Mit einem neuen Gesetzesvorschlag soll die Selbständigkeit als Arbeitsform erleichtert werden. Im Sinne der Flexibilisierung der Arbeit klingt das spannend. Das Projekt verkennt aber die verheerende Abwärtsspirale, die damit losgetreten würde.
Ob jemand selbständigerwerbend oder angestellt ist, soll künftig auch vom sogenannten Parteiwillen abhängen, nämlich ob die Person selbständigerwerbend oder angestellt sein möchte. Das schafft zu viel Flexibilität, weil es das gesamte Sozialversicherungssystem und Arbeitsrecht aushöhlt und dem Staat Kosten aufbürdet.
Unabhängigkeit nur für jene, die sie tragen können
Die Abgrenzung zwischen selbstständiger und unselbstständiger Erwerbstätigkeit ist im Sozialversicherungsrecht zentral, weil sich der soziale Schutz für Arbeitnehmende und für Selbständigerwerbe deutlich voneinander unterscheidet. Die Selbstständigkeit wird heute aus guten Gründen nicht gemäss subjektiver Selbstdeklaration ermöglicht, sondern nur dann, wenn objektiv erwiesen ist, dass die Betroffenen in ihrer Arbeit unabhängig sind und das wirtschaftliche Risiko selbst zu tragen vermögen. Denn die meisten Versicherungen gegen soziale Risiken wie Alter, Invalidität, Krankheit oder Arbeitslosigkeit sind für Selbstständigerwerbende nicht obligatorisch, manchmal sogar nicht abschliessbar oder kaum zu finanzieren, wie ein Vergleich flexibler Arbeitsmodelle zeigt. Gerade die Pandemie hat klar aufgezeigt, wie problematisch die soziale Absicherung bei Selbstständigkeit sein kann.
Eine stärkere Gewichtung des Parteiwillens würde deshalb in vielen Fällen die Position der Arbeitnehmenden untergraben. Beispielsweise wenn eine Plattform etwa im Reinigungs-, Kurier- oder Transportbereich nur mit Personen zusammenarbeiten will, die sich als selbstständig erklären, obwohl diese von der Plattform abhängig sind.
Anreize für Anstellung nicht untergraben
Hinzu kommt, dass eine solche Erleichterung der Selbstständigkeit eine eigentliche Abwärtsspirale auslösen dürfte. Ein Anbieter, der eine Dienstleistung via festangestellte oder temporäre Arbeitnehmende anbietet, gerät künftig in eine Konkurrenzsituation mit denjenigen Anbietern, die ihre «Mitarbeitenden» in die Selbständigkeit drängen und dadurch auf die Abrechnung von Sozialversicherungsbeiträgen und die Einhaltung des Arbeitsrechts verzichten können. Der Anbieter mit festangestellten oder temporären Arbeitnehmenden wäre nicht mehr konkurrenzfähig und müsste ebenfalls auf ein Geschäftsmodell mit «Selbstständigen» umstellen.
Wenn die in die Selbstständigkeit gedrängten Personen aber nicht die nötigen Einnahmen für ihren Lebensunterhalt erzielen können und gleichzeitig die notwendige soziale Absicherung fehlt, muss im Endeffekt über Sozialhilfe und später Ergänzungsleistungen der Staat für die Risiken aufkommen.
Bedürfnis nach Flexibilität anders lösen
In der Diskussion um Erleichterungen der Selbständigkeit und die Flexibilisierung der Arbeit sollte berücksichtigt werden, dass schon heute eine Arbeitsform zur Verfügung steht, die Flexibilität und soziale Sicherheit in optimaler Weise miteinander verbindet: die Temporärarbeit. Sie ist ein etabliertes, im Bundesgesetz über die Arbeitsvermittlung und den Personalverleih (AVG) und im allgemeinverbindlich erklärten Gesamtarbeitsvertrag Personalverleih geregeltes Instrument. Sie bietet Arbeitnehmenden und Unternehmen die Flexibilität, die sie aus ihrer persönlichen Situation wünschen bzw. auf die sie aufgrund der Anforderungen des Marktes angewiesen sind, aber sichert die Arbeitnehmenden zugleich vollumfänglich gegen Risiken u.a. in den Bereichen Altersvorsorge, Krankheit, Arbeitslosigkeit und Invalidität ab.
Eine selbständige Erwerbstätigkeit hingegen, bei der diese Sicherheitsnetze nicht bestehen, ist zurecht nur Personen zugänglich, die aus einer unabhängigen Position heraus tätig sind.