Manche verstaubten Verhaltensmuster und Umgangsformen halten sich bei Führungskräften erschreckend hartnäckig. Wie aber würde es besser gehen? Was macht eine «moderne Führungsperson» aus? Wir haben uns bei Kandidatinnen und Kandidaten sowie bei uns im Team nach dem Wunschprofil für moderne Chefinnen und Chefs umgehört.
Dass wir vor 22 Jahren den Wechsel ins 21. Jahrhundert vollzogen haben, ist offenbar nicht bei allen Vorgesetzten angekommen. Erschreckend oft hören wir von Methoden, einem Führungsverständnis und Umgangsformen, die wohl als rare Exponate in einem historischen Museum eine Daseinsberechtigung hätten – nicht aber im pulsierenden Arbeitsleben von heute.
Nur leider verstehen das die Chefinnen und Chefs nicht, die nach den Prinzipien der Vergangenheit leben. Sie wollen es oft selbst dann nicht wahrhaben, wenn ihre Mitarbeitenden nach einiger Zeit frustriert das Handtuch werfen. Und wenn ihr Unternehmen, dank der Transparenz des digitalen Zeitalters und einem vorauseilenden Ruf, kaum noch Bewerbungen für offene Stellen erhält.
Hier nur ein kleines «Worst-of» der Erfahrungen, von denen uns Kandidatinnen und Kandidaten berichten:
- Da ist beispielsweise der Chef, der seinen Mitarbeiter vor versammelter Mannschaft zusammenstaucht, weil dieser einen (gänzlich unrealistischen) Auftrag nicht termingerecht abgeliefert hat.
- Da ist die junge Unternehmerin, die in aller Ehrlichkeit bestätigt, ihrer Assistentin gar nicht auf Augenhöhe begegnen zu wollen.
- Da ist jener schweizweit bekannte Unternehmer, der seine Mitarbeitenden mit Worten beleidigt, die so verstörend sind, dass wir sie hier nicht wiedergeben wollen.
- Da sind die zahlreichen Arbeitgebenden, die ihren Mitarbeitenden das Homeoffice verweigern, weil sie Angst haben, dass diese lieber die Beine hochlagern statt zu arbeiten.
- Da sind die Mikromanager, die sich mit ihrem Verhalten hochgradig unbeliebt machen, Produktivität verhindern und alle um sie herum runterziehen.
- Da ist der CEO, der darauf besteht, seiner Assistentin Texte zu diktieren, die sie ab «Bändli» abhören soll.
Soweit die Beispiele, was eine moderne Führungsperson nicht ist. Aber was genau ist nun eine moderne Führungsperson? Welche Fähigkeiten machen sie aus? Oder ist der Ausdruck «moderne Führungsperson» auch schon veraltet, weil «Leadership» im heutigen Verständnis viel mehr mit Befähigung und Ermöglichung zu tun hat als mit klassischer Führung? Wir haben uns bei Kandidatinnen und Kandidaten sowie bei uns im Team nach dem Wunschprofil für moderne Chefinnen und Chefs umgehört.
Und nur, um es vorwegzunehmen: Bei den Menschen, mit denen wir gesprochen haben, handelt es sich keinesfalls nur um die notorisch verschrienen «wohlfühlverwöhnten» Mitglieder der Generation Z – sondern um Menschen mit unterschiedlichem Alter, unterschiedlichen Berufen und unterschiedlicher kultureller Herkunft.
Und hier ist er: unser Stellenbeschrieb für eine
Moderne Führungsperson (m/w/d)
Sie bringt mit:
- Stichwort Respekt. Sie sehen und behandeln Ihre Mitarbeitenden als das, was sie sind: Fähige Menschen auf Augenhöhe. Sie zeigen Ihren Mitmenschen Wertschätzung, auch dann, wenn sie gerade nicht im Raum sind. Sie fordern Respekt nicht ein, sondern verdienen ihn sich.
- Stichwort Feedback. Sie können und wollen kritisches Feedback annehmen. Den «Hofnarren», der Ihnen den ungeschönten Spiegel vors Gesicht hält, empfangen Sie mit offenen Armen. Auch Sie selbst geben Feedback – viel und gern, positiv und kritisch, und vor allem zeitnah und nicht erst Monate später am Mitarbeitergespräch.
- Stichwort Fehler. Eine «positive Fehlerkultur» ist für Sie kein Schlagwort aus dem Bullshit-Bingo, sondern gelebte Realität: Sie sprechen offen über Ihre Fehler und ermutigen Ihre Mitarbeitenden, das Gleiche zu tun.
- Stichwort Vertrauen. Sie wissen von jedem einzelnen Teammitglied, warum Sie es eingestellt haben und was seine individuellen Stärken sind. Deshalb fällt es Ihnen leicht, Verantwortung abzugeben und zu vertrauen.
- Stichwort Empathie. Sie wissen, dass zu einem Gespräch auch Zuhören gehört. Sie zeigen echtes Interesse an Ihren Mitmenschen und haben ein Gespür für deren Bedürfnisse. Ihre Menschenkenntnis erlaubt Ihnen, das Potenzial in Ihren Mitarbeitenden zu sehen und zu fördern.
- Stichwort Freiheit. Sie klammern sich nicht krampfhaft an Arbeitszeiten, sind offen für Homeoffice und ermutigen Ihre Mitarbeitenden, Pausen einzulegen und in den Ferien wirklich Ferien zu machen.
- Stichwort Vielfalt. Sie schrecken nicht davor zurück, auch Menschen einzustellen, die möglicherweise cleverer, stärker oder fähiger sind als Sie selbst. Sie reflektieren Personalentscheide bewusst und suchen für Ihr Team einen vielfältigen Mix von Menschen, die sich gegenseitig bereichern. Und: Sie schaffen die richtigen Bedingungen dafür, dass diese Menschen bei Ihnen im Unternehmen bleiben wollen.
- Stichwort Rollenverständnis. Ihre Hauptaufgabe als Führungsperson verstehen Sie darin, Ihrem Team zu ermöglichen, Höchstleistungen zu erbringen und eigene Lösungen zu finden. Sie verstehen sich weniger als «Tätschmeister», sondern mehr als Coach, als Wegbereiterin und «Enabler». Dabei dürfen Sie Ihre Mitarbeitenden ruhig auch fordern.
- Stichwort Digitale Fitness. Nein, wir erwarten von Ihnen kein TikTok-Video mit Bewerbungstanz. Aber: Wir wünschen uns eine Person, die der Digitalisierung in den groben Zügen folgt, geschäftsrelevante (Digital-)Trends erkennt und sich so weit weiterbildet, dass er oder sie keine Assistenz braucht, um E-Mails auszudrucken. Oder noch besser: Die das Ausdrucken von E-Mails gleich ganz bleiben lässt.
Erfüllen Sie nicht alle Voraussetzungen auf dieser Liste? Herzliche Gratulation – jetzt wissen Sie, wie es unzähligen qualifizierten Fachkräften auf Stellensuche geht. Die gute Nachricht: Uns ist es egal, wenn Sie nicht perfekt sind, solange Sie bereit sind, an sich zu arbeiten. Lassen Sie uns gemeinsam wachsen!
Das dürfen Sie im Gegenzug erwarten:
Einiges. Ihnen als moderne Führungsperson müssen wir das Mantra der neuen Arbeitswelt nicht predigen: Zufriedene Teammitglieder sind leistungsfähiger, motivierter, gesünder und sie bringen Ihrem Unternehmen mehr Profit. Die Studien, die belegen, wie sehr der Führungsstil auf die Zufriedenheit der Mitarbeitenden abfärbt, sind Ihnen bestimmt bestens bekannt.
Sie als moderne Führungsperson wissen auch: Zufriedene Mitarbeitende laufen Ihnen nicht so schnell davon! Sie bleiben – und zwar nicht, weil sie keine anderen Optionen haben, sondern weil sie es wollen. Ihnen als moderne Führungsperson ist selbstverständlich auch klar, dass es weitaus kostspieliger ist, neue Talente zu rekrutieren, als bestehende zu behalten.
Und ganz bestimmt haben Sie als moderne Führungsperson schon die Erfahrung gemacht, dass Ihre Mitarbeitenden mitdenken, Verantwortung übernehmen und sich mit vollem Herzen einbringen. Dass Ihre Mitarbeitenden aus innerem Antrieb heraus die beste Leistung erbringen wollen. In unserer heutigen Wirtschafts- und Arbeitswelt ist das Gold wert: Nur Unternehmen, in denen jede und jeder Einzelne Verantwortung übernimmt, entfalten ihr volles Potenzial.
Und zu guter Letzt sind Ihnen als moderne Führungsperson sicherlich auch die wissenschaftlich belegten Vorteile bekannt, von denen vielfältige Teams profitieren: Kreativere Lösungen, bessere Entscheidungen, überdurchschnittliche Leistungen und bessere Problemlösungs-Kompetenz bilden nur die Spitze des Eisbergs.
Und weil sie das alles wissen, und weil Ihnen bestimmt noch weitere Vorteile Ihres modernen Führungsstils einfallen, schliessen wir hier ab – und laden Sie ein, uns in die Kommentare zu schreiben, wie Sie über dieses Thema denken.
Für Elon Musk wäre der Artikel auch lesenswert. ;) Er ist ein gutes Beispiel dafür, wie man es definitiv nicht machen sollte (nach den Prinzipien der Vergangenheit zu leben).
Da sprichst Du mir aus dem Herzen… da gäbe es noch einige weitere Themen zu adressieren! Merci für den Kommentar.
In der Ausgabe vom 25.11.22 der NZZ schrieb Brigit Schmid im Artikel «Warum sind so viele Chefs Irre und Psychopathen?» wie Vorgesetzte ihre Mitarbeitenden plagen.
Vielleicht eine Lektüre wert am freien Wochenende.
Liebe Grüsse
Reto
Ja, in der Tat ein lesenswerter und erschreckender Artikel. Emotionale Intelligenz wird mit etwas Glück vielleicht einmal Primarschulfach!
Der Beitrag spricht mir so aus dem Herzen und das Feedback, das ich als Führungskraft von Kollegen und Mitarbeitern erhalte, bestätigt mich in allen Punkten der Stellenbeschreibung. Darauf bin ich sehr stolz.
Zu Recht bist Du stolz – und ich freue mich für Dich! Weiter so und danke, dass Du Deine positive Erfahrung mit uns teilst.
Ein sehr humanistischer und wertvoller Beitrag – danke Sabine, dass Du dies wieder so treffend auf den Punkt bringst.
Eigenschaften wie diese wünschen sich die Meisten, doch sie an den Mitarbeitenden zu bringen ist die andere Sache. Diese Ansätze erfordern Reife, Selbstwert und Vertrauen, doch es zahlt sich aus.
Ich wünsche nun allen Führungspersonen Mut und Vertrauen ihren Führungsstil zu überdenken und auf ihre Mitarbeitenden und Teams zu setzen. Ich staune immer wieder, wie sehr die obigen Faktoren geschätzt werden und welch’ tolle Resultate in einer solchen Kultur zutage kommen.
Danke Dir, liebe Andrea, für Deine zustimmenden Worte. Ja, Du sprichst es aus: Mut und Vertrauen als Basis des Umdenkens! Auch hier zählt der erste Schritt, das erste Schrittchen.
Gratuliere, ein gelungener Artikel, gut auf den Punkt gebracht!
Wir unterstützen Führungspersonen, die sich in dieser Richtung weiterentwickeln wollen und möchten alle Mitarbeitenden ermuntern, mehr Feedback zu geben und auch danach zu fragen.
Ich freue mich, dass Ihnen mein Blog gefällt. Ich bin immer wieder erstaunt, wie oft von der Wichtigkeit einer Feedbackkultur und offener Kommunikation gesprochen, aber wie wenig danach gehandelt wird. Also: Taten statt Worte!
Ein ganz toller Beitrag – Gratulation!
Bin seit 30 Jahren am Trainieren von Soft Skills und das sind genau die Themen.
Für mich der Schlüsselpunkt in Ihrem Bericht: Uns ist es egal, wenn Sie nicht perfekt sind, solange Sie bereit sind, an sich zu arbeiten. Lassen Sie «uns» gemeinsam wachsen! Leider hat die Bereitschaft der Mitarbeitenden in den letzten Jahren stark abgenommen. Dafür gibt es einige Gründe. Die Führung hat dazu beigetragen. «Mitarbeiterengagement ist Chefsache» ist zur Zeit am gefragtesten! Nochmals Danke für Ihren Bericht!
Danke Ihnen für Ihren Zuspruch. Ich gehe davon aus, dass es auch weiterhin viel Bedarf für Ihre Trainings geben wird… Weiterhin viel Erfolg!