Vor wenigen Monaten haben Sie in eine tolle neue Bürolandschaft investiert, einen neuen Vertrag mit dem Verpflegungsdienst abgeschlossen und endlich den berühmten Kicker-Kasten installiert. Doch stellen Sie sich vor, Corona ist vorbei, aber niemand freut sich darauf zurückzukommen. Fünf Thesen, die zeigen warum das ziemlich real ist.
Der Anruf kam letzte Woche. Ein Unternehmen fragte uns nach Konzepten zu New Work. Sie haben grosse Büroflächen, die seit Corona leer stehen. Es gibt keine plausiblen Gründe, die Mitarbeitenden ins Büro zurückzuholen. Auch in den nächsten 12-24 Monaten nicht. Der Innenarchitekt ist schon aufgeboten. Aber er scheint etwas planlos zu sein. Denn: Wie richtet man Büroräume neu ein, die niemand braucht?
Ein grosser Dienstleister will im Oktober den Normalbetrieb wieder aufnehmen. Meetings wie vorher, die Leute sollen sich wieder sehen, ganz normal. Denn Homeoffice konnte schon vor Corona vom Chef bewilligt werden. Also braucht es auch keine speziellen Anordnungen, um den Normalbetrieb wiederherzustellen. Aber ist das alte normal auch das neue normal?
Eine grosse Verwaltung nimmt die Krise zum Anlass, das Homeoffice-Konzept neu zu reglementieren. Mehr Freiheiten, aber mit klaren Vorgaben und Begrenzungen. Endlich braucht man niemanden mehr zu überzeugen, dass auch in der Verwaltung Remote-Work sinnvoll ist. Die Vorschrift wird sicher bis Mitte 2021 von allen Gremien abgesegnet sein. Aber ist das die Lösung?
Hier meine fünf Thesen:
1. Unternehmen unterschätzen die Rückkehr zum Normalbetrieb massiv
Viele Mitarbeitende haben sich ans Homeoffice gewöhnt. Sie haben schlicht keine Lust, in den alten Trott zurückzukehren. Das morgendliche Pendeln, die Hektik der Stadt, das Gehetze zwischen den Terminen. Das kann man dank virtueller Arbeit viel bequemer und sogar noch effizienter haben. Life-Balance geht auch ohne Workplace. Das Grossraumbüro kann mich mal. Die Frage für Unternehmen lautet also: Wie mache ich den Arbeitsplatz attraktiv? Welche Bedürfnisse soll der Arbeitplatz wirklich abdecken?
2. Corona hat die Menschen verändert
Nicht nur die Begrüssungsküsschen gehören vermutlich der Vergangenheit an. Unsere Mitarbeitenden haben eine Krise erlebt, die verarbeitet werden muss. Es geht nicht um posttraumatische Störungen wie bei Kriegsveteranen. Es geht darum, ein Re-Onboarding in einen neuen Alltag zu organisieren. Wir wissen im besten Fall wie man neue Mitarbeitende begrüsst. Doch wie begrüssen wir die ganze Belegschaft?
3. Mitarbeitende sind selbständiger geworden
Viele Mitarbeitende haben neue Freiheiten entdeckt und diese auch genutzt. In den meisten Fällen sehr zum Vorteil des Unternehmens. Mitarbeitende, die von der «Leine» waren, wieder anzubinden, ist nicht einfach und macht schlicht keinen Sinn. Für Führungskräfte eine ungewohnte Situation. Was man in der Not vertrauensvoll dem Mitarbeitenden überlassen hat, will der Chef jetzt plötzlich wieder unter Kontrolle haben. Wie gehen wir damit um?
4. Chefs kämpfen um ihre Rolle
Kommandieren, kontrollieren, korrigieren wird mit räumlichem Abstand schwieriger. Konventionelle Führungsmodelle funktionieren in der Kombination mit Homeoffice ganz schlecht. Achtsamkeit ist gefragt. Fingerspitzengefühl und Empathie sind wichtige Motivatoren für die Mitarbeitenden, die zu Hause am Küchentisch arbeiten. Viele Chefs gehen da gerade durch eine steile Lernkurve. Und etliche Vorgesetzte wünschen sich, dass sie ihre Mitarbeitenden wieder zur Besprechung ins Büro zitieren können. Wie bringen wir also neue Führungsmodelle ins Unternehmen?
5. Die Mitarbeitenden entfremden sich
Im Homeoffice bauen sich ihre Mitarbeitenden eine eigene Arbeitswelt auf. Eigene Rituale, eigene Pausenzeiten, eigene Marotten. Sie entfremden sich vom Büro. Die emotionale Bindung ans Unternehmen verändert sich. Gemeinsame Rituale wie das Mittagessen im Team, das Treffen vor der Kaffeemaschine oder auf dem Gang sind plötzlich weg. Wie stellen wir Nähe her, wenn es keine physische Nähe mehr gibt? Das kleine Paket mit Aufmerksamkeiten und Goodies aus dem Hauptsitz wurde nie verschickt oder kann nicht beliebig wiederholt werden. Was tun wir also, um die Identifikation und die emotionale Bindung des Mitarbeitenden mit dem Unternehmen aufrecht zu erhalten?
Fazit:
Wir dürfen alle stolz darauf sein, wie schnell wir es geschafft haben, unsere Unternehmen trotz Krise funktionsfähig zu halten. Das neue «Normal» ist gar nicht normal. Es ist höchst volatil und schwer fassbar. Wir dürfen uns nicht auf den Lorbeeren ausruhen, die uns von der Krise geschenkt wurden. Alle haben die Not gesehen und alle sind solidarisch zusammengestanden. Eine Rückkehr zum «Alten» gibt es nicht – es gibt zu wenig zwingende Gründe dafür. Es ist viel mehr ein Übergang in eine neue Realität und wer sich schnell und aktiv mit der strategischen Gestaltung der Arbeitszukunft auseinandersetzt, wird im Vorteil sein. Starten Sie jetzt!
Dieser Artikel stimmt mich etwas nachdenklich. Doch sehe ich darin als Persönlichkeitstrainerin und Kulturentwicklerin basierend auf Selbstreflexion vor allem auch eine Chance. Eine Spiegelung der Unternehmen und des «freiwilligen» Zugehörigkeitsgefühls der Mitarbeitenden ihnen gegenüber? Immer mehr UnternehmerInnen realisieren, dass eine «selbstegozentrierte» Führung nicht länger zu einem nachhaltigen Erfolg führt. Achtsamkeit sich selbst, den Mitarbeitenden, Kunden und der Umwelt gegenüber bleibt nicht länger ein Schlagwort auf dem Wertepapier im Schrank. Die Zeit können wir nicht aufhalten, wir stecken mitten in einer Gesellschaftstransformation. Die Gefahr des Abgleitens in eine «weitere» Einsamkeit ist allgegenwärtiger denn je. Es liegt nun in der Verantwortung jedes Einzelnen, dies bewusst nachhaltig unterstützend zu steuern. Wir Menschen sind Herdentiere, sonst kämen wir nicht als Frühgeburt mit überdurchschnittlich langer und prägender Abhängigkeit von unserem Umfeld zur Welt. Von wem soll die nächste Generation lernen, dass Vertrauen, Achtsamkeit, Sicherheit, füreinander da sein, Basis für ein gesundes glückliches und erfolgreiches Lernen und Miteinander ist? Wenn nicht von uns!?
Hallo Carmen Zimmermann
Danke für das ausführliche Feedback. Wenn der Artikel nachdenklich stimmt, dann habe ich ein Ziel erreicht. Das Ziel, dass sich Unternehmen und Menschen Gedanken darüber machen, wie es weitergeht. Die Krise beschleunigt und verstärkt diverse Trends und Signale, die schon vorher da waren. Unternehmen müssen sich entscheiden, ob sie den weiteren und nachhaltigeren Weg gehen wollen oder ob sie in altbekannte Muster fallen und einfach Stellen abbauen, Budgets reduzieren um wieder möglichst nahe an die Vor-Corona Margen heranzukommen. Oder ob sie die Chance für einen Kulturwandel packen, die positive Energie aufnehmen und etwas daraus gestalten. Jeder von uns hat es in selbst der Hand in seinem Umfeld in Herausforderungen Chancen zu sehen. Nochmals Danke für den Input!
Christoph
Vorbei? Mehrere Regionen der Schweiz sind in den Nachbarländern gerade Risiko-Gebiete. Die Fallzahlen steigen wieder.
Vorbei ist diese Pandemie noch lange nicht.
Hallo Anja Schwarz
Danke für diesen Kommentar. Ich sitze jetzt gerade mit «Maske auf» im Zug. Ich weiss sehr wohl, dass die Pandemie noch nicht vorbei ist. Als kleine Unternehmensberatung wurden viele Mandate abgesagt oder verschoben. Wir kämpfen uns gerade durch. Kurz: Der Titel ist natürlich eine Hypothese und müsste richtigerweise heissen «Stellen Sie sich vor, die Covid-19-Pandemie ist zu Ende und niemand will zurück ins Büro». Ich war davon ausgegangen, dass der Titel auch so klar war. Offensichtlich war diese Annahme falsch. Bitte entschuldigen Sie das Missverständnis. Viele Grüsse und Danke für den Hinweis – Christoph
Ich frage mich schon seit längerem, wie sich das Distanzhalten auf unsere Zukunft auswirkt. Der iMensch braucht das Du genauso wie Berührungen. So zeigt zum Beispiel eine Studie, dass Servicemitarbeitende mehr Trinkgeld erhielten, sobald sie einen Gast leicht berührten. Die direkten Begegnungen sind wichtig. Homeoffice hat sicher Vorteile – doch wichtiger ist der persönliche Austausch.
Liebe Doris Reust
Danke für die Reaktion. Und ja – auf jeden Fall – Mensch geht ohne Kontakte zu Grunde. Deshalb ist es ja auch so wichtig, dass wir uns überlegen in dieser Situation Nähe zu schaffen. Vor allem für Alleinstehende ist die Situation enorm belastend. Die Rückkehr ins Büro kann da durchaus auch Erlösung sein.
Viele Grüsse
Christoph Jordi