Der schmale Grat zwischen Bescheidenheit und Selbstüberschätzung

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Inside HRSchaumschläger und Personen mit übergrossem Ego sind selten die Sympathieträger, die man sich in den eigenen Reihen wünscht. Trotzdem beobachte ich in meinem Berateralltag immer wieder, dass Kandidatinnen und Kandidaten eine übersteigerte Selbstwahrnehmung haben. Woher kommt das?

Bescheidenheit ist bekanntlich eine Zier, doch kommt man wirklich weiter ohne ihr? Und gar nur mit Gier, wie eine Variation des Sprichworts ironisch andeutet?

Zwischen Bescheidenheit und Selbstüberschätzung liegt oft ein kurzer Weg, was sich im menschlichen «Jahrmarkt der Eitelkeiten» treffend beobachten lässt – so auch auf dem Arbeitsmarkt. Nachfolgend einige Überlegungen zu möglichen Ursachen übersteigerter Selbstwahrnehmung und deren Auswüchse, wie wir sie in unserem Beratungsalltag bei KandidatInnen beobachten. Ich möchte vermerken, dass auch Firmen respektive Arbeitgeber nicht vor Selbstüberschätzung gefeit sind: Deren Selbstbild weicht nicht selten erheblich vom Aussenbild seitens Mitarbeitenden und Bewerber ab.

Überschätzen Sie sich nicht bei der Lohnverhandlung

Am häufigsten und in teilweise hohem Mass zeigt sich exzessive Selbstüberschätzung in Bewerbungsgesprächen bei der Frage nach dem gewünschten Gehalt. Ob aus purer Spekulation, Überheblichkeit oder aus Unwissen über die Lohnentwicklung der letzten zehn Jahren seit der Finanzkrise: Wer mit seinen finanziellen Wünschen nach den Sternen greift, verspielt leichtfertig seine Chancen im Bewerbungsprozess.

So erlebt bei einer Geschäftsleitungsassistentin, zu deren Forderungen nebst einer Gehaltserhöhung von exakt sieben Prozent eine Übernahme der verwirkten Weiterbildungskosten sowie eine Bonuskompensation des letzten Arbeitgebers gehörten. Sie hat sich leider gründlich verkalkuliert. Die Annahme, dass ein Stellenwechsel – wie in den Boom-Jahren – automatisch mit einer Lohnerhöhung verbunden sei, ist leider sehr oft tempi passati. Referenzgrössen wie das bisherige Salär haben in der Regel ebenso ausgedient. Es kommt sogar häufig vor, dass Bewerber eine vertretbare Anpassung nach unten in Kauf nehmen müssen.

Damit man sich als Kandidatin dennoch nicht unter Wert verkauft, empfiehlt sich ein genaues Bild über die marktüblichen Saläre in der jeweiligen Branche am betreffenden Standort. Allzu grosse finanzielle Kompromissbereitschaft kann sich sogar negativ auf die Glaubwürdigkeit der Bewerber auswirken, da HR- oder Linienverantwortlichen dann deren Ernsthaftigkeit anzweifeln oder um die Langfristigkeit einer solchen Anstellung fürchten.

Gleichzeitig muss man sich über die teilweise fehlende Flexibilität wundern, wenn es seitens Arbeitgeber um ein Entgegenkommen von wenigen tausend Franken bei einem stattlichen Jahressalär handelt. Dass Entscheidungsträger vor allem bei Wunschkandidaten in einem ausgetrockneten Spezialistenmarkt nicht mehr Entgegenkommen an den Tag legen, scheint kurzsichtig.

Bleiben Sie realistisch

Zweifelsohne ist es in der heutigen, sich rasant verändernden Arbeitswelt trotz digitaler Transparenz schwerer geworden, den eigenen Marktwert zu bestimmen. Umso mehr lohnt es sich, den eigenen Marktwert in regelmässigen Abständen einem kritischen und ehrlichen Realitätscheck zu unterziehen.

Altersunabhängig liegt dies in der Selbstverantwortung jedes Arbeitnehmers. Sind meine Qualifikationen schon oder immer noch auf der Höhe oder lohnt sich die Investition in eine Weiterbildung? Wenn das Englisch knapp für eine rudimentäre Menübestellung in London reicht, kann beileibe nicht von guten Kenntnissen die Rede sein – und auch nicht von «sehr gut» bei Vorliegen eines First-Abschlusses.

Sofern Pivot-Tabellen für eine Assistentin ein Buch mit sieben Siegeln darstellen, so verdienen ihre Excel-Kenntnisse bestimmt nicht das Prädikat «ausgezeichnet». Solche live-Erkenntnisse im Interview entlarven die betroffenen Aufschneider sofort aufs Peinlichste. Dasselbe gilt im Übrigen auch für andere Kompetenzen, die sich in der Selektion mit spezifischen Tests oder Fragen leicht überprüfen lassen.

Besonders jäh erwachen Arbeitnehmer, die sich nach langjährigen Anstellungen beim selben Arbeitgeber auf Stellensuche begeben. Vor allem jene, deren Lohnvorstellungen losgelöst von der herrschenden Realität ausserhalb des aktuellen Biotops sind und deren letzte formelle Weiterbildung oft weit in der Vergangenheit liegt.

Raus aus der Monokultur

Zum Zweck eines unbeschönigten Selbstbildes ist auch eine ehrliche Spiegelung ausserhalb des gewohnten Habitats empfehlenswert. Wo sich die eigene Selbstreflektion als zu befangen erweist, liefern Personen aus andern Branchen und Firmen möglicherweise hilfreiche Rückmeldungen sprich relativierende Korrekturen zur Aussenwahrnehmung des engsten Umfelds.

Bei gewissen Bewerbern kann man sich des Eindrucks nicht verwehren, Tendenzen am Arbeitsmarkt und die aktuelle Entwicklung unserer Wirtschaft seien gänzlich an ihnen vorbeigegangen. Man denke an den weitverbreiteten Kostendruck, der sich unweigerlich auch auf die Lohnstrukturen auswirkt.

Branche und Unternehmensgrösse beeinflussen das Selbstbild. Innerhalb homogener Populationen, sei es in Konzernen oder im Finanzumfeld, lässt sich ein fruchtbarer Nährboden für verzerrte Selbstbilder finden. Einseitiger Kontakt zu homogenen Populationen am Arbeitsplatz und teils auch in der Freizeit birgt die Gefahr eines verengten Sichtspektrums.

Im Hamsterrad des Dauererfolgs und auf der Jagd nach immer besseren Resultaten explodiert bei gewissen Arbeitnehmern linear dazu auch die Wahrnehmung des eigenen Marktwerts. Um in der Mäusesprache zu bleiben, definieren sich derart kompetitiv veranlagte Rennmäuse in solchen Biotopen exklusiv über ihre Leistung. Überzogene Vorstellungen betreffend «verdientem» Salär, zustehendem Bonus und Aktienpaket sind nicht selten die logische Folge.

Breit aufgestellte, durchmischte Teams im Sinne der gelebten Diversity verhindern Tendenzen solch hochgeschaukelter Selbstübersteigerung.

Einzelne Berufsgruppen zeichnen sich durch besonders starke Egos aus. So verkaufen sich Sales-Spezialisten und Marketeers in ihrer Extrovertiertheit berufsbedingt eher über, Ingenieure hingegen in ihrer Sachlichkeit eher unter ihrem Wert. Auch Executive Assistants neigen zu einem gelegentlichen Missverhältnis zwischen ihrem individuellen Leistungsausweis und der Höhe ihrer Ansprüche.

Gesunde Selbsteinschätzung erhöht Ihre Erfolgschancen

Doch Selbstüberschätzung kommt in der Schweiz – und im zwinglianischen Zürcher Grossraum ganz besonders – in aller Regel schlecht an. Falsche Bescheidenheit ist auch nicht das Rezept. Doch sind Blender, Schaumschläger und generell Personen mit einem übergrossen Ego selten die Sympathieträger, die man sich in den eigenen Reihen wünscht – auch nicht am Arbeitsplatz. Eine gesunde Mischung hingegen aus berechtigtem Stolz über das eigene Können und das Wissen um die persönlichen Defizite ist ungleich viel erfolgsversprechender.

4 comments for “Der schmale Grat zwischen Bescheidenheit und Selbstüberschätzung

  1. Thomas
    11. Oktober 2018 um 13:10

    Auf den Punkt gebracht und sehr gut geschrieben! Hoffentlich regt das gewisse Rennmäuse zur Reflektion an!
    Bravo!

  2. Anne-Sophie
    11. Oktober 2018 um 12:15

    Diese Überschätzung der eigenen Leistung sehe ich vorallem bei jungen Personen, denen von jung an beigebracht wird, dass sie alles erreichen können, alles möglich sei. Eine Message, welche in der heutigen Zeit weit verbreitet ist und zu ungesunden und unrealistischen Erwartungen führen können.

  3. Leon Steyn
    4. Oktober 2018 um 7:28

    Sehr gut!

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