Das wissenschaftliche Scannen des Kandidaten im Assessment ist längst Bestandteil und scheinbar unverzichtbares Instrument geworden, um Entscheidungen zu beeinflussen. Und doch sind wir alle halt nur Menschen…
Im Rahmen eines Assessments hat man mich gebeten, die Präsentation eines Kandidaten konstruktiv zu beurteilen. Immer wieder wird von meinen Assessoren-Kollegen die Ausbildung des Kandidaten thematisiert. Kritische Fragen zu Fachthemen der Masterarbeit werden erörtert, die Belastungsgrenze ausgelotet. Mit meiner Aufforderung Statements zur eigenen Persönlichkeit abzugeben, falle ich auf. Nach zwei Anläufen lasse ich es bleiben – ich bin etwas irritiert.
Zwei Wochen später: Franz Grob stellt mir sein neues Direktionsmitglied vor. «Er ist sehr integer. Die jahrelange Kollegialität, welche uns beide verbindet, schafft ein Klima des Vertrauens», kommentiert er. Wenig später trinken wir drei zusammen Kaffee. Die Stimmung ist gelöst, grosse Pläne können nun umgesetzt, alte Zöpfe endlich abgeschnitten werden, so der allgemeine Tenor. Wozu denn die ganze Alibiübung mit dem Assessment? Erneut bin ich irritiert.
Die Meinung war – wie so oft – bereits im Vorfeld gemacht. Bei genauerer Betrachtung wird es offensichtlich, dass Franz Grob die Sympathie für seinen neuen Mitarbeiter daraus ableitet, dass sie Vieles gemeinsam haben. Scheinbar positive Eigenschaften, aber – was man dabei oft vergisst – somit auch dieselben Fehler. Wie nennt es doch der Volksmund: «Hüte Dich vor Deinen Freunden, sie bestärken Dich in Deinen Fehlern.»
Nehmen wir an, Herr Grob ist wenig selbstreflektiert und entscheidungsschwach. In diesem Fall schwierig vorstellbar, dass er jemanden in seine Geschäftsleitung holt, der ihn zu Entscheidungen drängt. Je unreflektierter Führungskräfte rekrutieren, desto mehr potenzieren sie durch ihre Auswahl die eigenen Mängel.
Einige Stufen tiefer wird auch rekrutiert und geprüft. Hier allerdings, wo der Sympathiebonus nicht zum Tragen kommt, spielen andere Mechanismen. Ob Kandidaten Vorgesetzte in ihrer Führungstätigkeit ergänzen oder bestärken, eine eventuelle Anstellung das Team konstruktiv oder destruktiv beeinflussen, spielt nicht immer eine tragende Rolle. Vielfach sichert man sich über das Assessment ab, will keine Fehler machen. Das Gutachten, der Hochschulabschluss, jedes Diplom legitimiert, einen allfällig späteren Irrtum zu begründen. Das Studium, welches meist schwerpunktmässig die Förderung der Fachkompetenz ins Auge fasst, wird in die Waagschale geworfen.
Der Blick in den Arbeitsalltag allerdings relativiert: In der Praxis zeigt sich, dass ein späteres allfälliges Scheitern in den meisten Fällen auf das mangelnde Führungsverhalten zurückgeführt wird. Die fehlende, nicht messbare menschliche Kompetenz, macht der erstrebten Karriere einen Strich durch die Rechnung.
Analysieren was es zu analysieren gibt. Viele Leute versuchen mich immer wieder davon zu überzeugen, wie es gelingen kann über Tests und Übungen das Wesen des Menschen wissenschaftlich zu erfassen. Ein Blick in die tägliche Arbeitswelt allerdings zeigt mir, dass sich die Führungsthemen von Entscheidungsträgern in den letzten 30 Jahren kaum verändert haben.
Seien Sie doch künftig im Rekrutierungsprozess etwas mutiger. Vertrauen Sie auf Ihre Intuition und stehen Sie zu den Entscheidungen, die Sie getroffen haben.
Guten Tag Herr Marthaler
Wie definieren Sie Ihren/den Glauben an (wachsende) Intuition?
Besten Dank und Gruss von einem Assessor, der die Technik der Wissenschaft anwendet in Bezug auf die Kriterien der messbaren Kompetenzen. Da wir wissen, was messbar ist und somit auch erkennen, was nicht messbar sein kann.
Michael Luginbühl
Lieber Herr Luginbühl
Ja, sie spüren es wohl richtig, dass ich mich mit wissenschaftlich messbaren Kriterien schwer tue. Ich würde niemals dagegen sprechen, nur ist es halt bisher nicht mein Weg gewesen. Mehr als 20 Jahre therapeutische Arbeit und eine Vielzahl von Kriseninterventionen haben mich gelehrt, den Menschen und sein Seelenverständnis diesbezüglich differenzierter zu betrachten. Aber eigentlich wollten Sie ja wissen, woran ich erkenne, dass sich die Intuition verändert. Meine subjektive Wahrnehmung zeigt es mir, indem der Mensch in der Lage ist, vermehrt andere dort abzuholen, wo sie sich befinden, wo es gelingt aus der inneren Ruhe das Handeln durch eigenes Verhalten abzuschätzen um in einem entsprechenden Umfeld bewusst und konstruktiv Einfluss zu nehmen. Der Umgang mit Selbstreflexion und Achtsamkeit sind dabei zwei wesentliche Elemente, welche das Wesen der eigenen Persönlichkeit bezüglich Intuition bestärken.
In diesem Sinne wünsche ich Ihnen ein gutes Wochenende und danke Ihnen für das Interesse an der Blog Geschichte.
Liebe Grüsse
Markus Marthaler
Nur dumm, dass intuitiv der/die präferiert wird, der/die am ehesten den unbewussten Wünschen entspricht. Und das ist oft eben genau der/die einem die Bestätigung des eigenen Weltbildes liefert: Hans sucht Hänschen.
Bei der Mehrzahl unserer Kunden ist es kaum noch bemerkenswert, Auswahlverfahren professionell zu gestalten. Sprich, sie auf der Basis relevanter Anforderungsmerkmale, operationaliserter Eignungskriterien und diagnostischer Kompetenz der beurteilenden Menschen anzuwenden. Dazu gehört auch die Kenntnis der Begrenztheit und Stärken der jeweiligen Auswahlverfahren. Eine kompetente, faire und verantwortungsvolle Beurteilung der Ressource Mensch ist das Ergebnis.
Vielleicht wäre der Mut besser angebracht, Dilettantismus, Willkür und Gewohnheiten dort aufzubrechen, wo eignungspsychologische Erkenntnisse gönnerhaft als Sozialklimbim betrachtet und im besten Fall gestrige Diskussionen geführt werden.
Viele Grüße aus der Südpfalz
Walter Braun
Lieber Herr Braun
Danke Ihnen für die «konstruktiv humorvolle» Ergänzung. Ich bin einer von denen die immer noch daran glauben, dass es möglich ist, durch Selbstreflexion an der Intuition zu wachsen und diese als konstruktive Ergänzung in die eigene subjektive Haltung einzubeziehen. :-)
Grüsse Markus Marthaler