Alle reden von Augenhöhe und Dialog. Von Authentizität und Transparenz. Im Personalwesen generell, primär aber im Recruiting. Nun, vermutlich nicht ganz alle. Aber viele. Vor allem viele Experten. Nun eigentlich… vor allem ich selber. Ich habe die Hoffnung nicht aufgegeben, dass diesen Ansprüchen früher oder später Rechnung getragen wird. Weil sie richtig sind. Und weil sie Sinn machen.
Sprache ist wichtig. Sprache ist das Mittel, um unsere Botschaften in Form zu giessen. Auch die schriftlichen. Um sie so beim Empfänger in der hoffentlich beabsichtigen Weise entfalten zu lassen. Wir sollten uns immer über die Bedeutung einzelner Worte bewusst sein. Jedes Wort zählt. Auch in Stellenanzeigen. Und was liest man da fast unisono? Hier «bewerben» oder dort «Bewerbungsunterlagen einreichen». (Jetzt mal ganz abgesehen von der unsäglichen und unübertroffenen Worthülsen-Hitparade, auf die ich an dieser Stelle nicht näher eingehen möchte.)
«Bewerben» degradiert den Botschaftsempfänger zum Bittsteller. Es schafft implizit eine Atmosphäre der Ungleichheit. Auf der einen Seite das Unternehmen, das etwas hat, das jemand scheinbar will: die offene Stelle. Auf der anderen Seite die anonyme Masse, die sich um das Objekt der Begierde balgt. Nun gut. Vermutlich haben die meisten von Ihnen etwas vom Wandel des Arbeitgebermarktes hin zum Markt für Arbeitnehmer gehört, gelesen oder bereits selber gespürt. Und trotzdem müssen sich Kandidaten immer noch um die Stelle «bewerben».
Dabei möchte die ach so gesuchte Fachkraft vielleicht doch viel lieber erst einmal Ihre Firma kennenlernen. Oder den Vorgesetzten. Oder sein künftiges Team. Die Firmenkultur spüren und nicht nur davon lesen. Um zu prüfen, ob sie denn passen könnte. Und zwar bevor er sich um etwas bewirbt, das er noch gar nicht kennen kann. Irgendwie unverbindlicher. Aber vielleicht gerade darum sehr sinnvoll. Während Unternehmen bei gewissen Profilen mit einer Flut von Bewerbungen zu kämpfen haben (haben Sie sich vielleicht schon einmal überlegt, andere und effektivere Recruitingkanäle oder -Methoden zu nutzen?) bauen Sie gleichzeitig Hürden auf, die Ihnen bei den schwieriger zu findenden Kandidaten im Weg stehen. Nicht nur prozessuale, nein auch sprachliche Hürden.
Wie wäre es, diesen Prozess ganz einfach mit «kennenlernen» zu denken, zu leben und ihn auch tatsächlich so zu benennen? Inklusive «Kennenlern-Button»? Um das geht es doch, nicht? Oder «in Kontakt treten»? «Interesse signalisieren»? Eine viel niederschwelligere Art des sich anbahnenden Kennenlernprozesses, der doch gleich ganz anders anmutet? So wird durch das Ersetzen nur eines einzelnen Wortes («Bewerbung») etwas ganz Neuartiges und Zeitgerechtes. Viel eher bemüht man aber den «Fachkräftemangel», bevor an der eigenen Haltung gearbeitet wird. Spielen Sie diesen Ansatz doch einmal für sich durch. Er kann lohnenswert sein.
Es gibt noch viel zu tun. Zuerst sollte man endlich die Begriffe Arbeitgeber und Arbeitnehmer richtig anwenden. Arbeitgeber ist der Lohnempfänger und Arbeitnehmer der Lohnzahler. Niemand kann mir Arbeit geben, ich gebe Arbeit ab, die in Werkstücken gespeichert ist, als geleisteter Dienst. Immer noch feudales Verständnis
Dann finde ich, hat Herr Ganouchi Recht mit der Feststellung, daß man sich um eine Arbeitstelle bewerben muß, von der man nur Stichworte kennt und die erst noch unvollständig oder falsch sein können. In der Industrie, ich bin Mechaniker, fehlt es an Aufrichtigkeit, einen Scheißjob als solchen zu bezeichnen. Erst vor Kurzem war ich zu einem Vorstellungsgespräch eingeladen, um während des Betriebsrundganges im Anschluß herauszufinden, daß die Stellenbeschreibung alles andere als zutreffend ist. Unter Erwachsenen sollte man sagen können: Hier ist ein eintöniger Chrampf, acht Stunden am Tag, das hält keiner länger als ein paar Monate durch. Die Stelle wird auch fast jedes Jahr wieder ausgeschrieben.
Weiter: Nach Hunderten von Bewerbungen mit zunehmend traurigen Erlebnissen melde ich mich nicht mehr bei Stellenvermittlern. Auch die HR-Leute bei den Firmen stehen sich selbst und anderen nur im Weg. Wenn mich eine Ausschreibung interessiert, dann rufe ich an und frage mich bis zu der Person durch, die tatsächlich entscheidet. Je schwieriger sich das gestaltet, umso klarer weiß ich, daß ich bei dem Unternehmen nicht tätig werden will.
Zum Schluß noch dieses: Stellenanzeigen voller Rechtschreibfehler sind eine Frechheit. Zwanzig Zeilen ohne Fehler sollte man hinbekommen. Wer nicht sattelfest ist mit dem Komma, sollte einen Korrektor beiziehen. Deppenapostroph, Klein- und Großschreibung durcheinander, gesetzlich geschützte Berufsbezeichnungen und Fantasiebegriffe direkt nebeneinander, die Branche hat brutale Defizite. Daß ein Polymechaniker mit EFZ wirklich gut Deutsch kann, hätten Sie nicht erwartet, stimmt’s?
Grüezi Herr Wyss
Vielen Dank für Ihren Kommentar. Ihre Begriffsklärung des Arbeitgebers- bzw. -Nehmers finde ich überaus interessant. Damit habe ich mich noch gar nicht auseinandergesetzt.
Ihre Ausführungen zeigen mir, wie wichtig es ist, dass Arbeitgeber (ich nenne sie hier nun bei der allgemein gebräuchlichen Version) mehr Transparenz walten lassen. Glorifizierende und schlichtweg unwahre Beschreibungen in Karriereseite und Stellenanzeige helfen niemandem. Im Gegenteil: ein in der Realität des Arbeitsalltages angekommener Kandidat wird bei falschen Versprechungen schnell das Weite suchen. Was für beide Seiten wenig sinnvoll und mit Kosten verbunden ist. Darum: zeigen, was Sache ist!
Viele Grüsse
Michel Ganouchi
PS: Bzgl. Formulierungskünsten bin ich vollkommen vorurteilsfrei. Aber es freut mich immer, wenn jemand ausdrucksstark formulieren kann.
Den Beitrag von Dr. Simone Klein kann ich nur unterstützen. Mit 30 Jahren Berufserfahrung im HR Management und nun als selbständiger „Personaler“ unterwegs, „bewerbe“ ich mich auch gelegentlich auf befristete Ausschreibungen als Interim Manager und sende meistens nur meine Visitenkarte in Form eines CV’s. In den meisten Fällen, bekomme ich postwendend die Aufforderung, sämtliche Unterlagen nachzureichen und das Motivationsschreiben darf natürlich auch nicht fehlen, obwohl ich im Vorfeld meine Situation kurz und knackig schilderte. Effizienz und eine rasche Erstbeurteilung scheint sich bei vielen Personalstellen und sog. Personalberatern noch nicht etabliert zu haben. Unabhängig von denen, die überhaupt nicht reagieren und nicht mal zu einer kurzen Absage fähig sind – aber das ist eine andere Geschichte.
Vielen Dank für die Rückendeckung, lieber Herr Kollege! Doch finden Sie auf Ihrer Senioritätsstufe ein klassisches Motivationsschreiben wirklich noch erforderlich? Sie haben ein Gespräch vorab geführt und man hat Interesse an Ihnen. Sollte da nicht das Wesentliche aus Ihrem CV hervorgehen, das von einem höflichen Kurzbrief, Dreizeiler o. ä. begleitet wird? Ich empfehle den meisten Kandidaten ein kurzes Profil unter den Stammdaten im CV, dann natürlich ein ausführliches CV mit Beschreibung der letzten bzw. der wichtigsten Stationen. Und selbst erachte ich ein Motivationsschreiben wichtig für Berufseinsteiger und für Bewerbungen für bestimmte (schulische) Ausbildungsgänge oder solche in dualen Systemen. Doch auf Senior-Senior-Stufe mit 30 Jahren Berufserfahrung?
Liebe Grüße aus Baden-Baden!
Grüezi Herr Mosimann
Vielen Dank für Ihren Kommentar. Sie betonen einen wichtigen Punkt: oftmals sind Unternehmen in gelernten Prozessen derart gefangen, dass sie schlichtweg nicht mehr erkennen, dass es bessere, effizientere oder einfach andere Wege zum Ziel gibt. Etwas mehr Flexibilität wäre – je nach gewünschtem Kandidatenprofil – absolut wünschenswert.
Viele Grüsse, Michel Ganouchi
Danke für die Gedanken! Die Einladung, seine Unterlagen via Kennenlern Button einzureichen finde ich gut, spannend und in meinem Umfeld gut realisierbar. Aus meiner Sicht geht der Ansatz von Her Ganouchi in die Richtung des Abbaus oder der Minimierung von Schwellen und Hürden. Vor allem im Bereich der wirklich auf qualifizierte Personen angewiesenen Bereich werden wir uns überlegen, die sprachliche Einladung zur „Zurverfügungstellung“ der Unterlagen neu zu definieren.
Was mich immer wieder selber stört ist der Unsinn, Dossiers nur in Papierform entgegenzunehmen. Noch schrecklicher ist eine Beschränkung bei der elektronischen Einreichung auf eine möglichst tiefe MB Anzahl. „Die Unterlagen dürfen nicht grösser als 2 MB sein“. Das geht so in Zukunft nicht mehr und es muss sich niemand beklagen, wenn er keine Fachkräfte findet.
Offen sein für Neues scheint mir aber bei vielen Personalstellen eher ein Fremdwort zu sein. Ich jedenfalls danke allen für Ihre Anregungen.
Man kann die Unterlagen auch auf niedriger Auflösungsstufe einscannen und das Foto auf dem CV „webtauglich“ machen. Meine Fotografin hat mir die Fotos in entsprechendem Format zur Verfügung gestellt und wie es mit dem Scanner funktioniert, habe ich mir selbst erschlossen ;-).
Grüezi Herr Brauchli
Vielen Dank für Ihren Kommentar und die Bestätigung meiner These. Die von Ihnen genannten Hürden sind in der Tat unsäglich und einfach nicht mehr zeitgemäss. Natürlich kann man Fotos verkleinern usw.. Dies stellt jedoch bereits eine neue Hürde dar, die gesuchte Fachkräfte vielleicht gar nicht auf sich nehmen möchten.
Viele Grüsse, Michel Ganouchi
Begriffe auszutauschen ist schön und gut. Aber sie helfen am Ende nicht wirklich, wenn die dahinter stehende Haltung seitens der Personaler nicht passt. Wenn ich die Bewerber tatsächlich als Bittsteller sehe, dann interpretiere ich das „Kennenlernen“ auch als „Antrag auf Kennenlernen“, über den der Personaler entscheidet.
Ich denke dass mit dem bleibenden Begriff „Bewerbung“ (dieser wird in den nächsten Jahren sicherlich nicht in Gänze verschwinden) Augenhöhe bereits vollständig gewährleistet werden kann, wenn die Haltung stimmt. Denn mit den Unterlagen macht der Bewerber den Anfang und geht in Vorleistung und spätestens im Bewerbungsgespräch bewirbt sich auch das Unternehmen – und der mündige Bewerber hat jederzeit die Möglichkeit abzulehnen.
Wem die einseitige Vorleistung nicht passt, vergisst, dass auch die Unternehmen bereits vorab viel von sich preisgeben (auch Stichwort kununu). Außerdem muss es bei einer Situation von teilweise 250 Bewerbungen auf eine ausgeschriebene Stelle einfach rein praktisch eine Art Vorauswahl-Prozess geben. Selbst wenn alle 250 eingeladen würden und sich alle kennenlernen dürften, sucht sich am Ende das Unternehmen trotzdem einen Menschen davon aus und sagt (vermutlich) 249 ab. Da helfen gute Wünsche und Wortspielereien nicht weiter.
Hallo Thomas
Vielen Dank für dein wertvollen Inputs.
Richtig: die Haltung ist das A und O. Da nützen sämtliche Wortspiele nichts. Ich fände es einfach löblich, wenn die Haltung sich auch in der Sprache reflektieren würde. Darum meine Anregung. Ich finde nicht zwingend, dass der Kandidat in Vorleistung geht. Schliesslich schreibt das Unternehmen bereits die Vakanz aus. In einem sehr knappen Kandidatenmarkt erachte ich dies bereits als Vorleistung. Persönlich begrüsse ich die durch die digitalen Möglichkeiten entstehende grössere Transparenz sehr. So entsteht eher ein Gleichgewicht zwischen suchendem Unternehmen und potentiellem Mitarbeiter. Genauso klar ist es jedoch, dass bei zu erwartenden vielen Bewerbungen, die Hürden anders gesetzt werden. Man könnte allerdings auch grundsätzlich am Ausschreibungskanal „schrauben“, um eben genau nicht mit Dossiers überflutet zu werden.
Viele Grüsse, Michel
Welch schöne Idee. Ein Umdenken zu einem Kennenlernen auf Augenhöhe kann bereits zu Beginn der Stellenbesetzung zu einer anderen Arbeitskultur beitragen, um letztlich eine langfristige profunde und produktive ZUSAMMEN-Arbeit (nicht nur MIT-Arbeit) zu erreichen. In der Praxis gestaltet sich diese Öffnung der allerersten Kennenlern-Phase meines Erachtens komplex. Wie könnte der Prozess funktionieren? Läd man alle Kennen-Lern-Interessierte für die Funktion zu einem Workshop ins Unternehmen, in die Abteilung für einen Tag ein? Läd man Kennen-Lern-Interessierte ein zu einem gemeinsamen Team Lunch in der Firma? Wie kann Diskretion gewährleistet werden? Oder braucht es diese dann nicht mehr, denn es treffen sich ja nur Personen, die interessiert sind, sich kennen zu lernen. Eine schöne Idee, die zum Weiterdenken anregt.
Grüezi Frau Antoni
Vielen Dank für Ihren Kommentar. Sie stellen die berechtigten Folgefragen, die sich aus dem Kennenlernprozess ergeben. Gerade bei sehr gesuchten Fachkräften gehe ich davon aus, dass auch bei niedrigeren Hürden nicht plötzlich tonnenweise Kontaktanfragen (so nenne ich die Bewerbung jetzt mal) eintreffen werden. Insofern wird aus dem Bewerbungsgespräch dann ganz einfach ein Kennenlern-Termin. Beide Parteien prüfen, ob „es“ denn passen könnte. Ohne dass der Kandidat eben „Bewerber“ (=Bittsteller) sein muss.
Viele Grüsse, Michel Ganouchi
Klasse Ansatz, doch irgendwie wieder mehrere Schritte auf einmal. Ein aussagekräftiges CV ist für mich das Herzstück einer jeden Bewerbung und eines jeden Kennenlern-Prozesses. Lese ich hingegen – von vermeintlichen Experten geschrieben, selbiges dürfe keinesfalls die Länge von zwei A4-Seiten überschreiten, ereilt mich das kalte Grausen. So etwas lässt sich nur für eine kleine Gruppe an Bewerbern verwirklichen, für Leute mit wenig Berufserfahrung oder Stationswechseln. Ein aussagekräftiges CV hat für mich den Charakter einer Visitenkarte und sollte mit dem „Kennenlern-Button“ verschickt werden. Dann weiß das Unternehmen, wer zum beidseitigen Kennenlernen kommt. Und bei Sympathie und Gefallen kann man dann Zeugnisse & Diplome übermitteln und ja, dabei auf das längst ausgediente Motivationsschreiben, das immer mehr Kandidaten ohnehin extern erstellen lassen, verzichten.
Vielen Dank für Ihren Kommentar
Bzgl. Ihren Erläuterungen zum CV bin ich voll bei Ihnen. Über Sinn, Unsinn, Aussagekraft und Bedeutung des Motivationsschreibens „streite“ ich mich immer wieder mit meinen Studenten im Personalmarketing. Hier klaffen die Vorstellungen und Erwartungshaltungen weit auseinander. Die meisten erachten es als Unverzichtbar. Dabei hat der persönliche Kontakt so viel mehr Aussagekraft. Deshalb auch das Plädoyer zum ungezwungeneren Kennenlernen.
Viele Grüsse, Michel Ganouchi