Der Westen durchlebt turbulente Zeiten. In verschiedenen Ländern kommt es zu Wahl- oder Abstimmungsentscheiden, die viele für unmöglich gehalten haben. Was ist los? Die westliche Gesellschaft scheint aus dem Gleichgewicht zu geraten. Ein Unmut der Bevölkerung, wohl einhergehend mit einem Vertrauensverlust in Politik und Wirtschaft, kommt an der Urne zum Ausdruck. Das muss uns zum Nachdenken anregen.
Solange diese Entscheide klein oder schlecht geredet werden, fehlt eine wichtige Grundvoraussetzung, um als Gesellschaft wieder zusammenzufinden. Die ernsthafte Auseinandersetzung mit der Mehrheit (!), die sich scheinbar politisch unkorrekt an der Urne äussert, ist eine dringliche Notwendigkeit. Welche Überlegungen führen sie zu ihrem Entscheid? Welche Werte, Interpretationen, Befürchtungen und Ziele leiten sie? Es handle sich um sogenannte Globalisierungsverlierer, sagt man. Das mag ein Aspekt sein. Doch zweifelsohne lässt sich die Situation nicht auf einen Begriff oder ein Phänomen reduzieren. Vermutlich muss sich der Westen auf verschiedenen Ebenen neu erfinden, um zurück zu Stabilität zu finden. Der Arbeitsmarkt ist eine dieser Ebenen. Wir, aus der HR-Welt, sind also Teil und inmitten des Geschehens.
Arbeit ist essenziell. Sie stiftet nicht nur das Einkommen für die grundlegendsten, menschlichen Bedürfnisse, sondern auch Zugehörigkeitsgefühl und Sinn. Insofern wirkt Arbeit integrierend. Für eine funktionierende Gesellschaft ist es wichtig, dass möglichst jeder einen passenden Platz in der Arbeitswelt findet. Das braucht ein entsprechendes Engagement des Individuums. Es muss sich mit Blick auf seine Arbeitsmarktfähigkeit ausbilden, weiterbilden, eine gewisse Mobilitätsbereitschaft mitbringen und mit Ernsthaftigkeit und Disziplin am Arbeitsleben teilnehmen.
Aber die Arbeitgeber sind genauso in der Pflicht – nebst dem Staat, der für die Bereitstellung der Bildungsinfrastruktur zuständig ist. Die Arbeitgeber wirken am Markt. Sie haben eine gute Vorstellung davon, wie sich dieser weiterentwickelt und welche Herausforderungen sich damit verbunden den Mitarbeitenden stellen. Entsprechend sind sie gut positioniert, um entweder selber Bildungsgänge anzubieten oder ihre Mitarbeitenden in der Aus- und Weiterbildung zu beraten und zu unterstützen. Ebenso ist es Aufgabe der Arbeitgeber, den Mitarbeitenden reinen Wein einzuschenken. Zeichnet sich ab, dass sich ein Unternehmen oder eine ganze Branche im Strukturwandel befindet, haben die Mitarbeitenden ein Recht darauf, dies frühzeitig zu erfahren, um sich für die neue Zukunft zu rüsten. Und hier liegt auch die Chance, sich als Unternehmen um seine Mitarbeitenden zu kümmern, und damit wieder Vertrauen in das eigene Unternehmen und eine funktionierende Wirtschaft aufzubauen.
Anderenfalls werden die absehbaren Probleme vor sich hingeschoben und immer grösser, bis sie zu einer gesellschaftlichen Krise ausarten, deren Lösung um ein Vielfaches schwieriger ist. Es gibt Stimmen, die ein bedingungsloses Grundeinkommen vorschlagen, um die sozialen Probleme zu lösen, die ein rascher und disruptiver Wandel mit sich bringt. Ich bin skeptisch gegenüber diesem Vorschlag. Gerade weil die Arbeit viel mehr Funktionen hat als die reine Mittelbeschaffung. Jeder will Teil sein der Gesellschaft und seinen Beitrag dazu leisten.
Ich vertraue in die Kraft unserer westlichen Gesellschaft, sich weiterzuentwickeln und zu erneuern. Das ist keine einfache Aufgabe, aber sie kann gemeistert werden. Der Westen hat das in den vergangenen Jahrzehnten schon mehrfach bewiesen.