Wann habt ihr euch das letzte Mal beworben? Ich frage nicht ohne Grund. Denn der Titel dieses Beitrags ist sehr wörtlich zu nehmen. Seit Jahrzehnten lamentieren Bewerbende und Recruiting unisono, wie mies Bewerbungsprozesse sind. Das birgt schon eine gewisse Komik, denn Recruiting Prozesse sind ja keine Naturgesetze, sondern HR-gemacht. Man könnte sie also ändern. Wenn man wollte, oder besser gesagt: könnte.
Kann HR oftmals wohl aber nicht. Systeme sind dann schuld, oder die Hiring Manager, oder die Bewerberansprüche usw. Dann müssen es eben andere machen. Das dachten sich schon viele Anbieter. Und nun auch Jobshot. Der selbsternannte neue Stern am Recruiting Himmel. Vielleicht habt ihr davon gehört, wenn ihr in den letzten Wochen nicht komplett LinkedIn abstinent gewesen seid. Und an dieser Stelle kommen wir auf den Anfang des Beitrags zurück: Ich habe gerade zwei Probebewerbungen bei Jobshot eingereicht. Immerhin wollte ich mir ein eigenes Bild machen. Bei allem Respekt vor dem Gründergeist komme ich zu dem Eindruck, dass die Plattform eher Sternschnuppe als Stern ist. Viel Wunschdenken für angebliche HR Profis, wenig wirklich Orientierung (ihr wisst schon, Polarstern und so) für Bewerbende.
Klappern gehört zum Handwerk
Die alte Weisheit ist unbestritten. Aber wir scheinen in einer Welt zu leben, in der das Klappern die Handwerkskunst vollkommen abzulösen droht. Post um Post inszenieren wir uns und wetteifern um Aufmerksamkeit. Für offene Stellen, für unsere Arbeitgeberinnen und für uns selbst. Die Frage wie ein Post auf LinkedIn Reichweite bekommt, scheint wesentlicher geworden zu sein als die Frage, wie wir passende Kandidaten und Kandidatinnen auswählen und für uns gewinnen können. Stupide Reichweite ersetzt wirklich clevere Lösungen. Kein Wunder also, dass die Recruiting Welt mitunter Schnappatmung bekommt, wenn eine brillante Influencerin wie Yaël Meier zusammen mit ihrem Gründerteam Jobshot als eine Revolution im Recruiting Markt präsentiert. Aber die Revolution ist abgesagt, da die App bislang (!!) am selben Problem scheitert wie HR allzu oft: Sie ist zu kurz gedacht. Aber der Reihe nach.
Aufmerksamkeit löst Aufmerksamkeitsprobleme
Wenn Influencer und Influencerinnen zum Einsatz kommen, sollen sie vor allem eines erzielen: Aufmerksamkeit. Wenig überraschend, dass Jobshot und die Influencer-Gründercrew genau hier ansetzen. Kurze Videos sollen klassische (und langweilige) Stelleninserate ablösen. Ob sie relevanter sind, soll jede und jeder selbst entscheiden. Alles in allem quasi ein TikTok der Jobplattformen. Darüber hinaus soll der Bewerbungsprozess super einfach sein. Sprach- Text- oder Videonachricht genügen. Gesagt, getan. Ich habe mich registriert, willkürlich zwei Stellen herausgesucht und jeweils eine Sprachnachricht von zehn Sekunden hinterlassen. So weit, so gut. Oder eben nicht. Denn neben diesem gefälligen gegenseitigen Anbiedern bleibt alles beim Alten. Ich habe weder Ansprechpartner oder -partnerin, noch mehr Informationen zum weiteren Ablauf, noch eine Eingangsbestätigung erhalten, so dass meine Sprachnachrichten gottverlassen auf der Plattform dahinvegetieren. Das kommt bekannt vor aus den meisten bisherigen Recruiting Prozessen. Mehr Infos zum Job habe ich übrigens auch nicht erhalten, als wäre das Finden einer Stelle ein einziges kurzweiliges Spassprogramm.
Die Aufmerksamkeitsökonomie frisst ihre Kinder. Und vergisst die Bewerbenden. Denn erst nach drei Tagen hatte jemand aus einem der beiden Unternehmen Erbarmen (das Zweite hat noch kein Lebenszeichen von sich gegeben, obwohl es um eine Kommunikationsstelle ging) und schrieb mir eine E-Mail. Eine Benachrichtigung in der App? Fehlanzeige. Eine Anbindung scheint es nicht zu geben. Der Inhalt der Mail? Keinerlei Bezug auf meine Sprachnachricht. Der Clou: Nun soll ich meine Bewerbung offiziell einreichen. Dafür erhalte ich einen Link auf die gesamte Stellenplattform des Unternehmens, wo ich mir die Stelle noch einmal raussuchen sowie eine Registrierung im Bewerbermanagement durchführen muss. Ich will jetzt hier die guten Absichten der neuen Plattform nicht kleinreden. Aber die Frage sei mir erlaubt: Welches Problem wurde hier nochmal gelöst? Sowohl Plattform als auch Anbieter haben offensichtlich das eigentliche Problem nicht verstanden. Infleuncer lösen eben Aufmerksamkeitsprobleme und nicht per se Recruiting Probleme. Oder wie soll Paul Watzlawick einst gesagt haben: «Wer als Werkzeug nur einen Hammer hat, sieht in jedem Problem einen Nagel.» Deshalb kann ich aktuell nur festhalten: sie wissen nicht wirklich, was sie tun. Zumindest im Recruiting.
True!
Es gibt eine sehr einfache Regel: Wer im Recruiting-Kontext von Revolution spricht ist zu 90 Prozent ein Blender. Die letzte echte Revolution war die Möglichkeit des active sourcing durch XING und Co. – seitdem ist nicht mehr viel passiert.
Am Ende geht es hier um People Business und Skill Märkte (Angebot und Nachfrage) aber das wollen einige nicht wahr haben. Ständig neue Buzzwords für die trivialsten Dinge, die zudem meist nichtmal neu sind.
Und jetzt werden sich die Leser fragen: Ja, aber generative KI!!! Ja, warten wir mal ab :-)
Gruss aus dem Clubhouse (Die App, die die Welt revolutioniert)
Vermeintlich originelle Filmchen-Bewerbungen haben sich längst abgenutzt. Landen bei mir im Briefkorb. Wünsche mir als Personalerin, dass ich weiterführende Infos bekomme, die Bezug nehmen auf die vakante Stelle. Lieber altmodisch verfasst als narzisstischer Höhenflug, der mit Selbstüberschätzung einhergeht.
Lieber Florian
Danke für deine Expertise zum Thema. Auch andere Profis im Markt bestätigen deine Einschätzung. Es ist schade, dass hier nicht mehr Substanz dahinter ist. Ein Uber für Recruiting würde gut tun. Magst du das nicht mal entwickeln? :)
Problem perfekt erkannt und Artikel on Point verfasst! Vielen Dank! Viel heisse Luft, das sich sehr schnell wieder abkühlt.
Ein sehr gelungener Beitrag. Vielen Dank.