Digitalisierung & Humanisierung: endlich gute Arbeit oder totale Sinnfinsternis?

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Future WorkNeue Technologien nehmen uns Arbeit ab, verschaffen Gestaltungsspielräume und helfen dabei, bessere Entscheidungen zu fällen. Doch gehen Effizienz und Produktivitätsgewinne auch einher mit einer Humanisierung der Arbeitswelt? Ich habe mich darüber mit Prof. Dr. Theo Wehner, Arbeits- und Organisationspsychologe ETH, unterhalten.

Sie weisen immer wieder darauf hin, dass Arbeit nicht Spass machen muss, sondern Sinn. Es sind aber die Individuen, die die Sinnkonstruktion bauen, nicht die Unternehmen. Was halten Sie von neuen Berufsgattungen wie «Chief Happiness Officer» (CHO) oder «Feelgood Manager»?

Theo Wehner: Arbeit darf auch mal Spass machen und erst recht darf sie überdauernde Freude bereiten. Da Spass haben Zeitvertreib bzw. Zerstreuung meint, kann ich mir das selbst nicht einmal für den CHO vorstellen; es sei denn es stünde in seinem Stellenbeschrieb und die Mitarbeitenden dürften ihre Spässe darüber machen.
Da man in der Auseinandersetzung mit der Sinnkonstruktion – wir sprechen von Sinngenerierung – tatsächlich davon ausgeht, dass es sich um einen höchst subjektiven Vorgang handelt, ist die Rolle eines CHO ein Widerspruch in sich. Um nicht von Unsinn zu reden, den es eigentlich nicht gibt, sehe ich im «Feelgood Management» die animierte Instrumentalisierung von individuellem Erleben.

Sie beschäftigen sich sehr stark mit der Freiwilligenarbeit. Welche Erkenntnisse zum Thema Sinn können auf die Erwerbsarbeit übertragen werden?

Freiwilligenarbeit unterliegt nicht der Existenzsicherung. Daher wäre ich sehr vorsichtig bei Transferüberlegungen. Zur Freiwilligenarbeit zu finden geht weit über die freie Berufswahl hinaus. Freiwillige sagen mir: «Das, was ich hier tue, entspricht mir vollkommen und deckt sich voll und ganz mit meinen Wertvorstellungen.» In Interviews mit Erwerbstätigen habe ich solche emphatischen Aussagen selten gehört. In einer Studie haben wir festgestellt, dass die Sinnerfüllung bei freiwilligen Feuerwehrleuten gegenüber Berufsfeuerwehren um einen halben Skalenpunkt höher liegt. Daher meine Empfehlung: Freiwilliges Engagement ermöglicht Sinnerleben und verbessert sogar die Work-Life-Balance.

In Interviews betonen Sie, dass Zufriedenheit und Sinnhaftigkeit zwei unterschiedliche Dinge sind und dass wir uns oft mit der Zufriedenheit begnügen. Heisst das, wir können die Umfragen, welche die Mitarbeitenden-Zufriedenheit messen, ersatzlos streichen? Gäbe es bessere Alternativen, die auch die Sinnhaftigkeit miteinschliessen?

Zufriedenheit ist ein Soll-Ist-Vergleich: Deckt sich mein Anspruchsniveau an einen zufriedenstellenden Arbeitsplatz den gebotenen Arbeitsbedingungen, oder nicht? Um den Sinn der jeweiligen Situation generieren zu können, bedarf es einer grossen Offenheit im Erleben. Dazu dient beispielsweise auch die kognitive Fähigkeit zu sich und zu anderen auf Distanz gehen zu können. Der Rheinländer würde sagen: «Sinn ist, wenn wat jut läuft». Es ist also nicht der dankbare Kunde, die lobende Chefin oder gar der CHO, im Tun selbst oder in den Augen des Kunden erkennt der Dienstleister den Sinn seiner Leistung.
Wie man aus den routiniert durchgeführten, von Jahr zu Jahr fast identische Ergebnisse produzierenden Mitarbeitenden-Befragungen wieder heil rauskommt, ist eine andere Frage. Sie sollte auch ein andermal beantwortet werden.

Momentan ändert sich unser Verständnis von Führung sehr stark – getrieben durch neue Organisationsformen, eine neue Aufteilung der Arbeit zwischen Menschen und Maschinen und vielleicht auch durch ein neues Menschenbild. Welcher Platz sollte in einer zeitgemässen Führungsausbildung der Sinnfrage zukommen?

Im sogenannten «Energy Project» wünschten sich 2016 mehr als 70 Prozent der rund 12’000 Befragten: «wenigstens eine Stunde pro Woche darüber nachdenken zu können, welchen Sinn die Arbeit ergibt, wozu sie gut ist und wozu sie führt». Führungskräfte sollten folglich Foren finden und Freiräume hierfür schaffen. In den Foren könnten sie gleichzeitig selbst das Zuhören üben und zusätzlich ihre eigenen Sinnkonstruktionen einbringen.

Wie hat sich unser Verständnis von «guter Arbeit» im Laufe der Zeit verändert?

Hat sich denn etwas verändert? Die Nöte der Existenzsicherung sind selbst in entwickelten Arbeitsgesellschaften geblieben. Die Beschäftigungsfähigkeit und damit der Erhalt der Qualifikationen ist nicht immer garantiert und die Sinnfinsternis an den Arbeitsplätzen hat zugenommen (vom Stress und den krankmachenden Faktoren einmal abgesehen).
Darum: Automatisierung durch Technik, wo immer sie möglich ist. Durchsetzung der Trennung von Einkommen und Arbeit durch kluge Politik und Sinngenerierung durch intrinsisch motiviertes Tätigsein sowie zivilgesellschaftliches Engagement. Wir sind tätige Wesen und selbst wenn die Existenzsicherung gegeben ist verschwinden wir nicht in den Hängematten; auch wenn es die derzeitige Hitzewelle nahelegen würde.

Prof. Dr. Theo Wehner referiert an der SGO Herbsttagung vom 24. Oktober 2019 zum Thema «Humanisierung: Sinn wird gemacht, nicht gefunden!»

3 comments for “Digitalisierung & Humanisierung: endlich gute Arbeit oder totale Sinnfinsternis?

  1. 9. Juli 2019 um 11:18

    Mich spricht Ihr Beitrag sehr an! Vor allem, weil deutlich wird, dass «Sinn» beim Menschen liegt und nicht an das Unternehmen delegiert werden kann. Selbst purpose-getriebene Unternehmen können nicht garantieren, dass ihre Mitarbeitenden darin «ihren Sinn» finden werden.
    Im existenziellen Ansatz gehen wir davon aus, dass Menschen ihren Sinn selbst finden müssen, um ein erfülltes Leben führen zu können: Wir finden ihn, wenn wir Wertvolles tun, wert-schöpfend tätig sein können. Wenn wir uns für das engagieren können, was uns in unserer Funktion wichtig ist. Wie Prof. Wehner schreibt, haben Führungskräfte hier eine wichtige Aufgabe, indem sie sich ihrer eigenen Sinnkonstruktion bewusst werden und sich dadurch als Mensch begreifbar machen. Mit lieben Grüssen aus Vorarlberg, Gabriele Walch

  2. 5. Juli 2019 um 11:07

    Klasse Anregungen, Danke! Sinn ist ein Erlebnisphänomen, das reflektorische Fähigkeiten voraussetzt. «Sinnfinsternis» herrscht meist dort, wo das Gespür für sich, sein Denken und Handeln fehlt. Was Not tut: Bildung jenseits von Wissen generierenden Lernmaschinen. Zeitgemässe Führung erlaubt Freiräume zum Erspüren seines Selbst, indem sie ermutigt, Ziele zu hinterfragen, selbstbestimmt zu handeln, aus Erfahrungen zu lernen und Sinn zu generieren. Weniger dicke Seminarkataloge und mehr Selbstführungskompetenz sollten die Ziele von Personalentwicklern sein.
    Viele Grüsse aus der Südpfalz, Walter Braun

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