Es ist doch eigentlich nichts dabei, wenn Coaches aus ihren Sessions mit Mitarbeitenden Informationen an die Geschäftsleitung weitergeben. Ist es nicht normal, dass die Auftraggebenden des Coachings erfahren wollen, worüber gesprochen wird?
Ein Start-up mit starkem Wachstum beauftragt einen Coaching-Anbieter, um den Veränderungsprozess zu begleiten. Der Betrieb transformiert sich aus einem familiären Gründerumfeld mit wenigen Mitarbeitenden zu einem globalen Konzern mit weltweiten Filialen. Es wird ein Programm für eine gezielte Kulturveränderung initiiert, das digitale Einzel- und Gruppencoachings für die Change-Begleitung vorsieht.
Die Geschäftsleitung wähnt sich aufgrund der aktuellen Entwicklungen immer weiter von der Basis entfernt und hätte gerne mehr Einblick. Daher ist vorgesehen, Rückmeldungen der Coaches einzuholen. Mittels Online-Formular stellt die Geschäftsleitung folgende Fragen: Worüber wurde in den Sessions gesprochen? Welche Schwächen sind erkennbar hinsichtlich der angestrebten Ziele? Worüber beklagen sie die Mitarbeitenden am häufigsten?
Angewandte Ethik im Coaching
Eine Mitarbeiterin erwähnt vertrauensvoll gegenüber ihrem Coach, dass Gerüchte umgingen, dass vertrauliche Informationen aus dem Coaching mit den Auftraggebenden geteilt würden. Deshalb möchte sie wissen, ob er das Besprochene nach der Session auch an die Geschäftsleitung weitergebe. Sie fände das schwierig, da es sich unangenehm anfühle und grundsätzlich die Vertraulichkeit des Coachings und darüber hinaus das Vertrauen in die Unternehmenskultur in Frage stelle.
Grundsätzlich ist es die Aufgabe von HR, Learning und Development sowie des Managements, die eingesetzten Ressourcen mit den erzielten Resultaten des Coachings abzugleichen. Die Erfolgsmessung bleibt jedoch eine Herausforderung und es bietet sich deshalb an, die Coaches diesbezüglich zu befragen.
Hier gilt zu berücksichtigen, dass professionelle Coaches sich ethischen Richtlinien verpflichten, die insbesondere auch die Vertraulichkeit und Rückmeldungen an die Auftraggebenden adressieren. Diese Grundlagen sind bei relevanten Verbänden wie der International Coaching Federation (ICF) oder dem European Mentoring and Coaching Council (EMCC) in entsprechenden Ethikcodes geregelt.
Wie kann ethisches Verhalten unterstützt werden?
Zu Beginn eines Coaching-Programms sollte genau geklärt werden, wann welche Informationen abgegeben werden und in welcher Form das geschieht. Spontan aus einer Laune heraus ein Feedback von Coaches abzufragen, scheint keine gute Idee bezüglich Vertrauensbildung zu sein.
Genau hier die liegt auch die Knacknuss im Start-up-Beispiel. Besteht bereits eine Vertrauenskultur, in der man offen sprechen kann, ohne Nachteile zu befürchten, dann teilen sich Mitarbeitende auch mit. Fehlt diese Grundlage, führt der Versuch von Spionage mittels Coaching zu einem weiteren Vertrauensverlust und zu einer Verfestigung dieser Misstrauenskultur. Es entstehen dadurch Nachteile für die Auftraggebenden, die Mitarbeitenden und das Coaching.
Besser ist es, wenn Coaches ausschliesslich über die Anzahl durchgeführte Sitzungen und bei Abweichungen der Zielvereinbarungen oder anderen Störungen informieren. Individuelle inhaltliche Fragen sollten jedoch ausschliesslich unter Einbezug der Mitarbeitenden eingeholt werden, da diese genau wissen, in welcher Form sie welche Informationen teilen können. Auftraggebende, Mitarbeitende und Coaches vereinbaren zu diesem Zweck gemeinsam Feedback-Gespräche, wobei professionelle Coaches zu angemessenen Formaten wie zu den Ethik-Richtlinien ihrer Verbände Auskunft geben.
Fazit
Ja, Auftraggebende sollen sich für die Ergebnisse des Coachings interessieren und dazu Informationen einholen. Es ist jedoch nicht in Ordnung vertrauliche Details aus den Gesprächen der Coaches zu erfragen, da dies geltende Ethik-Grundlagen und die Vertrauensbasis verletzen kann.
Es sollten daher Abmachungen zu Feedback aus dem Coaching unter Einbezug von Mitarbeitenden und Coaches von Beginn weg vereinbart werden. Insgesamt sind weniger Spionage und mehr offene Absprachen zu empfehlen. Die nachfolgenden Fragen können zusätzlich einer Reflexion zum Thema dienen.
Toolbox:
Fragen für Auftraggebende und Einkäufer von Coaching
- Sind die Ziele, Erwartungen, Rollen, Möglichkeiten und Grenzen des Coachings geklärt?
- Sind die Zeitpunkte für Rückmeldungen vereinbart worden: wann, wie oft, was, mit wem?
- Was ist wichtig und worüber muss wirklich informiert werden?
- Hat der Coach über ethische Grundsätze informiert und was ist noch zu klären?
- Wie kann ethisches Verhalten im Unternehmen und im Coaching gefördert werden?
Alle Coachings haben grundsätzlich ein gemeinsames Ziel, nämlich die Selbstreflexions- und Selbstführungsfähigkeit der Coachees zu fördern und zu stärken.
Von daher gehört es wenn nötig dazu, im Coaching zu klären, was vom im Coaching Besprochenen vom Coachee (Frau oder Mann) seinem direkten Vorgesetzten oder gar höheren Vorgesetzten berichtet werden sollte und ob der Coachee das tun will und wie er es am besten tun kann.
Vielleicht ergibt sich im Verlauf des Gesprächs, dass der Coachee den Coach beauftragt, bestimmte der Informationen aus dem Coaching an bestimmte vorgesetzte Stellen weiterzugeben, wenn er es aus bestimmten Gründen nicht tun kann oder will.
Das sollte aber seltene Ausnahme sein und schriftlich vereinbart werden, was wem bis wann mitgeteilt wird. Weiter sollte dann im Coaching geklärt werden, was den Coachee daran hindert, seine Vorgesetzten selbst zu informieren.
Grundsätzlich ist die Schweigepflicht des Coachs heilig.