The Honeymoon is over! Arbeitswelten 4.0 auf dem Prüfstand

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Future WorkDie kritischen Stimmen zu den Konzepten der Arbeitswelt 4.0 mehren sich. Wir sollten sie ebenso kritisch hinterfragen – und von ihnen lernen. 

Vor zwei Wochen war ich mit einer von Gruppe von Bildungsexperten aus dem Kanton Bern bei Microsoft Schweiz zu Gast für einen eintägigen Workshop. Menschen aus dem Bildungsbereich die neuen Arbeitswelten «zu verkaufen» ist so eine Art Königsdisziplin – denn sie schauen genau hin und lassen sich nicht von hippen Designs blenden. Berner sowieso nicht – nicht, weil sie besonders veränderungsresistent sind, sondern weil sie «Bewahrer» sind. Und das ist absolut anerkennend gemeint. Man kann nur etwas bewahren, was man zuvor aufgebaut und liebevoll gepflegt hat.

Nach dem Rundgang meinte eine Teilnehmerin: «Mich beeindruckt das Menschenbild, das hier zum Ausdruck kommt. Man spürt das gegenseitige Vertrauen.» Diese Schilderung hat mich sehr gerührt. Sie zeugt von einer unvoreingenommen, offenen und echten Auseinandersetzung mit dem Thema, die weit über die rationale Wahrnehmung und die isolierte Betrachtung eines Raumkonzepts hinausgeht.

Auf Euphorie folgt Ernüchterung

In der gleichen Woche bin ich von vier Personen aus unterschiedlichen Firmen auf aktuelle, sehr kritische Studien zu neuen Raumkonzepten angesprochen worden. Wurden in der Anfangsphase die Bürokonzepte der Pioniere einfach kopiert, liegen mittlerweile zahlreiche Studien vor, die sich sehr kritisch mit der Akzeptanz der neuen Räume, aber auch den Auswirkungen auf die Produktivität auseinander setzten. Die Goldgräberstimmung ist mittlerweile definitiv vorbei.

Und dennoch werden bei Neu- und Umbauprojekten fast nur noch Open-Space-Konzepte, meist in Kombination mit Desk Sharing, umgesetzt. Die Motive für diesen Gesinnungswandel sind vielfältig und schliessen sich gegenseitig nicht aus:

  • Optimierung der Flächennutzung. Im Wissen, dass Mitarbeiter im Schnitt nur etwa 60 Prozent im Büro sind und davon knapp die Hälfte am persönlichen Arbeitsplatz, ist das ein absolut legitimes Argument. Diesem Aspekt wird insbesondere durch Desk Sharing und den damit verbundenen Multizonen-Konzepten Rechnung getragen.
  • Bessere Vernetzung und Kommunikation. Dieses Ziel wird durch die Umstellung von einer Zellenstruktur zu einer offenen Bürolandschaft sowie durch einladende Begegnungszonen erreicht. Die Kommunikation wird dadurch verbessert, indem die Menschen in den offenen Zonen sichtbarer sind. Leider aber auch hörbarer.
  • Investition in Agilität und Innovationsfähigkeit. Neue Räume ermöglichen neue Formen der Begegnung und Zusammenarbeit. Immer mehr neue Themenfelder werden heute in bereichsübergreifenden Projektorganisationen statt in der Linie abgewickelt. Entsprechend gewinnen Kreativ- und Projekträume, innerhalb und ausserhalb der eigenen Räumlichkeiten, an Bedeutung. Ebenso wichtig ist es, dass das Raumkonzept die Umsetzung neuer Organisationsformen, Strukturen, Rollen und Projekten nicht unnötig erschweren.
  • Höhere Mitarbeiterzufriedenheit. In vielen traditionellen Bürokonzepte fehlen inspirierende Räume für den formellen und informellen Austausch. Neue Konzepte scheiden zudem besser ab punkto Licht, Ergonomie und Belüftung.
  • Durchgängiges Markenerlebnis. Das in den Teppich gestickte Firmenlogo im Eingangsbereich, die Klobrille und Kaffeetasse in der Corporate Identity Farbe sind schöne Ideen aus der Trickkiste der 80er-Jahre. Inzwischen gelingt es den Innenarchitekten immer besser, Markenpersönlichkeit, Vision und Werte in Raumerlebnisse zu übersetzen. Diese wirken sowohl nach innen wie nach aussen identitätsstiftend.
  • Signalwirkung für Transformation. Ein neues Büro steht oft auch symbolisch für Aufbruch und Neubeginn. Auch wenn der Raum alleine nie eine erfolgreiche Transformation auslösen kann, so ist er im Gegensatz zur Arbeitskultur und zu Technologien greifbar und daher bedeutsam.

Lernen von Pionieren und kritischen Stimmen

Wer erst jetzt aufbricht Richtung neue Arbeitswelten hat den Vorteil, dass er Anfängerfehler gezielt vermeiden kann – nicht nur, was das Flächenkonzept betrifft, sondern auch betreffend Vorgehensweise. Es macht deshalb Sinn, sich trotz aller Begeisterung für das Neue mit den sehr kritischen Studien auseinanderzusetzen, die momentan wie Pilze aus dem Boden schiessen.

Auch wenn man dort von heimatlosen, entwurzelten Mitarbeitern, unpersönlicher, steriler Atmosphäre, mangelnden Rückzugsmöglichkeiten, ungewollter Hyper-Vernetzung, mangelnder Privatsphäre, Anonymität, Dematerialisierung, Austauschbarkeit, mangelndem Fit zur Kultur, Zynismus, Sparen auf dem Buckel der Mitarbeiter sowie reduzierter Identifikation und Loyalität lesen kann, sollte man sich von diesen Schwarzmalereien nicht voreilig abschrecken lassen.

Ähnlich, wie die Scheidungsrate nur bedingt mit der Schlafzimmerausstattung korreliert, wäre es naiv zu glauben, dass das Flächenkonzept im Büro entscheidet, wie erfolgreich und leidenschaftlich Menschen zusammenarbeiten.

Der Umgang mit den vernichtenden Abrechnungen mit der Arbeitswelt 4.0, die gerade sehr «en vogue» sind, ist simpel – man muss sie genau so kritisch hinterfragen:

  • Was wurde genau verändert? Geht es beispielsweise nur um die Einführung eines Open Space Konzepts oder auch um die die Einführung von Desk Sharing?
  • Welche zusätzlichen Faktoren wurden gleichzeitig zum Positiven oder Negativen verändert? Zum Beispiel: neuer Standort und Arbeitsweg, Einführung neuer Technologien, Abbau von Hierarchiestufen, Wegfall von Statusprivilegen …
  • Wann wurden die Veränderungen geplant und umgesetzt? Die ersten Open-Space-Konzepte vernachlässigten das Thema Rückzug und Privatsphäre komplett – die neuen Konzepte lösen diese Herausforderung sehr gut (Stichwort: demokratische «Privacy Offices», die allen zur Verfügung stehen und nicht gleich Klaustrophobie-Anfälle auslösen, wie ihre Vorgänger, die Fokus-Bunker).
  • Wie wurden die Veränderungen begleitet? Hier spielt sowohl die Kommunikation als auch das Schulungsangebot eine wichtige Rolle.
  • Wie wurden die Mitarbeiter in die Ausgestaltung des Neuen involviert? Es ist erwiesen, dass Partizipation nicht nur zu einer höheren Akzeptanz, sondern auch zu besseren Resultaten führt. Es müssen nicht alle mitreden bei der Planung von tragenden Wänden und der Ausstattung der sanitären Anlagen – aber gemeinsam ein Fest zur Verabschiedung der alten Räumlichkeiten planen, Baustellenbegehungen durchführen oder im Team eine Charta zur neuen Zusammenarbeit entwickeln fördern unbestritten die Identifikation mit dem Neuen.
  • Wie digital war die Zusammenarbeit vor der Umstellung? Firmen, die sehr papierlastig sind und denen die Rohrpost noch vertrauter ist, als Cloud-Computing, tun sich gerade mit Desk-Sharing-Konzepten zu Recht sehr schwer.
  • Wurde die Kultur der Zusammenarbeit ganzheitlich thematisiert? Die Einführung von Open-Space-Konzepten in Kombination mit Desk Sharing macht nur Sinn, wenn die Mitarbeiterüber genügend Autonomie verfügen, um ihren Arbeitstag bewusst und individuell zu gestalten. Etwas provokativer formuliert: wer beim Thema Arbeitswelten 4.0 nur an eine Büro-Rennovation denkt, blendet wichtige Zusammenhänge aus und verschenkt damit eine Chance auf einen bedeutsamen Aufbruch.

Auch wenn man heute eigentlich Technologie-Mogule zitieren sollte und nicht die Helden der Musenalp-Express-Zeiten, so glaube ich, dass man manchmal tatsächlich mit dem Herzen besser sieht als mit den Augen (oder im Falle der Studien: mit den Augen anderer). Beim eingangs geschilderten Beispiel ging es um Vertrauen – ein Thema, das schwer messbar und steuerbar ist und dennoch gerade im VUCA-Zeitalter eine noch bedeutsamere Rolle spielen wird als bisher.

Ein anderes matchentscheidendes Thema für erfolgreiche Team-Leistungen ist «Hilfsbereitschaft» – was man spätestens nach dem legendären TED-Talk von Margaret Heffernan auch in Business-Kreisen debattieren darf.

Wer sich mit dem Thema Arbeitswelten 4.0 ernsthaft auseinandersetzen möchte, darf ruhig jeweils an passender Stelle euphorische oder vernichtende Studien zitieren. Aber daran, sich mit den übergeordneten Zielsetzungen, Hoffnungen, Ängsten und dem eigenen Beitrag zum Gelingen dieser Transformation auseinander zu setzen, führt kein Weg vorbei.

4 comments for “The Honeymoon is over! Arbeitswelten 4.0 auf dem Prüfstand

  1. 19. April 2018 um 18:11

    Merci Barbara für diese wertvollen Gedanken – ich hatte kürzlich die Gelegenheit zum Rundgang mit Dir bei Microsoft, grossen Dank für die vertieften Einsichten. Gelebtes Vertrauen und Offenheit über Unternehmensgrenzen hinaus habe ich in diesen Räumlichkeiten eindrücklich gesehen, das hat mich am meisten beeindruckt. Es existiert eine Verbindung von Microsoft-Werten und Räumen – und das macht Sinn im Rahmen der Ausrichtung einer Organisation in einer schnelllebigen Technikwelt. Genau hier müssen Unternehmen ansetzen. Eine klare Positionierung von Strategie und Kulturwerten und eben auch Räumen. „One-size-fits-all“ gilt bei keiner dieser Ebenen – und ein „einem-Hype-hinterherrennen-und-es-einfach-machen-weil’s-jeder-macht“ führt nicht zu nachhaltigem Erfolg. Aber nur Bewahren um jeden Preis ist’s auch nicht – das sage ich als Bernerin. It’s a long road to travel….

  2. 19. April 2018 um 16:26

    Sehr geehrte Frau Josef,

    vielen Dank für die klasse Zusammenschau der Tendenzen, die es hier gibt. Als kleine Beratungscompany mit etwas über 20 MA haben wir das Thema auf unsere Weise – und wie wir gleiben – ziemlich ideal gelöst.
    1. kein clean desk, kein desk sharing
    2. jeder ! ein Einzelbüro
    3. alle Büros vom Praktikant bis zur GF sind gleich gross
    4. die Büros reduziert auf das nötige – also sehr klein, keine Besprechungsecke im Büro selbst!
    5. Besprechungen und alle interne Kommunikation findet ausserhalb des Einzelbüros statt
    6. durch kleine Büros haben wir viel Platz für Open Space erzielt, dieser ist sehr vielgestaltig
    7. die Einzelbüros sind maximal verglast und technisch tipp-topp
    8. die Büros haben keine Türe, sondern man schiebt die Glasseingangswand als Durchlass oder Zugng auf – man kann damit von zurückgezogen bis volle Open Space-Teilhabe flexibel skalieren, von Privatheit zu intensiver Teilhabe.

    Mit diesen Prinzipien haben wir eine gelungene Kombination der Vorteile der aktuellen Diskussionen bei Vermeidung vieler Nachteile geschaffen. Auf unserer Homepage findet man Fotos

    Schöner Gruss
    Johannes Terhalle

    • Krebs
      29. April 2018 um 14:53

      Guten Tag Herr Terhalle

      Ihre Lösung spricht mich sehr an – die Kombi von Rückzug und Open Space erscheint mir durchaus gegeben und auch gelungen. Endlich mal ein Unternehmen, der die Vorteile von (lichtdurchfluteten) Einzelbüros und von Open Space-Zonen kombiniert!

      Der bewusste Verzicht auf CleanDesk und ShareDesk stärkt nach mir die gute Richtung.

      Besteht die Möglichkeit, diese Räume mal kurz zu besichtigen?

      Freundliche Grüsse
      Heinz Krebs

      • Johannes Terhalle
        30. April 2018 um 13:58

        Sehr geehrter Herr Krebs,

        danke für Ihr Interesse an einer Besichtigung, das ermöglichen wir gerne.

        Das Büro ist in Darmstadt. Wir sollten uns absprechen, damit ich selbst auch da bin. Wir haben mittlerweile ein 2. Stockwerk mit knapp 30 Plätzen ausgebaut und hier das Thema etwas varriiert.
        meine Mailadr. johannes.terhalle@t-n-p.de

        mit Gruss
        JT

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