50+: Fatales Opfer-Täter-Spiel

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Blogger-Vignette-11_BlogAn der HWZ-Arena wurden am 11. November die Herausforderungen und Schwierigkeiten der über 50-Jährigen auf dem Arbeitsmarkt diskutiert. Auch HR Today berichtete darüber: «Während auf dem Podium zivilisiert diskutiert wurde, kam es aus den Reihen des Publikums zu emotionalen Zwischenrufen.»

Von einer Podiumsteilnehmerin wurden einzelne frustrierte Erwerbslose im Publikum, die mit Zwischenrufen Gesellschaft, Wirtschaft und Co kollektiv beschuldigten, bestärkt. Die Vertreter der RAV und des Arbeitgeberverbandes wurden in die Kritik genommen. Die heisse Schuld-Kartoffel wurde auf Reisen geschickt.

Für mich ist dies eine fatale Art, mit den ernst zu nehmenden Problemen der Erwerbstätigen 50+ umzugehen. Fallen Erwerbslose in eine Opferrolle und sind sie überzeugt, dass Staat, Unternehmer und Gesellschaft für ihr Unglück verantwortlich sind, werden sie sich schwerlich erfolgreich neu positionieren können.

Selbstverständlich wünsche ich mir auf politischer Ebene Veränderungen. Diese Mühlen mahlen aber langsam. Einzelschicksale verlangen individuelles Handeln – jetzt! Für direkt Betroffene erreicht man nichts, indem man kollektive Schuldzuweisungen macht. Dies führt eher noch dazu, dass Einzelne ihre Eigenverantwortung zu wenig wahrnehmen. Und: Nimmt man jemandem die Verantwortung, nimmt man ihm die Würde.

Ich plädiere dafür, dass man Erwerbslose befähigt, sich über Vernetzung und über die sozialen Medien neu zu positionieren – und nicht auf 100 gleichlautende Bewerbungen zu setzen. Ich bin überzeugt, dass man bereits in frühen Jahren immer mal wieder eine berufliche Standortbestimmung vornehmen und eine Bilanz über die eigene Arbeitsmarktattraktivität ziehen soll – aus den eigenen Schuhen UND aus denjenigen der Arbeitgeber. Was braucht unsere Wirtschaft, um im internationalen Konkurrenzkampf bestehen zu können? Was kann ich persönlich dafür tun, dass ich mich mit erworbenen «Zukunftskompetenzen» auch in kommenden Jahren positionieren kann? Die Verantwortung für das berufliche «à jour»-Bleiben hat jeder selbst. Was grundsätzlich gilt – «Das Alter ist der Spiegel des Lebens» – gilt auch oft für das Berufsleben.

Betroffen sind alle. Auch HR-Fachleute und Vorgesetzte werden älter. Von ihnen erwarte ich, dass sie einerseits mit der Gestaltung der eigenen Laufbahn Vorbildfunktion übernehmen, und dass sie anderseits die Mitarbeitenden mit Weiterbildungs- und Laufbahnberatung unterstützen, arbeitsmarktattraktiv zu bleiben – und so mithelfen, dass Erwerbstätige ihre Talente und Kompetenzen verstärken – und gar nicht erst in eine Opferrolle geraten. Generell ihre Mitarbeitenden nicht defizitorientiert wahrnehmen, sondern den Fokus auf das Potenzial richten. So bleiben ihre Mitarbeitenden gut vermittelbar, sollten denn für das Unternehmen Entlassungen unabdingbar werden – egal, wie alt sie sind.

Buchtipp: Regula Zellweger: Beruflich nochmals Durchstarten. Arbeitsbuch zur Laufbahngestaltung für Menschen ab der Lebensmitte. Rund 70 Seiten führen von Standortbestimmung und Potenzialanalyse über Laufbahnplanung zum Neupositionieren und zum Umsetzen der neuen Ziele. Plus 44 Arbeitsmittel zum Herunterladen.

5 comments for “50+: Fatales Opfer-Täter-Spiel

  1. Röthlisberger Franziska
    18. April 2017 um 17:11

    Für mich ist diese Aussage immens wichtig: Es ist es höchste Zeit, dass wir alle begreifen, dass diese Wechsel nicht länger Einzelschicksale und wenn möglich selbstverschuldet sind, sondern dass es sich jetzt und in Zukunft noch vermehrt um grundlegende strukturelle Veränderungen in der Arbeitswelt handelt. Und nur weil ein 60+ ein Zertifikat fehlt bedeutet es nicht, dass sie/er das geforderte Wissen nicht erworben hat! Hier haben die Rekrutierer kein Vertrauen in Berufserfahrung sondern Sie gehen einfach davon aus, dass wenn jemand einen Abschluss besitzt, dass er das dann schon kann und was bedeuten denn schon 40 Jahre Berufserfahrung!?

  2. Hans Gurtner
    2. Februar 2017 um 18:54

    Ich bin keineswegs der Meinung, dass es keine Täter und Opfer gibt. Meine Erfahrungen in der Hinsicht sind um einiges anders. Vieles was in den HR abläuft hat teilweise schon Mobbingcharakter. Natürlich gibt es dazu auch eine Gegenseite. Mir stösst jedoch auf, dass Firmen ihre Mitarbeiter als reine und ich meine REINE Kostenfaktoren sehen. Der Ausdruck „Human Kapital“ impliziert das ja schon. Darum wurde es in 2004 wohl auch zum Unwort des Jahres gewählt. In heutiger Zeit werden Firmen ver- und gekauft zu Preisen, die ausser einer einzigen Sicht auf schnellen Gewinn nichts übrig lässt. Die Raider lassen grüssen. Gekaufte Firmen müssen umgehend doppelten Gewinn machen, um die Ausgaben schnellstens wieder in klingende Münze zu wandeln. Geht natürlich am einfachsten mit Entlassungen. Die Verbliebenen werden mit der Arbeit der nicht ersetzten zugedeckt. Und wenn diese an die Wand gefahren sind mit einem Burnout (da habe ich zig Beispiele) dann werden sie auf den nächstmöglichen Termin (oder möglichst noch früher) gekündigt. Ich habe praktisch nie erlebt, dass sich das HR ernsthaft für nur eine der Lösungen, die sie ansprechen, stark gemacht hätte. Und bevor ich’s vergesse – man hat dann zwei neue (junge weil billiger) Mitarbeiter eingestellt, da irgendwer doch noch drauf gekommen ist, die Arbeit kann halt leider doch nicht nur mit einer Person bewältigt werden. Na so was?
    Nun ja, die „Geiz ist geil“ Generation sitzt jetzt an den Schalthebeln der Macht, da wird’s für 50+ eng. Wir werden sehen was passiert, wenn die in die Jahre gekommen sind. Welchen Schönschwätzern die gegenüberstehen. Ich denke mal der Terminus, dass man die Entlassung einfach nur als persönliche Chance sehen sollte, wird sie dann ebenso wenig positiv einstellen, wie die jetzigen Arbeits- (Entschuldigung) Stellenlosen. Arbeit ist ja schliesslich genug da um eine neue Stelle zu finden. Aber wahrscheinlich gibt’s dafür vermutlich auch schon eine „Alternative Wahrheit“. Verbesserung der Einkommenssituation mit Zweit- und Drittjobs.
    Irgendwelche „Berater“ werden auch für sie in schöne Worte fassen, was Stellenlose grundsätzlich alles falsch machen, weil keine Stelle zu finden ist. Manchmal komme ich mir vor wie in der Kirche wo der Pfarrer den Eheleuten sagt wie sie mit Sexualität umzugehen haben. In der Theorie wunderbar. In der Praxis ….. Wir sollten endlich von den Schlaustudierten mit ihren Patentrezepten wegkommen und uns wieder den Praktikern zuwenden. Es könnte ja sein, wir kommen mit Leuten, die Zupacken weiter als mit Theoretikern. Vor allem all die Lippenbekenntnisse der Firmen zur „Wertschätzung der älteren Mitarbeiter“ hätte ich gern umgesetzt gesehen. Zum Beispiel mit einer Umplazierung innerhalb. Nur schon um das Firmen know how zu behalten (wie bewege ich mich in der Firma um von A nach F zu gelangen ohne Zeitraubende Umwege über B-C-D-E machen zu müssen). Doch dazu müsste Kostenwahrheit neu definiert werden. Und die müsste dann auch Verantwortet werden. Aber Nihilisten tragen keine Verantwortung. Grundsätzlich ist schon mal jegliche Verantwortung abgeschoben. Irgend jemand anders ist Schuldig. Mit Einführung amerikanischer Verhältnisse, wonach irgend einer auf jeden Fall schuldig ist, vorzugsweise der am Ende der Kette, in unserem Fall der Stellenlose, hat man sich elegant aus der Verantwortung gestohlen.

  3. R. Baumgartner
    26. November 2016 um 21:46

    Nur weil man die „Täter“ benennt, macht man sich nicht zum „Opfer“. Aber in Zeiten des politisch Korrekten ist es halt nicht opportun, emotional dazwischenzurufen. Stattdessen steht „zivilisiertes Diskutieren“ (aka „Schönschwätzen“) auf dem Programm. Und nachher wundern sich die Leute auf dem Podium von Politik und Wirtschaft (aka „Eliten“), wie Wahl- und Abstimmungsergebnisse ausfallen…

  4. 24. November 2016 um 9:59

    Sehr geehrte Frau Zellweger

    ich bin Ihnen sehr dankbar für Ihre Äusserungen. Die Mitglieder des nationalen Dachverbandes SAVE 50Plus Schweiz haben sich spätestens beim Aufnahmegespräch von der Opferrolle verabschiedet. Unsere 50Plus-Organisation nimmt genau diesen wichtigen Punkt SELBSTVERANTWORTUNG als Ansatz für alle 50Plus-Fachseminare. Wir ältere Arbeitnehmenden und Arbeitslosen haben nach wie vor gute Chancen auf dem Arbeitsmarkt, aber wir müssen uns neu erfinden wie andere auch. Wichtig ist dabei, dass wir als schweizweite 50Plus-Organisation von Behörden und Fachkräften ernst genommen werden. Das ist auch zunehmend der Fall. Ohne die Einbindung der Direktbetroffenen fehlt eine zentral wichtige Perspektive und das führt nicht zu wirksamen Lösungen sondern zu weiteren Alibi die nur wieder Geld kosten.

    Daniel G. Neugart
    SAVE 50Plus Schweiz
    Präsident und Geschäftsführer

    http://www.save50plus.ch/schulung-und-marketing.php

    • 25. November 2016 um 17:31

      Wir brauchen laufend neue Kompetenzen, holen wir sie uns!

      Die eigene Arbeitsmarktfähigkeit müssen wir selber im Auge behalten. Doch das Leben bietet immer wieder Brüche und Unterbrüche. Im Verlauf unserer Erwerbsbiographie werden wir mehrmals das Berufsfeld und die Branche wechseln, sei es weil wir es so wollen oder weil uns die Umstände dazu zwingen.

      Als Arbeitnehmende verlieren wir dadurch vielleicht unseren heutigen Job. Doch es entstehen auch laufend neue Jobs, die nach neuen Kompetenzen verlangen
      Mit dem Label Modell F für Bildungsinstitutionen haben wir neue Lösungen dafür gefunden, wie Erwachsene, eben auch 50+, aus ihrem Fachbereich in neue Berufsfelder wechseln können und dabei an den Höheren Fachschulen und Fachhochschulen nur noch jene Kompetenzen erwerben müssen, die ihnen tatsächlich fehlen. Alle Weiterbildungsangebote führen zu eidg. anerkannten Abschlussen, einfach schneller und billiger. Auch während der Arbeitslosigkeit.

      Weitere Infos unter http://www.modellf.ch und http://www.informa-modellf.ch

      Es ist es höchste Zeit, dass wir alle begreifen, dass diese Wechsel nicht länger Einzelschicksale und wenn möglich selbstverschuldet sind, sondern dass es sich jetzt und in Zukunkunft noch vermehrt um grundlegende struktruelle Veränderungen in der Arbeitswelt handelt. Als Arbeitnehmende verlieren wir dadurch vielleicht unseren heutigen Job. Aber als Bürgerinnen und Konsumentinnen profitieren wir möglicherweise von diesen Neuerungen.

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