Resilienz ist das Trendwort der HR-Szene und eine Eigenschaft, die sich die meisten Unternehmen von ihren Mitarbeitenden wünschen. Aber soll wirklich jede Herausforderung einfach an uns abprallen? Eine andere Eigenschaft ist viel wichtiger für die Zukunft.
Spätestens seit Beginn der Corona-Pandemie Anfang 2020 höre und lese ich das Wörtchen «Resilienz» überall – «Wie Mitarbeitende resilienter werden», «Wie resiliente Führung aussieht», «Woran Sie resiliente Mitarbeitende erkennen». Und, was sich niemand traut auszusprechen, aber wahrscheinlich viele Führungskräfte und Hiring Manager denken: «Warum wir nur noch resiliente Menschen einstellen wollen.» Bereits in der Robert Half Arbeitsmarktstudie 2019 sagte fast ein Drittel der befragten Personalverantwortlichen voraus, dass Resilienz in den kommenden drei Jahren sehr viel stärker gefragt sein wird. Auf die Frage welche soziale Fähigkeit in den kommenden Jahren schwieriger zu finden sein wird als heute, antwortete zudem ein gutes Viertel mit Resilienz. Im Global Crisis and Resilience Survey 2023 der Wirtschaftsprüfungsgesellschaft PwC berichteten 89 Prozent der befragten Führungskräfte, dass Resilienz zu ihren wichtigsten strategischen Prioritäten gehöre. Aber ist die vielbeschworene Resilienz wirklich so toll?
Der Begriff kommt vom lateinischen Word resilire, was so viel bedeutet wie «zurückspringen» oder «abprallen». In der Physik und Mechanik bezeichnet er die Fähigkeit elastischen Materials, nach starker Verformung in den Ausgangszustand zurückzukehren. Das ist zum Beispiel für manche Baustoffe eine wichtige Eigenschaft. Daraus lässt sich die psychologische Bedeutung leicht ableiten: Resiliente Menschen können durch erheblichen Druck von allen Seiten noch so gequetscht und verformt werden, am Ende finden sie immer wieder in die ursprüngliche Form zurück. Natürlich wünschen sich Unternehmen solche Knetfiguren als Mitarbeitende, denn das gibt ihnen die Erlaubnis, Druck auszuüben.
Krisen dürfen uns formen
Sarkasmus beiseite: Für das Individuum ist es auf jeden Fall eine tolle Eigenschaft, sich von Stress und Krisen nicht brechen zu lassen – sei es im Arbeitskontext, privat oder. Und natürlich ist psychologische Resilienz anders zu verstehen als die Resilienz von Baustoffen. Bei Menschen geht es nicht darum, dass sie nach einer Belastung in ihre ursprüngliche Form zurückspringen, sondern dass sie in der Lage sind, herausfordernde Zeiten ohne dauerhaften Schaden zu überstehen. Darüber sollten sich die Verfechterinnen und Verfechter des Resilienz-Hypes bewusst sein, wenn sie mal wieder mit dem Trendbegriff um sich werfen: Krisen dürfen uns formen. Es ist in Ordnung, wenn nicht sogar wünschenswert, wenn Menschen, oder auch Unternehmen, Organisationen, ökonomische Systeme, sich in einer anderen Form wiederfinden, nachdem sie hohem Druck ausgesetzt waren. Denn die neue Form passt vielleicht besser in die aktuelle Zeit.
Bestes Beispiel dafür ist wieder einmal die Corona-Pandemie: Die jetzige Arbeitswelt ist nicht die gleiche wie vorher und das ist auch gut so; Remote Work und hybrides Arbeiten ist zur neuen Normalität geworden und haben sowohl Unternehmen als auch Beschäftigten ein riesiges Spektrum an neuen Möglichkeiten offenbart. Nicht Robustheit, sondern Anpassungsfähigkeit sollte demnach die gefragteste Eigenschaft der Zukunft sein. Wirklich neue Skills lernen, sich weiterentwickeln und standhalten werden diejenigen, die umdenken und sich flexibel auf neue Situationen einlassen können. Die Menschen, die keinen Schutzwall bauen, wenn die Welle kommt, sondern das Surfbrett rausholen.
Surfbrett statt Schutzwall
Wie sieht es jetzt aus mit der Forderung nach Resilienz? Unternehmen sollten zunächst einmal begreifen, dass Menschen keine Baustoffe sind, die möglichst verschleissresistent sein sollen, sich im Laufe der Zeit aber doch abnutzen und kaputt gehen. Eine Studie von BetterUp Labs zeigt, dass Menschen oft erst im Laufe ihres Lebens Resilienz aufbauen, vermutlich, weil sie bereits einige Hindernisse überwinden und Krisen durchstehen mussten. Von jungen Menschen zu erwarten, dass sie gleich mit hoher Resilienz in ihr Berufsleben starten, ist demnach viel verlangt – und auch überhaupt nicht zielführend.
Statt zu testen, wie oft sie Menschen verbiegen können, bevor diese brechen, sollten Unternehmen besser darauf achten, dass sie ihre Mitarbeitenden erst gar nicht unnötig verbiegen und unter Druck setzen, sondern ihnen eine gesunde Arbeitskultur bieten. Und statt Resilienz zu fordern, sollten sie ihren Mitarbeitenden lieber das Surfen beibringen; ihnen authentisch vermitteln, dass es nicht darum geht, sich vor unausweichlichen Herausforderungen zu rüsten, sondern diese erst einmal unvoreingenommen anzuschauen und dann auf der Welle zu reiten. In dem englischen Wort «adaptability» steckt ja schon das Wort «ability», also Können, Fähigkeit und Talent.
Diese Fähigkeit lässt sich mit den üblichen Hausmitteln der Menschlichkeit fördern: Respekt, Wertschätzung und Vertrauen, die Möglichkeit, mitzugestalten und sich selbstwirksam zu fühlen sowie die transparente Organisation eines Workloads, der fordert, aber nicht überfordert und der genügend Raum für genug Erholung und Ausgleich lässt. Und natürlich, indem man ihnen klarmacht, dass es bei der nächsten Welle auch für alle ein Surfbrett geben wird.