«Das Arbeitsverhältnis mit Herrn X wird aufgrund einer Reorganisation des Departements Y aufgelöst.» Dabei handelte es sich um eine Kündigung eines mehrjährigen Arbeitsverhältnisses in einem sechsköpfigen Team eines KMU. Von Reorganisation keine Spur – vielmehr ging es darum, im Zuge einer Neubesetzung im Departement auch gleich Herrn X auf einfache Weise zu ersetzen. Getreu der Redewendung «Zwei Fliegen auf einen Schlag» sah der Vorgesetzte eine günstige Chance, sich Herrn X zu entledigen, weil er offenbar den veränderten Ansprüchen der Aufgabe respektive des Marktes nicht mehr genügte. Dies ist nur ein Beispiel aus einer Vielzahl ähnlich lautender Phrasen, die sich mittlerweile schon fast standardmässig in den Zeugnissen unserer BewerberInnen aller Couleur finden lassen.
Nichts gegen den Strukturwandel, wo dieser wirtschaftlich angezeigt ist. Es gibt zweifelsohne gute Gründe, Kündigungen auszusprechen – sei es aufgrund von Kostendruck, Firmenfusionen, -verlagerungen oder -verkäufen oder ganz einfach, weil der besagte Mitarbeitende die geforderte Leistung nicht mehr erbringt. Stossend empfinde ich die vermeintlich politisch korrekte Verpackung von Auflösungen eines Arbeitsverhältnisses im Zuge von «Reorganisationen», die den Begriff nicht verdienen.
Aus den Schilderungen Betroffener geht hervor, dass unter dem Deckmantel von Stellenabbau – egal ob deklariert als Sparmassnahmen, Sanierungen, Umstrukturierungen, Reorganisationen oder Turnaround – gelegentlich willkürliche Kündigungen ausgesprochen werden, die einen anderen Zweck als eine primär wirtschaftliche Entlastung verfolgen. Die angebliche Strukturbereinigung ist nicht selten eine willkommene, unter dem Spardruck vorgetäuschte Legitimation, sich unliebsamer Mitarbeitender zu entledigen. Zum Beispiel, weil zu aufmüpfig, zu stark oder zu alt. Es ist möglich und gar salonfähig geworden, heikle Kündigungsgründe, welche die Firma möglicherweise rechtlich in Erklärungsnotstand gebracht hätten, neutral zu verpacken. Denn viel einfacher und sauberer als eine Kündigung lässt sich eine Umstrukturierung vorgeben: Sie ist eine wetterfeste, pauschale Erklärung, die inhaltlich von den Betroffenen nicht angegriffen werden kann.
Kommt ein neuer Chef, ist eine Reorganisation ohnehin oft zwingend: Es gilt, ein markantes Exempel zu statuieren. Auf dem Buckel der Mitarbeitenden werden Zeichen gesetzt und wird neues Personal rekrutiert oder die Crew des Vorgängers gleich vollständig auswechselt. So erzählte mir ein Kadermitarbeiter einer Bank von seinem Stellenverlust unter dem Vorwand der internen Restrukturierung. In Tat und Wahrheit nutzte sein neuer, von einer Grossbank kommender, Vorgesetzter nur die Gelegenheit, seine früheren Arbeitskollegen an Bord zu holen.
Auf diese Weise lassen sich unerwünschte Exponenten aus der Erbmasse des Vorgängers elegant auswechseln. Sparübungen werden zu oft zum Vorwand genommen, um nicht primär Stellen abzubauen, sondern sich von teils altgedienten Mitarbeitenden zu trennen, die man aus dem einen oder anderen Grund loswerden möchte. Was die angeblichen Reorganisationsopfer nicht wissen: Während sie noch unter dem Schock des oft unerwarteten Stellenverlusts zur Hintertüre hinaus in die Arbeitslosigkeit spediert werden, stehen ihre möglicherweise handzahmeren oder jüngeren Nachfolger bereits vor dem Haupteingang. Eine Kandidatin sprach bitter von «Abfallbeseitigung». Solche Vorgehen verletzen das Prinzip von Treu und Glauben – die Belegschaft wird zum Spielball des Managements.
Stellenkürzungen an der Basis im Zuge der überzogenen Gewinnmaximierung scheinen mir nicht weniger verwerflich. Man denke nur an jenen Schweizer Konzern, der sich – unter Erfolgszeitdruck – die Gunst der Analysten und Aktionäre sicherte, basierend auf einem überraschend positiven Halbjahresergebnis durch massive Kostenreduktion, respektive einen einschneidenden Stellenabbau. Erwartungsgemäss schnellten die Aktienkurse sofort in die Höhe. Den auf dem Reissbrett eliminierten Mitarbeitenden ist dies hingegen kein Trost.
Reorganisationen sind leider zum Allerweltsbegriff des 21. Jahrhunderts verkommen: Unter dem Dekret der Gewinnmaximierung bleibt häufig kein Stein auf dem anderen – ein Sparpaket jagt das nächste und damit einhergeht eine Hiobsbotschaft nach der anderen. Dass im Fahrtwind dieser unheilvollen Tendenzen auch Kündigungen als Strukturbereinigung vorgetäuscht werden, dünkt mich ebenso bedenklich wie ausgewiesene Firmenhöhenflüge auf Kosten entlassener Mitarbeitender. Dass die moralische Hemmschwelle in unserer Gesellschaft insgesamt gesunken und der gegenseitige Umgang rüder geworden ist, leistet dieser unguten Tendenz leider auch keine Abhilfe. Insofern ist dieser Blogbeitrag lediglich ein Appell an die Entscheidungsträger unserer Firmen, der Würde ihres Humankapitals wieder ein wenig mehr Bedeutung zukommen zu lassen.
Sehr geehrte Frau Biland-Weckherlin
Seit einigen Jahren führe ich ein KMU. Zuerst dachte ich wie Sie: Ja, ich war jung und unerfahren.
Denn der Grund der von Ihnen erwähnten Entwicklung sind die Rechtsschutzversicherungen. Jede Kündigung in den letzten Jahren wurde angefochten und am Ende muss das Unternehmen viel Geld bezahlen.
Der einzige Kündigungsgrund, den Arbeitnehmer und Rechtsschutz akzeptieren, ist die Reorganisation.
Deshalb ist nicht die Mutlosigkeit der Arbeitgeber, sondern die Ignoranz der Arbeitnehmer Schuld an dieser Entwicklung.
Freundliche Grüsse
Ein mutiger Arbeitgeber
Lieber mutiger Arbeitgeber
Danke für Ihren klärenden Kommentar. Ich war mir des Zusammenhangs, offenbar wie andere auch, nicht bewusst. Umso wertvoller, dass Sie darauf hinweisen. Aus Ihrer Sicht verstehe ich den «Kniff» der Reorganisation absolut – nicht weiter erstaunlich aufgrund Ihrer gemachten negativen Erfahrungen.
Zudem beglückwünsche ich Sie zum Begriff «mutiger Arbeitgeber», der es mir sehr angetan hat. Es bräuchte dringend mehr solche…
Freundliche Grüsse
Sabine Biland-Weckherlin
Genau das erlebe ich immer wieder. Kommt ein neuer „König“, egal auf welcher Stufe, werden die Mitarbeiter mit Verve angegangen. Je nach dem wie weit der Neue bereit ist sich auf Kämpfe einzulassen, werden entweder die Aufmüpfigen oder dann die Schafe zur Schlachtbank geführt. Hauptsache es gibt Platz für seine Vasallen.
Wenn dann allerdings ehemaligen „Könige“ auf dem Abschuss stehen, wird die Opferrolle bis zum geht nicht mehr ausgekostet.
Aber das interessiert den ganz Neuen auch nicht. Der kurzfristige gewinn steht zuvorderst. schliesslich stehen nur gut 2 Jahre zur Verfügung, mit dem grossen Lohn (generiert mit den Löhnen der 50+) den Laden umzukrempeln, und wenn dann die „Reorganisation“ greifen sollte, haut man postwendend ab, da man die Folgen ja dann selber tragen müsste. Aufräumen tun den die, welche nicht einfach abhauen konnten, bis der neueste „König“ kommt. und dann geht das Ganze wieder von vorne los.
Sehr geehrter Herr Gurtner
Vielen Dank für Ihren Kommentar, der sich zynischerweise wie eine Anleitung für ein Brettspiel liest. Kein Vergnügliches, leider, und eines, das längerfristig nur Verlierer generiert. Mit freundlichen Grüssen, Sabine Biland-Weckherlin
Danke. Genau so findet es statt.
„Entsorgter“ im Absender tönt hart und die Realität ist wohl nicht weniger hart. Zumindest besteht insofern Gerechtigkeit, als es den Entsorgern von heute möglicherweise morgen nicht anders ergehen könnte… Wenn diese Damen und Herren diese nur ein bisschen mehr in Betracht ziehen könnten. Ich wünsche Ihnen alles Gute und grüsse Sie freundlich, Sabine Biland-Weckherlin
Dieser Beitrag spricht mir voll aus dem Herzen, habe ich doch eben von einem gleich gelagerten Fall in meinem engsten Umfeld erfahren. Gerade im Zeitalter wo mehr und mehr Arbeitsplätze kaputt-digitalisiert und -roboterisiert werden, könnte man etwas mehr Mitgefühl im Umgang mit Mitarbeitenden gut gebrauchen. Dass eine Entlassung – in angepasstem Ton, Wortwahl und mit Ehrlichkeit – Integrität voraussetzt, versteht sich. Dass es genau daran mangelt, kann man zum Zeitpunkt eines so schweren Schlages wie einer Kündigung nur sehr schwer akzeptieren. Wenn dann die Saläre und Boni der Vorgesetzten im gleichen Zeitraum sogar noch steigen, ist der Glaube an Menschlichkeit, Solidarität oder sozialem Verständnis im freien Fall.
P.F. aus A.