Und wieder einmal feiert ein Schlagwort sein Comeback – die «prekäre Arbeit». Zum Beispiel in der Berichterstattung über die neue OECD-Publikation zur Einkommensungleichheit. Die OECD stellt fest, dass der Anteil von Temporär- und Teilzeitjobs steigt und mittlerweile ein Drittel aller Anstellungsverhältnisse ausmacht. Seit Mitte der 90er Jahre seien die Hälfte der neu geschaffenen Stellen sogenannte Non-Standard-Jobs.
Unweigerlich stellt sich da die Frage, ob man bei der Hälfte von «non standard» sprechen kann? Oder haben wir es hier nicht viel eher mit einer neuen Normalität zu tun? Ich denke schon.
Für diese Umwälzung am Jobmarkt gibt es zahlreiche Gründe. Die Globalisierung ist sicher einer. Sie verlangt von den Unternehmen zunehmende Anpassungsfähigkeit. Kostenseitig müssen die Firmen agil bleiben. Darum müssen sie auch die Personalkosten – ein wichtiger Kostenblock – flexibilisieren.
Eine so eindrückliche Verschiebung am Arbeitsmarkt kann aber nur stattfinden, wenn beide Seiten des Marktes – also Arbeitgeber und Arbeitnehmer – daran interessiert sind.
Und warum wollen die Arbeitnehmenden nicht mehr den Job fürs Leben, sondern Flexibilität, Abwechslung und vielleicht sogar Abenteuer? Meine Vermutung: Weil sie spüren, dass ein Lebenslauf auch durch Abwechslung gewinnt. Weil sie guten Mutes sind, dass auch ein nächster Arbeitgeber sie einstellen möchte. Weil das allgemeine Wohlstandsniveau es möglich macht, nicht ein Leben lang Vollzeit zu arbeiten, sondern Projekt-, Ausbildungs-, Reise-, Familien- und Selbständigkeitsphasen einzuschieben. Die neueste Studie von swissstaffing belegt: 45 Prozent der Temporärarbeitenden haben ganz bewusst diese Arbeitsform gewählt.
Wir sollten unser Menschenbild vom Arbeitnehmer anpassen. Andy Keel, Gründer von Teilzeitkarriere & Teilzeitmann, hat am Staffingday von swissstaffing einen treffenden Begriff verwendet: «der mündige Arbeitnehmer».
Der mündige Arbeitnehmer vertraut auf seine Kompetenzen und bewirtschaftet sie. Er stellt seinen Lebenslauf wie ein Mosaik zusammen. Er kündigt auch mal einen Job, ohne bereits den nächsten gefunden zu haben. Solche Beispiele kenne ich etliche. Der Personaldienstleister kann den mündigen Arbeitnehmer beim Zappen zwischen den Mosaiksteinen unterstützen, wenn er zu einem «Personal Job Trainer» wird.
Und wie steht es um die soziale Absicherung, falls alle Stricke reissen? Dank etablierter Sozialwerke haben wir ein Sicherheitsnetz geschaffen. Dieses Netz muss sich der neuen Normalität anpassen. Insofern haben die Skeptiker Recht. Im Falle der Schweizer Temporärarbeit ist das bereits gelungen – mit dem Gesamtarbeitsvertrag (GAV) Personalverleih, der eben für weitere drei Jahre verlängert wurde. Der GAV ist spezifisch auf Temporärjobs ausgerichtet. Altersvorsorge, Krankentaggeldversicherung und Weiterbildungsförderung sind darin so geregelt, dass die Arbeitnehmenden bereits nach wenigen Einsatztagen in den vollen Genuss eines ausgebauten Systems gelangen. Wer häufig Temporärjob wechselt, dessen Einsätze werden kumuliert, damit er nicht zwischen die Maschen des Sicherheitsnetzes fällt.
Prekär ist das Ganze also ganz und gar nicht. Viel eher immer normaler.
Ich finde das eine bedenkliche Entwicklung. Wie im Artikel erwähnt, ist der Grund dafür nicht die gewollte Flexibilität der Arbeitnehmer, sondern die im globalen Wettbewerb erwzungende „Flexibilisierung der Personalkosten“. Wachstum und Gewinn, möglich gemacht auf dem Buckel der Arbeitnehmer, indem die Arbeitsbedingungen massiv verschlechtert werden. Ich persönlich kenne niemanden, der freiwillig temporär arbeitet – alle hätten gerne einen Job, bei dem sie nicht alle 6 Monate nervös werden müssen, weil man nie weiss, ob man gleich was neues findet. Die ganzen Rechte, für die unsere Eltern und Grosseltern gekämpft haben, die Sozialpartnerschaften, werden so ganz einfach ausgehebelt. Aber man muss ja mithalten können mit dem Ausland…