Der Jahreswechsel ist die Zeit der guten Vorsätze – warum also nicht auch fürs Recruiting? Während der Personalmangel zunimmt und die Zahl der Erwerbstätigen schrumpft, bleibt eine wertvolle Gruppe oft übersehen und zu Unrecht unterschätzt: Arbeitnehmende über 55. Zeit für einen Denkanstoss, warum die Vorurteile unrechtmässig sind.
«Diese Person ist zu alt», höre ich im Recruiting immer wieder. Bewerbende über 55 Jahren haben es schwer, eine neue Stelle zu finden und sind deutlich zurückhaltender, wenn es um einen Stellenwechsel geht. Obwohl sie über jahrzehntelange Erfahrung, wertvolles Branchenwissen und eine hohe Motivation verfügen, sind diese Argumente im Bewerbungsprozess häufig redundant, da sie auf die Begründung «zu alt» reduziert werden.
Weniger Fluktuation, mehr Stabilität
Während jüngere Arbeitnehmende häufig nach wenigen Jahren wechseln, bleiben ältere Fachkräfte oft langfristig in einem Unternehmen. Das bedeutet weniger Kosten für Rekrutierung, Einarbeitung und Wissenstransfer. Gerade in einem Arbeitsmarkt, in dem erfahrene Mitarbeitende schwer zu finden sind, kann diese Stabilität ein echter Wettbewerbsvorteil sein.
In der heutigen Arbeitswelt ist ein fünfjähriges Arbeitsverhältnis bereits eine beachtliche Zeitspanne und keine Selbstverständlichkeit. Bei einem neuen Arbeitsverhältnis mit Mitte oder Ende 50 ist das Risiko einer weiteren Neuorientierung gering, zumal die Arbeitnehmenden sich ihres «Lasters» bewusst sind und nur selten freiwillig nochmals eine Neuausrichtung anstreben. Umso höher also die Chance, dass diese Personen noch deutlich länger als fünf Jahre (ja, vielleicht sogar zehn!) ihrem Unternehmen treu bleiben.
Das Kostenargument – Ein Mythos?
Eines der häufigsten Gegenargumente (neben «zu alt») gegen ältere Arbeitnehmende ist der vermeintlich höhere Kostenfaktor. Doch ist das wirklich der Fall? Ein Blick auf die Zahlen zeigt: Bei gleichen Gehaltsvorstellungen entstehen für eine 60-jährige Person gegenüber einer 40-jährigen vor allem Mehrkosten für Unternehmen durch höhere Versicherungsbeiträge. Diese «Mehrkosten» gleichen sich aber durch längere Betriebszugehörigkeit, Erfahrung, Routine etc. wieder aus. Allein der Aufwand einer neuen Rekrutierung, Einarbeitung etc. sollte aufzeigen, dass der «Kostenfaktor» kein nachhaltiges Argument darstellt.
Eine weitere spannende Beobachtung, die ich aus meinemBerufsalltag berichten kann: Viele über 50-Jährige haben deutlich flexiblere Lohnerwartungen, sind sich der Marktlage bewusst (z.B. Grossunternehmen versus KMU, Flexibilität versus Präsenzzeit etc.) und schätzen andere Benefits nebst dem Gehalt als ähnlich wichtig ein. Oft sind sie sogar flexibler als jüngere Bewerbende, die auf schnelles Wachstum oder regelmässige Gehaltssprünge setzen und insgesamt weniger Kompromissbereitschaft zeigen.
Erfahrung trifft Innovationsgeist
Eines der hartnäckigsten Vorurteile gegenüber älteren Fachkräften ist die Annahme, sie seien weniger innovativ, weniger anpassungsfähig oder schlicht «nicht mehr auf dem neuesten Stand». Die Realität sieht anders aus: Die grösste Mehrheit über 50-Jähriger bringt eine hohe Lernbereitschaft mit und hat sich über Jahrzehnte hinweg immer wieder an neue Technologien und Methoden angepasst – sie waren schlicht dazu gezwungen, um in der Arbeitswelt mithalten zu können. Ihre Erfahrung ermöglicht es ihnen zudem, neue Trends kritisch einzuordnen und mit bewährtem Wissen zu kombinieren. Eine Fähigkeit, die gerade in Zeiten rasanten Wandels sehr wertvoll ist.
Ein Vorsatz für 2025: Erweitern Sie ihren Talentpool!
Vielleicht ist 2025 der richtige Zeitpunkt, um (überholte) Recruiting-Gewohnheiten zu überdenken. Wer seinen Talentpool bewusst auch für Talente 55+ öffnet, profitiert von Erfahrung, Stabilität und realistischen Gehaltsvorstellungen und setzt zudem ein Zeichen für eine nachhaltige, generationenübergreifende Arbeitskultur, ganz nach dem Motto: Alter ist keine Qualifikation – Erfahrung schon!
Eine Buchempfehlung zu diesem Thema: «ZU ALT? ZU JUNG? EGAL! Für eine Arbeitswelt ohne Altersgrenzen» geschrieben von Clara Vuillemin und Peter Lau – ein «brand eins book».
Circa 120 Seiten – gut strukturiert – das Thema auf den Punkt gebracht. Nur: Handeln müssen die Menschen, die Unternehmen UND die Politik selbst …
So lange Arbeitgeber in der Schweiz jüngere (nicht unbedingt passendere) Arbeitnehmer in unbeschränkter Menge aus dem Ausland importieren können, haben es inländische ü55er schwer.
Gute Punkte, die immer wieder platziert werden müssen, um endlich die Vorurteile aufzubrechen. Noch ein Hinweis: In vielen solchen Fällen können Drittmittel angefordert werden, etwa Gehaltszuschüsse und weitere. Also absolut lohnenswert.