Wie «gesund» ist Lohntransparenz?

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Rund um das Thema «Lohntransparenz» ist in den letzten Monaten ein wahrer Hype entstanden. Unternehmen, die sich entschieden haben, die Löhne aller Mitarbeitenden offenzulegen, ziehen die Aufmerksamkeit von Arbeitsuchenden und Medien geradezu magnetisch an. Doch wie hoch ist der Impact von Lohntransparenz als «Gamechanger» tatsächlich? Wie wirkt sie sich z.B. in der Zusammenarbeit aus? Welchen Einfluss hat sie auf das Wohlbefinden und die psychische Gesundheit der Mitarbeitenden? Sollte sie Bestandteil eines systematischen Betrieblichen Gesundheitsmanagements (BGM) sein?

Antworten auf diese Fragen und wertvolle Einblicke in den Transformationsprozess zur Lohntransparenz bekomme ich von Manuel Wiesner, Co-Lead Stratgey & Innovation und Mitglied des Verwaltungsrats der Familie Wiesner Gastronomie AG (FWG), und Unternehmensberaterin sowie Expertin für Employer Branding Annina Brühwiler von DoDifferent, die die FWG in verschiedenen Projekten begleitet.

Die FWG gehört in der Schweiz zu den Pionieren der Unternehmen mit voller Lohntransparenz.

Schluss mit Spekulationen und Gerüchten

Den Schritt von der Theorie in die Praxis realisierten Manuel Wiesner und sein Bruder Daniel Wiesner im März 2021. Im Rahmen der jährlichen Präsentation der Geschäftszahlen vor den Mitarbeitenden legten sie ihre Geschäftsleitungslöhne offen. Damit gaben sie das Startsignal für die unternehmensweite Einführung der Lohntransparenz – und ernteten sehr positive Resonanz von ihren rund 1000 Beschäftigten.

Unter anderem Auslöser für den Entscheid der beiden Brüder, die das Familienunternehmen seit 1. Januar 2020 in zweiter Generation führen, waren die in der Mitarbeiterschaft kursierenden Gerüchte über die Löhne. «Wir wollten, dass damit ein für alle Mal Schluss ist. Solche Spekulationen aufgrund von Intransparenz gehören zu den wesentlichen Ursachen für Missgunst und De-Motivation. Etwas, das einer guten, für alle Beteiligten erfolgreichen Zusammenarbeit definitiv im Weg steht», erklärt mir Manuel Wiesner.

Die Transformation in der FWG zu einem Unternehmen mit praktizierter Lohntransparenz erfolgte zügig ab dem Start. Zwei Massnahmen spielen in diesem Zusammenhang eine wichtige Rolle. Zum einen der eigens entwickelte und programmierte Lohnrechner. Dieser eröffnet bereits Bewerbenden die Vorteile der Lohntransparenz. Anstatt der üblicherweise in Stelleninseraten angegebenen ungenauen Lohnbandbreite, erhalten die Interessentinnen und Interessenten mit diesem Tool bereits bevor sie sich bewerben Klarheit über die Konditionen.

Zum anderen haben alle Mitarbeitenden die Möglichkeit, mittels einer Lohnanfrage die Lohnhöhe jeder Kollegin oder jedes Kollegen zu erfahren.

Und welches Fazit einer vollen Lohntransparenz kann er nach einem guten Jahr ziehen, frage ich Manuel Wiesner. «Lohn ist bei uns kein Thema mehr», lautet seine spontane Antwort und er fährt fort: «Die Lohntransparenz hat Ruhe in die Organisation gebracht und zu einer deutlich entspannteren Atmosphäre aller untereinander beigetragen. Missgunst und Neid sind nahezu verschwunden.»

Damit einher geht eine gestärkte psychologische Sicherheit für die Mitarbeitenden. Eine Entwicklung, die insbesondere auf die psychologische Gesundheit «einzahlt», das heben sowohl Annina Brühwiler wie Manuel Wiesner deutlich hervor und spannen damit den Bogen zum BGM.

BGM-Massnahme Lohntransparenz – wichtiges Puzzleteil und kein «Allheilmittel»

Danach befragt, für wie relevant sie Lohntransparenz als Massnahme innerhalb eines systematischen BGM erachten, betonen beide Gesprächspartner, dass sie unbedingt ein integrativer Bestandteil sein sollte. Einerseits wegen des bereits genannten Grundes und andererseits dank ihres positiven Effekts auf das Employer Branding, den ein systematisches BGM per se bereits hat und der so noch gestärkt wird. Gleichzeitig macht Annina Brühwiler klar: «Wer glaubt, Lohntransparenz allein sei ausreichend als gesundheitsfördernde Massnahme für seine Mitarbeitenden respektive als BGM, ist auf dem Holzweg. Sie ist ein Puzzleteil in einem unternehmensspezifische aufeinander abgestimmten BGM-Gesamtkonzept. Erfolgsentscheidender Faktor in diesem Zusammenspiel ist und bleibt allerdings eine Unternehmenskultur, die an entsprechenden Werten wie Vertrauen, Respekt, Nachhaltigkeit etc. ausgerichtet ist, sonst funktioniert’s nicht.»

Voraussetzungen, die bei der FWG gegeben sind. So hat auch der Aufbau eines systematischen BGM bereits vor geraumer Zeit begonnen und wird als kontinuierlicher Prozess weiterentwickelt. Mit dem Ziel, das Unternehmen im 2023 für das Label «Friendly Work Space» von Gesundheitsförderung Schweiz assessieren zu lassen. Das Spektrum der gesundheitsfördernden Massnahmen reicht bei FWG von spezifischen Förderprogrammen sowie Weiterbildungen und 1:1 Leadership-Coachings über Angebote zur (anonymen) Schuldenberatung für Mitarbeitende, die eigene FWG-Foundation als zusätzliche Unterstützung für die Mitarbeitenden in Schwierigkeiten, Optimierungen für Prozesse und Ergonomie bis zur jüngst als Pilotprojekt gestarteten 4-Tage-Woche und – natürlich – Lohntransparenz.

Wer zu diesem Thema gerne noch tiefere Praxiseinblicke gewinnen will, hat dazu beispielsweise Gelegenheit im Rahmen der BGM Tagung 2022 am 31. August in Bern. Dort beleuchten Annina Brühwiler und Manuel Wiesner den «Gamechanger Lohntransparenz» in Keynote und Livetalk.

Das Führungsteam der 2. Generation der Familie Wiesner Gastronomie AG: Daniel (links) und Manuel Wiesner führen das Familienunternehmen als Co-Lead Strategy & Innovation weiter. (Foto: zVg)

Annina Brühwiler, Unternehmensberaterin und Expertin für Employer Branding, DoDifferent AG. (Foto: zVg)

2 comments for “Wie «gesund» ist Lohntransparenz?

  1. 10. Juni 2022 um 11:30

    Interessante Vermutung, dass es einen Zusammenhang zwischen Lohntransparenz und Gesundheit der Mitarbeitenden gibt und dass sie deswegen in ein gutes BGM integriert sein sollte. Gibt es dazu schon belastbare Studien?

  2. 9. Juni 2022 um 14:28

    Ein nicht unwesentlicher, zusätzlicher Aspekt in der Diskussion um Lohntransparenz ist derjenige der Gewinn- resp. Überschussbeteiligung. Wir sind hier seit unserer Gründung 1994 ebenfalls vollkommen transparent, genau so wie bei den normalen Monats-/Jahresbezügen. Aber hierzu gibt es dann schon mehr Diskussionen über Zuteilungsgerechtigkeit und Stimmigkeit des Systems – die Überschussbeteiligung ist oft ein wesentlicher Faktor im Jahreslohn. Aber genau das ist eben auch ein Hygienefaktor – unternehmerisches Ausdiskutieren von Grundlagen und Modellen von allen / durch alle, um die «Beute» temporär so gerecht wie möglich zu verteilen.

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