Obgleich der Lohn für die Bedienung in Gastwirtschaften seit Jahrzehnten im Konsumationspreis inbegriffen ist, bleibt es üblich, über den Rechnungsbetrag hinaus ein Trinkgeld zu geben. Trinkgelder sind auch in der Hotellerie, bei Taxifahrten und bei vielen anderen Dienstleistungen üblich. In meiner Jugend gehörte es auch zum guten Ton, dass man jedenfalls am Jahresende den Bediensteten der Müllabfuhr und dem Postboten ein Trinkgeld zugab.
Gemäss Art. 321b OR hat der Arbeitnehmer der Arbeitgeberin über alles, was er bei seiner vertraglichen Tätigkeit für diese von Dritten erhält, wie namentlich Geldbeträge, Rechenschaft abzulegen und der Arbeitgeberin alles sofort herauszugeben. Das gilt jedoch nicht für die Trinkgelder, weil der Arbeitnehmer diese nicht für die Arbeitgeberin erhält. Aber was geschieht mit diesen Geldern?
In vielen Betrieben gelangen diese in einen Topf und werden dann unter den Angestellten nach einem bestimmten Schlüssel aufgeteilt. Das ist sinnvoll, weil ein Trinkgeld nicht nur wegen des guten Services, sondern auch wegen der guten Speise gegeben wird. Folgerichtig soll ein Teil des Trinkgeldes auch an das Küchenpersonal gehen; nichts aber an den Patron!
Wie ist nun aber mit diesen Geldern administrativ umzugehen? Die Praxis zeigt, dass diese häufig verteilt werden, ohne in einer Rechnung zu erscheinen, ohne dass Sozialabgaben bezahlt werden und ohne dass die Beträge auf dem Lohnausweis für die Steuern erscheinen. Dass der Arbeitnehmer diese Beträge dann in der Steuererklärung als weiteres Einkommen angibt, ist wenig wahrscheinlich. Sie werden folglich nicht versteuert. Handelt es sich damit um Schwarzgeld?
Die Wegleitung zum AHV-beitragspflichtigen Lohn hält fest, dass Trinkgelder als für die Beitragspflicht massgeblichen Lohn gelten, wenn sie regelmässig anfallen und erheblich sind. Die Praxis geht davon aus, dass diese Voraussetzungen erfüllt sind, wenn die Trinkgelder mehr als 10% des Lohnes ausmachen. Damit sind Trinkgelder in vielen Fällen mit der Sozialversicherung abzurechnen und im Lohnausweisen auszuweisen. Geschieht dies nicht, handelt es sich um Schwarzgeld. Das hat Folgen: Die Abrechnung mit der AHV ist für den Arbeitnehmer in erster Linie ein entscheidender Vorteil. Er erhält nicht nur im Alter eine bessere Rente. Auch bei einer Arbeitslosigkeit fallen die Taggelder höher aus.
Das ist alles im Niedriglohnbereich von grosser Bedeutung. Allerdings hat der Arbeitnehmer im Moment wegen der Lohnabzüge weniger Barmittel zur Verfügung und muss höhere Steuern bezahlen. Die Arbeitgeberin muss zudem auf den Trinkgeldern Arbeitgeberbeiträge bezahlen. Weitere Folgen kann dies bezüglich Taggelder im Krankheitsfall haben, wenn die Taggeldversicherung nur den AHV-Pflichtigen Lohn versichert. Es stellt sich auch die Frage, wie die Trinkgelder beim Ferienlohn zu berücksichtigen sind. Richtigerweise ist gleich vorzugehen, wie bei Stundenlöhnern: Es ist entweder bei jeder Lohnabrechnung anzugeben, welcher Teil als Feriengeld ausbezahlt wird. Besser ist es allerdings, einen entsprechenden Prozentsatz des Trinkgeldes zurückzubehalten (bei vier Wochen Ferien 8,33 %) und dem Arbeitnehmer auszurichten, wenn er die Ferien tatsächlich bezieht oder das Arbeitsverhältnis endet.
Wie erwähnt, entspricht die korrekte Abrechnung der Trinkgelder bei der Sozialversicherung und den Steuern häufig nicht der gelebten Praxis. Auch wenn das bis anhin von den Unternehmen nicht so gehandhabt wurde, ist die Rechtslage eindeutig: Es lässt sich nicht begründen, warum diese Gelder nicht als Einkommen zu behandeln wären. Das Problem hat sich in den letzten Jahren verschärft und wird sich auch noch weiter verschärfen. Durch den bargeldlosen Zahlungsverkehr erscheinen die Trinkgelder unvermeidbar in der Buchhaltung. Damit kann ihre Existenz und ihr Ausmass nicht einfach verschwiegen werden. Ein Verbot von Trinkgeldern ist nicht realistisch. Es bleibt folglich nichts anderes übrig, als zu einer rechtlich korrekten Abwicklung dieser Beträge überzugehen.