Wenn ein Wunsch für die Zukunft in Erfüllung gegangen ist, wird es Zeit, weiterzudenken und Raum für Neues zu schaffen. Mit den nachfolgenden Gedanken möchte ich dazu anregen, dass wir den Megatrend «New Work» würdevoll verabschieden – und uns dann wieder unaufgeregt an die normale Arbeit machen.
Als Frithjof Bergmann vor genau 40 Jahren die «New Work»-Bewegung begründete, erholte sich die Weltwirtschaft gerade von zwei Rezessionen. Vor dem Hintergrund der Konjunkturkrise und hohen Arbeitslosigkeit war seine Vorstellung einer Arbeitswelt, in der die Menschen das machen, was sie wirklich wollen, mutig und visionär. Vier Jahrzehnte später stehen wir – und damit spreche ich jetzt vor allem für entwickelte Volkswirtschaften wie der Schweiz – an einem anderen Punkt. Die Knappheit hat die Seite gewechselt – unsere Sorge ist nicht Arbeitslosigkeit, sondern Arbeitskräftemangel. Doch nicht nur unsere Wirtschaft hat sich verändert, sondern auch unsere Gesellschaft. Im Zeitalter der Individualisierung stehen die persönliche Autonomie, das Streben nach Selbst- und Mitbestimmung und die individuelle Verwirklichung im Fokus in Bezug auf die Vorstellung, was ein gutes Leben ausmacht.
Dass sich die Macht von den Institutionen hin zum Individuum verlagert hat, nicht nur in der Arbeitswelt, ist grundsätzlich gut, konfrontiert uns aber auch mit neuen Herausforderungen. Zur Verdeutlichung: brauchte es vor 10 Jahren einen «Homeoffice-Tag», der den Mitarbeitenden erlaubte, einen Tag aus dem Kollektiv auszubrechen, so brauchen wir heute einen «Team-Tag», um der Gemeinschaft bewusst Sorge zu tragen. So banal dieses Beispiel ist, zeigt es nicht nur auf, wie schnell ein Standard (Büro versus ortsunabhängig) wechseln kann, sondern auch, dass gute Führung auf laufende Entwicklungen Bezug nimmt und sie gekonnt ausbalanciert.
Damit komme ich zur Erkenntnis, dass es Zeit ist, «New Work» ruhen zu lassen. Im Zeitalter des erstarkten Ichs und der teilweisen Entsolidarisierung kommen wir der Vision einer blühenden Arbeitswelt, in der Menschen und Organisationen nachhaltig gedeihen, mit einem Aufruf zu noch mehr Selbstverwirklichung nicht ans Ziel. Vielmehr geht es heute darum, aus einzelnen Arbeitskraftunternehmern ein starkes Wir zu schaffen, dem es gelingt, komplexe Herausforderungen im Verbund zu lösen.
Wir müssen die Arbeitswelt unbestritten renovieren, wie wir dies seit hunderten von Jahren laufend tun. Wir dürfen diese Aufgabe aber nicht an Propheten der Vergangenheit oder Gegenwart delegieren. «Die Zukunft der Arbeit» gibt es nicht. Weder aus Sicht des Individuums noch aus der Perspektive von Organisationen. Unlängst hat der «Atlantic» Journalist Derek Thomson in einem Artikel, der sich mit dem Wandel der Bedeutung, die wir der Arbeit beimessen, auseinandersetzt, beschrieben, dass man die Entwicklung der Arbeit in sechs Worten zusammenfassen kann: «from jobs, to careers, to callings». So pointiert diese Zusammenfassung ist, so klar muss man ihr widersprechen. Weder bewegen sich Generationen unisono im Gleichschritt noch gibt es den einen Zeitgeist. Für die einen ist die Arbeit ein Job, also suchen sie gesunde Arbeitsbedingungen, verlässliche Arbeitszeiten, gute Entlöhnung und eine sichere Anstellung. Für andere ist die Arbeit eine Art Rampe, die sie erklimmen und sich dabei laufend weiterentwickeln möchten. Und wiederum andere gehen ihrer persönlichen Berufung nach oder setzen sich für das Wohlergehen ihrer Mitmenschen ein.
Auch aus der Perspektive der Unternehmen gibt es keinen Blueprint, der eine erfolgreiche Transformation garantiert. Die vielzitierte «neue Arbeitswelt» ist nichts anderes als die gezielte strategische und operative Weiterentwicklung der Organisation entlang der eigenen DNA unter Berücksichtigung der Kräfte, die heute und morgen auf sie einwirken. Für den Reiseanbieter Hotelplan ist Workation enorm sinnvoll – weil dieses Angebot hilft, Menschen zu binden und gewinnen, die vom Reisen träumen. Für das Hotel 25hours ist die freiwillige Verdichtung der Arbeitszeit auf eine 4-Tage-Woche attraktiv, da dank der Vermeidung langer Zimmerstunden die Fachkräfteabwanderung bekämpft werden kann. Für das Spital Bülach sind neue Arbeitsmodelle sinnvoll, um gut mit dem schwankenden Angebots- und Nachfragevolumen (bei einer Grippewelle gibt es mehr Patienten und weniger gesunde Mitarbeitende) umgehen zu können.
Wer Unternehmen, Organisationen oder Menschen führt, ist Zukunftsgestalter. Darunter fallen zwei Aufgaben: das laufende Reagieren auf Entwicklungen in der Innen- und Aussenwelt (Anpassung) und die langfristig ausgerichtete gezielte Weiterentwicklung (Transformation). Schütten wir die «New Work»-Grube, die sich in den letzten Jahren mit teils romantischen, teils egoistischen Forderungen gefüllt hat, endgültig zu und schaffen Gestaltungsräume, in denen die gemeinsame Zukunft auf Augenhöhe erprobt werden kann.
Liebe Barbara. Du bringst den Mythos rund um New Work wunderbar auf den Punkt. Es geht – genau wie du sagst – um die laufende Anpassung sowie die Weiterentwicklung; und diese ist nun mal einfach sehr kontextabhäbgig und eben nicht one size fits all! Und genau an diesem Punkt liegt die Herausforderung, gute und passende eigene Herangehensweisen und Lösungen zu finden (auch wenn viele lieber einfach Copy-Paste machen).
Danke Barbara Josef für Ihren Blog R.i.P. New Work – dieser ist nicht nur mutig, sondern aus meiner Sicht inhaltlich auch richtig.
Wie oft in den letzten Jahren mussten wir feststellen, dass das Thema New Work «ausgelutscht» ist, dass immer wieder die gleiche Leier runter- und rauf gepredigt wird. Was gestern nötig war, ist heute nicht mehr aktuell. Dabei ist doch grad das Eingehen auf zeitaktuelle und individuelle Bedürfnisse und das Möglichmachen von besonderen Lösungen – je nach der aktuellen Herausforderung – besonders wichtig. Darin zeigt sich nämlich die Stärke der einzelnen Unternehmung – mit Einheitskost und «main stream» haben wir noch nie die Extrameile geschafft!