Was verbindet Ständerat Daniel Jositsch, die St.Galler Leadership-Professorin Heike Bruch und den IKRK-Präsidenten Peter Maurer? Sie und 21 weitere Persönlichkeiten aus Wirtschaft, Politik, Kultur, Gesellschaft und Sport haben sich im Laufe Ihrer Karriere intensiv mit dem Thema Führung befasst. Anlässlich der Kampagne zum 125-jährigen Jubiläum der Schweizerischen Kaderorganisation SKO, welche ich mit Inspire 925 umsetzen durfte, habe mit den genannten Persönlichkeiten über Schweizer Führungswerte gesprochen.
Was macht «Leadership the Swiss Way» aus und welche Werte tragen zu erhöhtem Mitarbeiter-Engagement bei? Basierend auf einer Auswertung durch die Kalaidos Fachhochschule treten folgende Führungswerte besonders hervor:
Dialogfähigkeit und demokratische Führung
Die direkte Demokratie und das Solidaritätsprinzip sind in der Schweizer Gesellschaft tief verankert. Führungskräfte in der Schweiz tragen diese Werte in ihre Organisationen, indem sie für eine offene Diskussionskultur sorgen und mit den Mitarbeitenden auf Augenhöhe in den Dialog treten. Im Gegensatz zum international noch immer weit verbreiteten direktionalen Führungsstil setzen manche Schweizer Führungskräfte auf kooperative Formen der Zusammenarbeit.
So bedeutet Führung auf Schweizer Art für Peter Maurer, Präsident des Internationalen Komitees vom Roten Kreuz (IKRK) «die grundsätzliche Offenheit, jenen zuzuhören, die betroffen sind und mit ihnen zusammen Lösungen zu suchen, die tragfähig und nachhaltig sind.»
Bei der Software-Firma Ergon Informatik können die Mitarbeitenden bei wichtigen Entscheidungen regelmässig mitbestimmen, Ergon Informatik kennt eine Art direkte Demokratie. So stellte die Geschäftsleitung das Personal vor die Entscheidung, ob das Unternehmen in die Peripherie ziehen und die so gesparten Mietkosten als zusätzlichen Lohn ausbezahlen oder im teuren Zürich bleiben soll. Eine klare Mehrheit der Mitarbeitenden entschied sich für Letzteres, auch wenn pro Kopf und Jahr damit auf bis zu 8000 Franken zusätzlichen Bonus verzichtet werden musste und der ehemalige CEO und heutige Verwaltungsratspräsident Patrick Burkhalter den Umzug in die Agglomeration vorgezogen hätte.
Dieses typisch Schweizer Attribut kennt man vor allem aus der Politik, wenn Politiker nach einer Volksabstimmung den Entscheid akzeptieren und diesen auch dann umsetzen, wenn sie selbst vielleicht anders abgestimmt haben.
Die demokratische Führungskultur bei Ergon stärke das Mitarbeiter-Engagement und die Identifikation mit dem Unternehmen, bestätigt Patrick Burkhalter in einem Interview letztes Jahr.
Mit Vertrauen, Treu und Glauben
«Führung bedeutet nicht, den Leuten zu sagen, was sie tun müssen, sondern ihnen den Raum zu geben, das zu tun, was sie können. Das bedeutet auch Loslassen. Das bedeutet Vertrauen haben», meint Daniel Jositsch, Ständerat für den Kanton Zürich, Strafrechtsprofessor an der Universität Zürich und Präsident des Kaufmännischen Verbandes.
Henri B. Meier, früherer Finanzchef von Roche, sagt in seinem Interview: «Rückblickend über 50 Jahre auch internationaler Führungserfahrung sehe ich die Eigenart der Swiss Leadership vor allem im sorgfältigen Abwägen zwischen den Unternehmenszielen und den Bedürfnissen der Belegschaft sowie in der Fähigkeit, Mitarbeiter auf das gemeinsame Ziel auszurichten und ihre Treue zu und Identifizierung mit der Firma zu erreichen. Das bewährte Schweizer Prinzip, nach Treu und Glauben zu handeln, scheint mir die beste Charakterisierung.»
Eine Organisationskultur, die auf Vertrauen basiert, schützt Führungskräfte und Mitarbeitende vor übertriebenem Mikromanagement und schafft die besten Voraussetzungen für Innovationen. Ein gesundes Vertrauensverhältnis erweitert den Handlungsspielraum jedes einzelnen Teammitglieds und gibt ihm Freiheit, sich zu entfalten. Vertrauen ist auch der Grundstein für starkes Mitarbeiter-Engagement. So messen etwa die Analytiker des Forschungsinstituts «Great Place to Work» das Mass an Vertrauen innerhalb verschiedenen Organisationen, um jährlich die besten Arbeitgeber der Schweiz zu küren.
Immer im Wandel
Rückblickend über alle geführten Interviews zu «Leadership the Swiss Way» glaube ich, dass das Ineinandergreifen von Dialogfähigkeit, demokratischer Mitbestimmung, Vertrauen, Treu und Glauben das Schweizer Erfolgsgeheimnis von guter Unternehmensführung mit starkem Mitarbeiter-Engagement ist.
Darüber hinaus würde ich die Führungskultur in der Schweiz mit unseren Mundartsprachen vergleichen. Es gibt nicht einen bestimmten gesprochenen Dialekt, geschweige denn überhaupt eine einzige Standardsprache in der Schweiz. Vielmehr ist es gerade die Vielfalt an Stimmen, die zur kollektiven Identität der Schweiz beiträgt. Diese befindet sich in einem stetigen Veränderungs- und Entwicklungsprozess. Ähnlich ist auch die Kultur in Schweizer Organisationen nicht für alle Ewigkeit in Stein gemeisselt, sondern wie ein lebendiges Wesen immer im Wandel.
Was bedeutet «Leadership the Swiss Way» für Sie? Beteiligen Sie sich am Dialog oder besuchen Sie eine der vielen Anlässe im Rahmen der gleichnamigen Fotoausstellung zum Thema Führung.
Sehr geehrte Frau Groeneveld
Vielen Dank für diesen tollen und aufschlussreichen Artikel. Sie bringen eine interessante Verbindung zwischen Führungskultur in Unternehmen und der Gesellschaftskultur (The Siwss Way) in der Schweiz.
Dieser Zusammenhang bringt mich auf die Frage, ob diese Verbindung für alle Schweizer Unternehmen verallgemeinern lässt, besonders in einem offenen Markt mit vielen internationalen/globalen Kulturen. Schön wäre es.
Vielen herzlichen Dank.
Liebe Grüsse
Amor Dhaouadi
Lieber Herr Dhaouadi,
Herzlichen Dank für das positive Feedback. Gesamtwirtschaftlich betrachtet, ist der „Swiss Way“ gerade im KMU-Land Schweiz stark verbreitet; das färbt auch auf ausländische Führungskräfte und Unternehmen ab, siehe z. B. das Interview mit Siegfried Gerlach (https://www.swissleaders.org/leaders/siegfried-gerlach/), der aus Deutschland stammt und ein deutsches Grossunternehmen in der Schweiz führt.
Beste Grüsse,
Sunnie Groeneveld