sondern abends am längsten im Büro ausharrt, der CEO, der mitten in der Open Space Zone arbeitet, das Budget, das unkompliziert für mutige Ideen zur Verfügung gestellt wird, das «Like» auf der Enterprise Social Plattform des Head of Innovation, wenn der Lernende eine brillante Idee einreicht – das alles sind Signale, die unser Bild von einer Veränderung prägen und entscheiden, ob wir mitmachen oder nicht.

Die Einführung von flexiblen Arbeitsformen ist für Organisationen und Individuen eine riesige Chance. Es ist nicht nur der Aufbruch zu einer neuen Form der Zusammenarbeit, sondern auch ein Moment der Wahrheit. Die Organisation legt ihr Menschenbild offen, der Mitarbeiter seine Einstellung zur Arbeit und seine wahre Motivation. Das Verlassen des Bewährten ohne in Ufernähe des Neuen zu sein, braucht ganz viel Mut, unbestritten. Erschwerend kommt hinzu, dass der Wandel mit den gleichen Menschen vollzogen werden muss, die für das Alte standen. So etwas wie Schubumkehr gibt es bei Managern nicht.

Bei der Gestaltung des Wandels gibt es keine Garantie für Erfolg, aber es gibt garantierte Wege zum Scheitern. Nicht ehrlich über die Gründe einer Veränderung zu sprechen und die Mitarbeiter nicht einzubeziehen zählt dazu. Noch viel absurder ist jedoch «Pseudo-Flexibilisierung» sie findet statt, wenn jeder noch so kleine Freiraum durch Spielregeln, Kontrollmechanismen und Richtlinien erstickt wird. Wenn sämtliche Signale, die auf die Mitarbeiter während eines Veränderungsprozesses einprasseln, bestätigen, dass es nur um Ressourcenoptimierungen geht und man ihnen Eigenverantwortung gar nicht erst zutraut warum sollen sie dann in Begeisterung ausbrechen, wie dies die Phase «Desire» im Change-Modell suggeriert?

Würden wir privat Präsenzpflichten mit dem Liebsten in einer Policy definieren, die telefonische Erreichbarkeit in einem Beziehungsmanifest festhalten oder eine Blumenstrauss-Scorecard aufstellen, um eine glückliche Beziehung sicherzustellen? Stellen Eltern bei ihren pubertierenden Teenagern über Nacht von Autorität auf Holakratie um? Flexibilisierung heisst loslassen und lernen – für beide Seiten. Es ist ein langsamer Prozess, der Mut und Vertrauen braucht. Es ist jedoch kein Sprung ins Leere; man kann sich langsam vorantasten und verhandeln. Positive wie negative Signale verstärken sich selber. Wir haben es in der Hand, welches Bild einer Veränderung wir vermitteln wollen.

10 comments for “It’s the signals, stupid.

  1. 11. April 2017 um 15:52

    Danke liebe Sabine – ich freue mich auf ein baldiges Wiedersehen im richtigen Leben und deinen nächsten Blogpost!

  2. Thomas
    10. April 2017 um 15:43

    Hallo liebe Barbara

    Ich suche nun nach der Aufarbeitung der Motive (wie am Anfang des Berichtes versprochen) und die sehe ich nicht. Pädagogisch gut gestartet, mit der Bekundung auf die Gründe einzugehen um dann diese geflisslich zu überhören? Dafür darauf zu deuten, dass wieder die Alten die Bremser sind? Das ist doch ein wenig zu billig, entschuldigen Sie bitte meine Direktheit. Aber auf diese Weise überzeugt man eben diese “ für das Alte stehenden“ nicht, sondern bestärkt sie nur, indem diese mit Recht sagen können, es gibt kein Kontra. Wenn man die Gründe für das Scheitern (IBM ist nicht die erste, auch Google macht das – und dies sind wirklich nicht die Alten) ergründen würde, gäbe es sicher Wege diesen Schritt anders und dann erfolgreich anzupacken.

    • 11. April 2017 um 15:47

      Herzlichen Dank für dieses Feedback, lieber Thomas – das nehme ich gerne so entgegen. Meine Absicht war nicht, zu beurteilen ob IBM das richtige macht oder nicht, sondern die Perspektive dieser Entscheidungen zu öffnen und aufzuzeigen, dass es gar nicht um „Home Office oder nicht“ geht, sondern die Frage, wie diese Art von Entscheidungen (aber auch Initiativen für mehr Autonomie und Flexibilität) in der Organisation ankommen und dass nicht das gesagte gilt, sondern das „erlebte“. Alles andere wäre anmassend, da niemand von uns in diese Kultur konkret reinsieht.

      Falls ich die geweckten Erwartungen nicht erfüllt habe, tut mir das leid. Was den Teil mit „den alten als Bremser“ betrifft, muss ich aber klar widersprechen. Das war nicht meine Aussage. Ich hatte dazu auch in einem früheren Blogpost explizit geschrieben, dass mir oft vor lauter Begeisterung für das Neue die Wertschätzung für „das Alte“ fehlt und dass Respekt für das Geleistete das wichtigste Fundament für das Neue ist. Dies gerne zur Klärung. Ich freue mich auf den weiteren Austausch – herzlichen Dank fürs Mitdenken und Hinterfragen!

      • Thomas
        12. April 2017 um 14:08

        Ok… angekommen, liebe Barbara. Entschuldige meine schnelle Eingabe. Nun ist es an mir, Deine Post „richtig“ zu lesen lernen, damit es auch ankommt wie gemeint. :-)

        Das Thema ist spannend, wie vieles zwischen „heute und von vorgestern“. Wenn es nicht ankommt, das Heute, heisst es nicht dass es schlecht ist, sondern eventuell andere Punkte mit einbezogen werden müssen um noch einmal zu versuchen.

        Oft lese ich Artikel : „hier haben wir etwas neues und so wird die Zukunft“. Anstatt zu differenzieren, dass das Bisherige nicht mehr für alle passt und darum eben etwas für diese neu erfunden werden muss. Für die … nicht für alle.

        Schöne Ostern

  3. Röthlisberger Franziska
    30. März 2017 um 19:10

    Hallo Barbara Sehr spannend und sehr treffend formuliert. Ich bin sehr gespannt wie sich das weiter entwickelt. Franziska

    • 11. April 2017 um 15:48

      Vielen Dank, liebe Franziska. Ich sehe es genau wie du als Momentaufnahme – und ein Grund, ein bisschen innezuhalten. Herzlich, Barbara

    • 11. April 2017 um 15:49

      Danke liebe Franziska, das freut mich. Ich sehe diesen Entscheid genau wie du als Momentaufnahme und Einladung zum Reflektieren. Herzlich, Barbara

  4. 30. März 2017 um 10:14

    Absolut lesenswert und auf den Punkt gebracht! Danke! Das Neue ist bekanntlich immer der Feind des Alten und erfordert Mut von allen Beteiligten.Der Nährboden dafür sind Vertrauen, Neugier, Verlernbereitschaft und Experimentierfreude. Alles Eigenschaften, die mit Persönlichkeit zu tun haben und neben der erforderlichen Kompetenz reflektiert und in Form gebracht werden können. Dafür wiederum sind Leader und keine Organigrammdenker erforderlich.

    • 11. April 2017 um 15:51

      Vielen herzlichen Dank für diese aufbauenden Worte und spannenden Ergänzungen. Verlernbereitschaft finde ich ein super Wort – auch die Erkenntnis, dass es am Schluss mit der Persönlichkeit zu tun hat, die diese Effekte zulässt oder nicht, finde ich sehr stark. Herzlichen Dank fürs Weiterentwickeln.

  5. Biland
    30. März 2017 um 9:10

    Liebe Barbara, ich gratuliere Dir zu diesem gelungenen gedanklichen Wurf und danke Dir für die inspirierende Lektüre. Sabine

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert