Unser Beratungsalltag ist alles andere als langweilig. Doch auch bei uns gibt es Erlebnisse, die herausstechen. An einem kalten Januartag dieses Jahres nahmen zwei harmlose Referenzauskünfte eine haarsträubende Wendung – und lieferten uns eine Geschichte, die es wert ist, erzählt zu werden.
Die spannendsten Geschichten entstehen oft, wenn wir es am wenigsten erwarten – mitten im täglichen Leben. So auch vergangenen Januar in Zürich, als sich aus zwei scheinbar harmlosen Referenzauskünften unerwartet ein kleiner Krimi entwickelte. Die nachfolgende Geschichte ist unglaublich, aber wahr. Sie hat sich genau so zugetragen.
Erster Akt: Der Kandidat
Die Geschichte beginnt unaufgeregt: Ich bin mit der Suche eines Fachspezialisten für einen Kunden beauftragt. Glücklicherweise finde ich auf dem ausgetrockneten Personalmarkt einen geeigneten Kandidaten für die Stelle. Bei einem ersten Video-Interview lerne ich ihn kennen. Ich bin begeistert von seinen Fachkenntnissen und seiner Persönlichkeit – und auch davon, dass er fliessend Deutsch spricht, wenn auch mit starkem Akzent. Der Kandidat erweist sich zudem als wohltuend höflich. Vielleicht sogar eine Spur zu höflich, aber lieber so als umgekehrt. Ich stelle den Kandidaten meinem Kunden vor.
Zweiter Akt: Das Treffen
Knapp zwei Wochen später findet die persönliche Begegnung zwischen dem Kunden, seinem Stellvertreter und dem Kandidaten am Firmensitz statt. Ich selbst wohne dem Gespräch als stille Beobachterin bei.
Dabei beweist der Kandidat allerbeste Umgangsformen und fällt durch auserlesene Freundlichkeit und betonte Zuvorkommenheit auf. Er ist höchstens ein wenig formell und zu verkrampft um einen guten Eindruck bemüht. Das ist aber bei Kandidaten und Kandidatinnen keine Seltenheit und oft der Situation geschuldet. Im fachlichen Austausch besticht er durch hohe Kompetenz und langjährige Erfahrung. Er hat nach seiner Ankunft in Europa eine beispielhaften Tellerwäscher-Karriere hingelegt, mit der er es bis zur Doktorwürde auf seinem Gebiet geschafft hat.
Mit seiner Redegewandtheit und seinem Enthusiasmus gewinnt der Kandidat die Sympathien der Gesprächspartner. Er macht alles richtig: Hier ein Spässchen, da ein Dank, hier eine interessierte Frage, da ein passender Kommentar. Er scheint der perfekte neue Stelleninhaber zu sein. Es fehlen nur noch ein Folgetreffen mit dem Team sowie zwei Referenzauskünfte. Um diese kommt in unserer Firma niemand herum – und das aus gutem Grund.
Der Kandidat erweist sich bei der Bekanntgabe zweier Referenzpersonen als kooperativ und effizient. Alles andere hätte mich zu diesem Zeitpunkt auch erstaunt. Er liefert die Namen von zwei Vorgesetzten – von seiner aktuellen wie auch seiner früheren Stelle – mitsamt Handynummern.
Dritter Akt: Der Verdacht
Zwei Tage später telefoniere ich im Abstand einer knappen Stunde mit den beiden Herren. Per Zufall sind beide fast zum gleichen Zeitpunkt verfügbar.
Referenzperson Nummer eins hat einen ausländisch klingenden Namen und spricht Deutsch mit starkem Akzent. Ich frage, ob ihm Deutsch oder Englisch lieber sei. Er entgegnet, dass Portugiesisch am besten wäre, ich dessen aber vermutlich nicht mächtig sei. Das stimmt. So führe ich das Gespräch auf Deutsch.
Eigentlich alles unverdächtig. Bis auf den Punkt, dass mich der Herr in seiner Ausdrucksweise etwas an den Kandidaten erinnert. Meine Antennen sind geschärft.
Kurz darauf erfolgt das Gespräch mit der zweiten Referenzperson. Der Herr mit Schweizer Nachnamen und wiederum fremdländisch klingendem Akzent erklärt, Sohn einer Schweizer Mutter und eines Vaters aus demselben Land wie der Kandidat zu sein. Er sei in der Schweiz aufgewachsen. Ich frage mich, warum er dann nicht besser Deutsch spricht.
Er betont mehrmals, krank zu sein und darum dem Gespräch nur mit geschwächter Stimme folgen zu können. Auch er hat in seiner Sprache Ähnlichkeiten mit dem Kandidaten und der ersten Referenzperson.
Als er dann teilweise auch noch dieselben Ausdrücke wie seine beiden «Kollegen» verwendet, ist mein Misstrauen endgültig geweckt. Handelte es sich hier gar zweimal um dieselbe Referenzperson – oder dreimal um den Kandidaten.
Vierter Akt: Die Nachforschung
Mein Verdacht erhärtet sich, als ich keinen der beiden Namen der Referenzpersonen im Internet finde. Auf den Ermittlungs-Geschmack gekommen, rufe ich am nächsten Morgen die Arbeitgeber der Referenzpersonen an – um wenig erstaunt bestätigt zu bekommen, dass weder der eine noch der andere Name firmenintern bekannt ist.
Daraufhin ziehe ich zur Absicherung einen Bekannten hinzu, der die mysteriösen Herren unter einem Vorwand anruft. Dabei gibt die «erste Referenzperson» den Namen des Kandidaten als seine Identität an. Die «zweite Referenzperson» hat wohl erkannt, dass die Luft dünn wird. Sie hängt das Telefon auf – um kurz darauf zurückzurufen und meinen Bekannten zu beschimpfen.
Es kommt noch dreister: Wenige Minuten später ruft mich der Kandidat an und fragt, ob es geklappt habe mit den Referenzauskünften. Auf meine Entgegnung, dass ich deren Namen leider nicht im Internet finden konnte, um die Schreibweisen zu verifizieren, entgegnet er: «Meine Geschäftsbekannten tummeln sich eben nicht im Internet.» Eine Stunde später schreibt er, dass der eine Herr im Telefonbuch aufgeführt sei und der andere auf Instagram – als Beweis liefert er einen Screenshot des vor wenigen Minuten erstellten Accounts.
Fünfter Akt: Die Auflösung
Nach nochmaligen Rückfragen bei den Arbeitgebern des Kandidaten beginnt sich das Puzzle zusammenzusetzen. Der Kandidat hat seinen angeblich aktuellen Arbeitgeber vor mehr als zwei Jahren verlassen. Die Angaben zur früheren Stelle stimmen.
Für den Kunden ist längst klar, dass er diesen Kandidaten nicht in seinem Team haben will. Lieber ein Ende mit Schrecken…
Doch ganz zu Ende ist die Geschichte noch nicht. Denn der ertappte Betrüger deckt mich im Anschluss noch einmal telefonisch und schriftlich mit gröbsten Beschuldigungen, Beleidigungen und Einschüchterungen ein. Ich lasse sie ins Leere laufen.
Nachwort: Unser Fazit
Neben aller Fassungslosigkeit wollen wir natürlich auch die Schlussfolgerungen mit Ihnen teilen, die wir aus dem Erlebten ziehen.
Erstens: Die Wahrheit ist immer die bessere Option. Hätte der Kandidat offen dargelegt, dass er seinen Job verloren und seither auf dem Arbeitsmarkt Pech gehabt habe, wäre das Verständnis des Kunden vermutlich grösser gewesen. So hingegen hat er sich diese Chance verbaut.
Zweitens: Obwohl die Aussagekraft von Referenzauskünften oft belächelt wird, lohnen sich kritisch und aufmerksam geführte Nachfragen. Unser kleiner Krimi ist natürlich ein Extrembeispiel. Doch wir haben auch schon andere abschreckende Referenzauskünfte erhalten, die letztlich zu Absagen geführt haben. Die investierte Zeit und das Heraushören feiner Zwischentöne lohnen sich alleweil.
Drittens: Was führt einen Kandidaten zu einer solchen Aktion? Wir sind weit davon entfernt, das Verhalten entschuldigen zu wollen. Doch es kann durchaus auch etwas mit der weit verbreiteten Haltung von Arbeitgebern zu tun haben, nur «perfekte» Kandidaten einstellen zu wollen und jede noch so kleine Unebenheit im Lebenslauf als Ausschlusskriterium zu behandeln. Unser kleiner Krimi zeigt deshalb auch, dass Authentizität und Ehrlichkeit wichtige Werte sind. Und dass wir auch nicht ganz perfekten Kandidaten eine Chance geben sollten – vor allem, wenn diese den Mut haben, zu ihren Schwächen zu stehen.
Wow, was für eine Geschichte. So schade hat es sich der Kandidat auf diese Art und Weise verspielt und umso trauriger hatte er (wohl leider zu Recht) Angst, dass sein letzter Abschnitt im Lebenslauf ihm im Weg stehen würde. Dass er lösungsorientiert und kreativ an Probleme herangeht, hat er mit dieser Aktion jedenfalls bewiesen!
Danke für den Kommentar – ja, hätte der Kandidat seine Energie und Kreativität in andere, aufrichtigere Kanäle geleitet, wären dies in der Tat starke Ressourcen.
Das ist genau, was ich denke. Er hat aus Verzweiflung gehandelt, schuld ist sicher auch unsere Leistungsgesellschaft. Alles muss perfekt sein und er wollte nur arbeiten. Ein Sträflingspriester hat erzählt, dass er einen jungen Mörder an ein Bewerbungsgespräch begleiten musste. Er bat ihn, ihm beim Schreiben des Curriculums zu helfen. Der Priester sagte ihm, er solle nur ehrlich sein. Der Priester las das Curriculum nicht und der Sträfling bekam die Stelle. Der Priester fragte, dann den Arbeitgeber, was der Sträfling geschrieben hätte: ich bin ein Mörder und werde es Leben lang es sein, aber ich möchte arbeiten und es besser machen.
Das Leben schreibt immer noch die besten Geschichten. Diese zeigt unter anderem auf, wie sehr wir alle auf einen dem Mainstream entsprechenden Eindruck hinarbeiten. Wie die Autorin treffend feststellt, sind Authentizität und Ehrlichkeit die besten Begleiter im (Berufs-) Leben.
Wie wahr ist Dein Kommentar! Merci! Ein „hoch“ auf die Aufrichtigkeit und die Zwischentöne des Lebens!
Danke für die Zustimmung, lieber Thomas Weber. Referenzauskünfte werden wirklich zu Unrecht als Pro Forma-Feigenblatt-Aktion gehandelt – der Preis hierfür ist nicht selten (zu) hoch. Nun sind wir schon zwei Befürworter eines «genauen Fragens und Hinhörens»!
Wahnsinn, dieser Vorfall – Danke für die spannende Darstellung und konkreten Schlussfolgerungen!
Kann die Bedeutung von Referenzauskünften nur unterstreichen, und zwar nicht Alibi-Übungen, bei denen der Befrager nur seine – meist – positive Meinung bestätigt sehen möchte, sondern solche der inquisitiven oder fast investigativen Art. Dabei braucht es Gespür und Beharrlichkeit, um kritische Aspekte ans Tageslicht zu bekommen. Beharrliches Fragen wie «wenn Sie etwas Kritisches sagen müssten» und sich nicht mit «Nichts» oder Allgemeinplätzen abspeisen zu lassen, helfen dabei.