Es grüsst die digitalisierte Herzlichkeit

HR-PraxisEffizienter, moderner, digitaler muss man heute sein. Ratgeber mit praktischen Tipps füllen mittlerweile ganze Bücher. Unzählige Seminare und Kommunikationstrainings werden angeboten. «Mit der Zeit gehen» lautet das Credo. Dies ist die Geschichte einer HR-Verantwortlichen, die genau das umsetzen muss.

Daniela hat heute ihren letzten Arbeitstag. Nein, frustriert sei sie nicht, versichert sie mir. «Nur die zunehmende Administration und das ewige sich rechtfertigen bezüglich der hohen Fluktuation macht müde», erzählt sie. Bei einer Tasse Tee wird sie spezifischer: «Wie in vielen anderen Unternehmen, gewinnt die Digitalisierung immer mehr an Gewicht. So entschied die Geschäftsleitung voriges Jahr auch, dass der Rekrutierungsprozess geändert wird. Potentielle Mitarbeitende müssen sich am PC einloggen und die Bewerbung über ein entsprechendes Programm ausfüllen. Dieses entscheidet aufgrund weniger Sekunden über die Tauglichkeit des Kandidaten und schickt nur Augenblicke später die Absage.» Daniela hält einen Moment inne. «Wissen Sie, ich war einmal für eine kurze Zeit arbeitslos. Was glauben wie man sich fühlt, wenn man auf diese Art eine Absage erhält?»

«Nicht wirklich vertrauensfördernd für Betroffene. Bleibt dafür mehr Zeit für den persönlichen Kontakt?», frage ich. Daniela verweist auf das Grossraumbüro hinter der Sitzgruppe. Eine breite Fläche mit Milchglas und schattenhaften Gestalten ist zu sehen. «Effizienz sieht heute so aus», argumentiert sie mit einem zynischen Unterton. «Künftig werden alle Rekrutierungen von hier aus erledigt. Der Austausch ist minimal zu halten. Ein Formular – vom Vorgesetzten ausgefüllt – umschreibt das gewünschte Profil von Kandidaten. Die HR Recruiting Professionals, wie die Mitarbeitenden genannt werden, treffen meist im Erstgespräch, zeitgleich mit dem Kandidaten, auf den entsprechenden Vorgesetzten.» Wir verabschieden uns wenig später. Ich bleibe noch einen Augenblick sitzen, während sie in einem der Büros verschwindet.

Wie in vielen anderen Firmen werden heute HR-Dienstleistungen spezifiziert, digitalisiert und rationalisiert. Anlaufstellen sind mit Telefonnummern hinterlegt, die eine Nummer ist für Fragen rund um Arbeitszeugnisse, die andere für Unklarheiten bei Kündigungen, die dritte zwecks psychologischer Beratung etc. Unschwer ist zu erkennen, dass der zwischenmenschliche Kontakt, der Dialog am Tisch, mehr und mehr wegfällt.

Das Gespräch mit Daniela geht mir nicht mehr aus dem Kopf. Schwierig zu sagen, ob der von ihr angesprochene modernisierte Rekrutierungsprozess tatsächlich mit der Fluktuation zusammenhängt. Aus eigener Erfahrung weiss ich, dass Fehlbesetzungen natürlich entsprechende Konsequenzen nach sich ziehen können, zum Beispiel auch aus einem Auswahlverfahren.

Ich überlege. Es genügt doch ein ehrlicher Blick in die heutige Arbeitswelt: Die Grundbedürfnisse und Herausforderungen im Arbeitsprozess haben sich in all den Jahren kaum verändert. Wie also gelingt es, die unaufhaltsame Digitalisierung im Unternehmen zu implementieren und zugleich der Werthaltung, ethischen Grundsätzen und somit der unternehmerischen Kultur gerecht zu werden? Ein Tanz auf Messers Schneide, der aus meiner Sicht zu einer der grösseren Herausforderungen einer zeitgemäss agierenden Human Resources Abteilung gehört.

Was tun Sie dafür?

2 comments for “Es grüsst die digitalisierte Herzlichkeit

  1. 17. Januar 2019 um 14:41

    Die Digitalisierung fokussiert falsche Werte und zeigt in die falsche Richtung. Es geht letztlich immer nur um Effizienzsteigerung, Kostensenkungen, Prozessoptimierungen, Ressourcengewinn und quantitative Aspekte mehr. Substanzielle Werte mit wesentlich höhrerer Prioirtät (Mitarbeitermotivation, Sinnstiftung, Kommunikation, Work-Life-Balance, Mitarbeiterförderung und viele andere mehr) fehlen und werden nicht mehr genügend oder gar nicht mehr beachtet.

    • Marthaler Markus
      17. Januar 2019 um 21:04

      Lieber Herr Di Micheli
      Soweit wollte ich als Blog Schreiber nun nicht gehen. Kann Ihnen vom Grundgedanken her nur beipflichten. Die Gratwanderung von tatsächlicher Effizienz und Beibehalten der menschlichen Werte ist die Kunst. ..,der Zeitgeist lässt sich ja nicht aufhalten…
      Danke Ihnen für die Gedanken.
      Liebe Grüsse Markus Marthaler

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