Mindestalter 40 für Recruiter?

HR-PraxisIch sinniere gerade so vor mich hin. Auslöser: Ein Blogartikel über Diskriminierung in der Personalauswahl. Darin wollte ich ja eine kleine Liebeserklärung für das Foto im Bewerbungsdossier abgeben. Habe ich auch gemacht. Und doch bin ich etwas nachdenklich. Schauen wir den Tatsachen direkt ins Auge. In der Personalauswahl menschelt es. Das war nun die schönere Formulierung. Klar ausgedrückt: Wir diskriminieren.

  • Ausländerinnen und Ausländer haben allein aufgrund ihres Namens nachweisbar deutlich schlechtere Chancen, in ein Vorstellungsgespräch eingeladen zu werden.
  • Gestandene Berufsleute haben es in den letzten 15 Jahren ihres «ordentlichen» Berufslebens, sprich ab 50, immer schwerer, einen Job zu erhalten.
  • Frauen bis Ende der Dreissiger sind ein potenzielles Risiko für Fehlzeiten oder gar unverschämte Teilzeit- oder andere Arbeitszeitwünsche.

Sie alle – mehrere hunderttausend Fachkräfte! – haben einfach so, ohne ihr Zutun und vor allem ohne Bezug auf ihre Kompetenzen und Talente, ein stark erhöhtes Risiko, schon in der ersten Runde im Auswahlprozess k.o. zu gehen.

Eine der Massnahmen, die immer wieder diskutiert werden, sind anonyme Bewerbungen. In anderen Ländern, meines Wissens in Skandinavien, Belgien und anderswo, haben diese längst ihren Siegeszug angetreten. Ich bringe einen anderen Vorschlag ins Spiel:

Mindestalter für Recruiter

Was auf den ersten Blick abwegig tönt (und in der Praxis und vermutlich auch juristisch nicht durchsetzbar wäre, ich weiss), könnte vielleicht eine grosse Chance für Unternehmen sein, zu mehr Fachkräften zu kommen.

Landauf, landab entscheiden heute jeden Tag hunderte Menschen im Rahmen der Vorselektion über das berufliche Schicksal Tausender. Viele, die diese in höchstem Masse verantwortungsvolle Tätigkeit tun, sind jung, oft sogar sehr jung. Ich gebe es zu und schliesse von mir auf andere: Anfang 20 war für mich jemand um die 50 schon ziemlich alt. Heute nähere ich mich selber dieser Schwelle und fühle mich (wenigstens geistig) fit wie nie. Die Verantwortung, die wir den Jungen in der Vorselektion aufbürden, ist gewaltig. Doch wächst nicht gerade auch mit eigenen Erfahrungen, Niederlagen und schmerzlichen Erfahrungen das Verständnis dafür, dass halt auch im Leben anderer nicht immer alles rund läuft? Kann man dieses Verständnis antrainieren, lernen? Ich glaube: kaum, oder nur bedingt.

Heute entscheiden also viele «Juniors» darüber, ob die Lebens- und Berufserfahrungen von Menschen, die ihre Eltern sein könnten, für eine Aufgabe gut genug sein könnten. Eine ziemlich schwere Last, die wir unserem HR-Nachwuchs aufbürden. Wie gross ist das Verständnis von Menschen ganz am Anfang ihrer Berufslaufbahn, dass manchmal und immer mehr «Brüche die neuen Geraden im CV» sind?

Gewisse Filme unterliegen einer Altersfreigabe. Softe Alkoholika gibt erst ab 16 zu kaufen. Autofahren darf man ab 18. Abstimmen auch. Warum diese Vorgaben? Weil man davon ausgeht, dass diese Rechte mit einem gewissen Mass an Verantwortung im Umgang damit verbunden sind. Warum also nicht auch eine Tätigkeit mit so einem enormen Einfluss auf andere Menschen mit einem Mindestmass an Berufs- und Lebenserfahrung verknüpfen?

Aus diesen Überlegungen heraus rufe ich jetzt einfach mal ganz frechmutig ein Mindestalter für Recruiter von 40 Jahren aus – und bin gespannt auf Ihre Meinung.

P.S. Dieser Artikel ist Teil einer Serie deutschsprachiger Blogger zum Thema «Kandidaten». Eine ganze Menge Meer (Initiant Jo Diercks kommt aus Hamburg und das ist ja schliesslich fast an der Nordsee) zum Thema finden Sie hier.

17 comments for “Mindestalter 40 für Recruiter?

  1. 4. Mai 2016 um 7:41

    Da ist sie wieder die Suche nach dem Wahn. Gesucht wird junggebliebener Mitvierziger, mit 35 Jahren Berufserfahrung, der arbeitet wie ein 30jähriger für das Gehalt eines 16jährigen Berufsanfängers. Irgendwann sucht man wieder die Mitglieder des Club ab 50, weil man feststellt, das man auf diese Erfahrungen nicht verzichten kann

  2. Ramon
    22. Oktober 2015 um 15:11

    Hallo Jörg

    Findest du ein Mindestalter für Recruiter dann nicht diskriminierend und bevormundend? ;-)

    Gruss
    Ramon

    • 26. Oktober 2015 um 6:23

      Lieber Ramon

      Natürlich hast Du, wie andere Schreiberinnen und Schreiber auch, recht: Es mag vielleicht etwas schräg anmutet, eine Diskriminierung durch eine andere zu bekämpfen. Andererseits sind auch andere Aufgabengebiete in unserem Leben mit einem Mindestmass an Erfahrung, einem Mindestalter oder einer gewissen beruflichen Reife verknüpft. Bei den Anforderungsprofilen für beispielsweise Kaderjobs akzeptieren wir ja auch, dass eine gewisse Erfahrung vorausgesetzt wird. Davon abgesehen ist mein Beitrag natürlich auch ein Stück weit ein Gedankenanstoss.

      Herzliche Grüsse

      Jörg

  3. 19. Juni 2015 um 10:25

    guten Tag allerseits
    ich plädiere für einen stufen- und funktionsadäquaten Rekrutierungsprozess. ‚Juniors‘ für Auszubildende und Basismitarbeitende. ‚Seniors‘ für leitende Personen mit Führungsaufgaben, die den nötigen Weitblick haben für die breiten Bildungsangebote, nicht ‚diplomgeil‘ sind und den Erfahrungswert, den viele eben ältere Kandidaten bieten, einschätzen können. Gleichzeitig auch ein Appell an die Arbeitgeber: Schluss mit dem Gejammer über Fachkräftemangel, wenn sie keine Ausbildungsplätze anbieten und bei den kleinsten finanziellen Krisen sich von den Mitarbeitenden ab 40+ trennen oder Neubesetzungen nur mit Kandidaten von 20 – 35 Jahren im Anforderungsprofil vorgeben.
    Fachliche Qualifikationen sind wichtige Voraussetzungen um gute Arbeit zu leisten. Sobald eine Person befördert wird und Führungsaufgaben übernimmt fehlt es dann an der Förderung und Befähigung dazu.Soft Skills analysieren und trainieren rückt in den Vordergrund der persönlichen Weiterbildung. Die Studie ‚Schweiz führt?!‘ http://www.information-factory.com zeigt deutlich auf, dass Mitarbeitende zu häufig wegen den Führungsqualitäten des Vorgesetzen die Stelle verlassen.
    Eine grosse Herausforderung für HR-Leitende als Drehscheibe zwischen den Vorgaben und Erwartungen von GL und Mitarbeitenden die Ressource Mensch auch menschengerecht und betriebswirtschaftlich einzusetzen. Heterogen, ein gesunder Mix zwischen Fach- und Führungskompetenzen, Fach- und Erfahrungswissen, Lernenden und Wissenden, Jungen und Aelteren ist wichtig.
    In diesem Sinne nicht nur über Probleme reden, sondern Lösungen, die offensichtlich schon bereit liegen auch umsetzen. Packen wir es gemeinsam an.
    Grüsse aus dem Berner Seeland

  4. 19. Juni 2015 um 9:23

    Ich freue mich über die regen und auch interessanten Kommentare, die zum Teil neue und wertvolle Aspekte beinhalten. Danke dafür.

  5. Josefine
    19. Juni 2015 um 8:03

    Ein interessanter Ansatz…ABER (Frau halt):
    Auch ein junger Mensch kann viel Lebenserfahrung mitbringen. Das Alter sagt nicht zwangsläufig etwas über Reifegrad, Verantwortungsbewusstsein, Entscheidungsfähigkeit, Empathievermögen und so weiter aus.
    Ich distanziere mich mit meinen Anfang 20 ganz gerne mal von meinen Altersgenossen – dies nicht nur aus reiner Selbsteinschätzung.

    Ich verstehe natürlich den Kern der Aussage – dennoch denke ich, liegt der Hund woanders begraben. Die HR-Abteilungen sollten eine gute Mischung aus jung und älter bilden.

    Viel mehr sehe ich das Problem darin, dass eine Menge Leute im HR arbeiten, die weder etwas von Sozialkompetenz verstehen noch fähig sind über den Tellerrand und somit über vorgegebene Raster (hinweg) zu schauen.

  6. Andri B.
    18. Juni 2015 um 17:44

    Diskrimination durch Diskrimination bekämpfen? Oder wie nennt man denn den Ausschluss von unter 40-jährigen für eine Recruiter Stelle?

    Wie in anderen Kommentaren erwähnt geht es hier wohl eher um die Kultur und Struktur in einem Unternehmen und nicht um das Alter der Recruiter.

  7. 18. Juni 2015 um 16:47

    Moin Zusammen,

    an sich kein schlechter Gedanke. Um dem ganzen Problem aber entsprechend entgegenzuwirken, sollten Unternehmen sich kurz- bis mittelfristig darauf besinnen, sich vom reinen Credentialismus – also der Idee, ein Bildungszertifikat oder ein CV könne ein adäquater Ersatz für ein persönliches Gespräch sein, verabschieden.

    Viel mehr sollte es darauf hinauslaufen, dass Unternehmen nicht nur die X% der Leute einladen, die durch Ihr häufig viel zu enges Raster gelangen, sondern ein progressiver Ansatz zur Vielfalt geschaffen wird, indem man auch Y% von Kandidaten einlädt, die ad hoc vielleicht nicht zu 90%+ die Kriterien erfüllen, aber in der Gänze Ihrer Fähigkeiten durchaus interessant sein können.

    Ein No Match ist ein No Match, das stellt niemand in Abrede. Aber ein Can Match ist eben auch ein Can Match, und genau das sollte in Zukunft relevant sein.

    Das bedeutet quantitativ wie qualitativ mehr Arbeit und das ist natürlich doof, aber – um auf Ihre Idee zurückzukommen – teile ich die Ansicht, dass erfahrenere Recruiter durchaus eher in der Lage sein können, solche Hidden Champions zu identifizieren.

  8. 18. Juni 2015 um 15:10

    Übertrage ich den Vorschlag „Recruitermindestalter“ auf andere genannte und nicht-genannte Diskriminierungsfelder, führt das schnell zu einer nicht mehr lösbaren Aufgabe, wie der nicht-diskriminierende Recruiter denn auszusehen hat (Mindestalter, Geschlecht, Herkunft, Religion, Behinderung, sexuelle Orientierung). Einen Querschnitt durch die Bewerbervielfalt hinsichtlich dieser Kriterien wird Recruiting niemals abbilden können.

    M. E. hilft gegen Diskriminierung nur ein klares Anforderungsprofil, das im strukturierten, geplanten Auswahlverfahren abgeklopft wird, und die Dokumentation, warum welche Entscheidung getroffen wurde. Das ist aufwändiger als die schnelle Absage, weil die „Nasenspitze“ nicht gefällt, rechnet sich aber unterm Strich, da dann nicht leichtfertig Bewerberpotenzial verschenkt wird.

  9. 18. Juni 2015 um 14:33

    ….nach meiner Erfahrung (bin schon > 40….!) sind es nicht primär die recruiter, sondern die jungen Linienchefs, die sich mit der Führung – und erst recht der Neueinstellung …. – von Mitarbeitenden, die ihre Väter und Mütter sein könnten, schwer tun .
    Welche 35 jährigen Chefs stellen 55 jährige – gut qualitfizierte ! – Bewerber ein ?: Hand erheben !

  10. Karl Tobler
    18. Juni 2015 um 14:28

    Ich kann mich der Idee voll und ganz anschliessen, obwohl sie das Problem nur teilweise löst. Um die vielen jungen HR-Leute zu entlasten, entscheidet heutzutage ja schon vielerorts die Software, indem sie – je nach Einstellungen der Kriterien – automatisch aussortiert und automatisierte Absagen erstellt/verschickt. Ich nehme an, dass Kriterium „Alter“ wird dabei sehr häufig eingestellt (+50 = Absage). Andererseits bestimmen die jungen HR Leute nicht darüber, ob und welche Alterskategorien die Firma berücksichtigt. Dies wird meist in der Linie bzw. in der Chefetage beschlossen – da liegt der Hund begraben.

  11. Oliver
    18. Juni 2015 um 14:27

    Aber sind nicht gerade die jüngeren Generationen mit einem ganz anderen Geschlechterbild und Blick auf das Thema Ausländer aufgewachsen? Und haben nicht gerade die Jüngeren viel besser vor Augen, wie stressig die Bewerbung und wie emotional die erste Absage war?
    Für mich bleibt der Optimalfall ein gemischtes Team, keine Monokultur aus nur alten oder jungen Hölzern.

  12. 18. Juni 2015 um 11:59

    Hallo Jörg
    Danke für den tollen Beitrag. Finde Recruiter Ü40 eine gute Idee, meistens schaut die Realität bei Unternehmen eher U40 oder gar U30 aus. Und Lebenserfahrung hilft garantiert. Was meiner Meinung auch hilft ist Kompetenz basiertes und auf soft skill fokussiertes Screening, das einige der Probleme löst, die du beschreibst. Auf jeden Fall ist das das Feedback unserer ersten Kunden im Markt. http://www.softfactors.com
    Grüsse über die Limmat!

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert