«Sensibilisierung, Reflexion und Vorbildwirkung möchten wir im Führungsseminar vermittelt haben», lautete der Auftrag des HR-Verantwortlichen. Dann stand ich vor ihnen. Neun Leute: Buchhaltung und Marketing optisch rasch erkennbar, die Vertriebsleitung Präsenz markierend durch jeweils zwei eingeschaltete Handys auf dem Tisch. Am rechten Ende die einzige Dame – Quotenfrau oder Protokollverantwortliche? Ging es mir als Frage durch den Kopf. Der CEO leider verhindert, liess man mir kurzfristig telefonisch ausrichten. Ich staunte darüber, dass ich mich nicht wunderte.
Demonstrativ blätterte ich in der Hochglanzbroschüre mit Angaben über Werte, Leitbild und Umsatzentwicklung. «Worauf beruht die Führung in ihrem Unternehmen?» Meine abgedroschene Einstiegsfrage fand Anklang. «Auf unseren Werten, den definierten Missionssätzen und so weiter.» Ich nickte zustimmend und bat anschliessend die Teilnehmenden, die ihnen bekannten Werte auf Papier zu schreiben. Das war ein Fehler: Gerade mal vier Aussagen vermochte ich den Ertappten zu entlocken – dabei war die eine auch noch falsch.
Einige Tage später lud mich der CEO ein. Trotz des missratenen Einstiegs schien die Veranstaltung ein positives Echo ausgelöst zu haben. Mit den Worten «Vorbilder brauchen wir als Chefs, Vorbilder», empfing er mich. Eine Floskel jagte die andere. Dann – mit einem feilschenden Blick – die Schlüsselfrage: «Wollen Sie unter Umständen für uns weitere Seminare zum Thema Vorwirkung und Werthaltung durchführen?» Wir wurden unterbrochen: Ein dringendes Telefonat, dann einige Anweisungen. Schliesslich nahmen wir das Gespräch wieder auf. «Also, ich denke, wenn es mehrere Seminare sind, müssten wir uns auch über den Preis …» Es war unhöflich und ich tat es doch. «Herr X, darf ich Sie etwas fragen?» Er bejahte. «Wie lange arbeitet ihre Assistentin bereits bei Ihnen?» «Vier, fünf Jahre … so ungefähr …», war die zögerliche Antwort. Ich fuhr fort: «Darf ich Sie fragen, wann die Dame Geburtstag hat?»
Unser Gespräch fand danach ein rasches Ende. Mein Auftragsbuch sollte an diesem Tag leer bleiben. Ich setzte mich in das gegenüberliegende Kaffee und betrachtete das sich im Schaufenster spiegelnde Logo. Ein bemerkenswerter «Brand». Zweifellos. Und doch: Legte ich meine persönliche Werthaltung in die Waagschale, musste ich erkennen, dass ich mit einem Mandat in dieser Firma nur verlieren konnte.
Lächelnd wird mir das Getränk serviert, eine Zeitung angeboten und diskret die Sonnenblende zurechtgerückt. Eine Geste, zwei Handlungen – Sekunden nur hat es gedauert und ich fühle mich willkommen. Ich beobachte die Dame. Ihre Achtsamkeit zeugt von einer beeindruckenden Präsenz. Die Fähigkeit, dem Gast das Gefühl zu vermitteln, nur für ihn da zu sein, verbreitet eine angenehme Stimmung. Ein Teil der persönlichen Werthaltung spiegelt sich immer auch im Verhalten, haben mich einst meine Eltern gelehrt.
Es ist für mich der Morgen der Gegensätze und ich frage mich: Wie zufrieden kann der Bäcker sein, der an Mehlallergie leidet? Wie erfolgreich kann der Chef sein, der den Menschen nicht sieht?
Es ist nicht mein Tag heute, die Akquisition habe ich verpasst. In dieser Hinsicht habe ich auf der falschen Strassenseite die falsche Person getroffen.
Vielleicht zeigt diese Begebenheit auch einfach auf, dass Empathie nicht Ihre Stärke ist?
Lieber Pascal
Das mag möglicherweise auch sein. Es ist immer eine Gratwanderung eigenes Empfinden an eine Situation zu koppeln und diese dann aufgrund von Reaktionen einzuschätzen. Die Selbstreflexion in solchen Augenblicken gehört zweifellos zu den grossen Herausforderungen im zwischenmenschlichen Kontakt. Wie viele andere Menschen übe auch ich mich tagtäglich darin. Wenn es aber darum geht abzuschätzen, ob ein Auftrag erfolgsversprechend gestaltet werden kann oder nicht, verlasse ich mich auf meine Intuition und Erfahrung. Lieben Dank für den gedanklichen Anstoss.
Markus Marthaler
Lieber Herr Marthaler
Sie haben zwischen den Zeilen sehr treffend auch den Unterschied zwischen Wollen und Müssen aufgezeigt. Motivierte und engagierte Menschen tun etwas, weil sie es wollen, nicht weil sie es (in Abwesenheit des CEO) müssen.
Kompliment, dass Sie es mit einer treffenden Frage geschafft haben, keine Seminare für eine Firma geben zu müssen, deren CEO offensichtlich nicht die gleichen Werte hat wie Sie. Schade eigentlich, die Mitarbeitenden hätten ganz bestimmt profitieren können.
Ich freue mich auf weitere treffende Blog-Beiträge.
Lieber Herr Fässler
Danke Ihnen für Ihre Zeilen, ich habe mich sehr darüber gefreut. … gebe alles für den nächsten Blog :-) Ihnen ein gutes Wochenende
Liebe Grüsse
Markus Marthaler
Grüezi Herr Marthaler
Schade, dass Sie der Meinung sind, dass dies nicht „Ihr Tag“ war:
– haben Sie sich doch Selbst-Wert gegeben
– Professionalistät gezeigt und die Voraussetzungen für Ihre Arbeit geprüft
– Sind Sie bei Ihren Wertvorstellungen geblieben
– Sind Sie nicht monetär orientiert und lassen Sie sich „prostituieren“
– Haben Sie postwendend an einem anderen Ort, das erhalten, was Sie unter Wertschätzung verstehen
– Können Sie mit Ihrer Reflexion und diesem Beitrag andere inspirieren und zum Denken anregen.
Das war ein Tag, um persönlichen Erfolg zu feiern!
Liebe Frau Broz
Letzteres habe ich natürlich gemacht. Mit diesem „Ihr Tag“ habe ich mich natürlich selber auf die „Schippe“ genommen. Der leichte Sarkasmus wollte eigentlich darauf hindeuten, dass entgegen vieler Meinungen, auch ein externer Berater nein sagt, wenn sein ethisches Verständnis nicht mit einem Auftrag korreliert. Ich danke Ihnen für Ihren Beitrag.
Liebe Grüsse
Markus Marthaler
Sehr schön zu lesen. Sehr schön, sich das Thema Wertschätzung immer wieder zu vergegenwärtigen. Danke.
Liebe Sandra
Danke Ihnen für die Blumen :-) Ich bleibe dran und wünsche Ihnen ein gutes Wochenende
Liebe Grüsse
Markus Marthaler