Auf der Suche nach Inspiration – oder wenn Rückseiten mehr als Vorderseiten inspirieren

Digitalisierung2022 war ein Jahr des Übergangs. Ein Jahr, indem ein paar meiner grossen Lieblingsprojekte zu einem Ende kamen und ein paar andere begonnen haben.

2022 schloss ich einige meiner Forschungsprojekt ab. In einem Projekt prüfte ich, welche Digital Skills das Gesundheitswesen der Zukunft brauchen könnte. Eine andere Auftragsstudie beschäftigte sich mit der Frage, in welche Richtungen sich die Psychiatrie entwickeln könnten. Zusammen mit Nathalie Bourquenoud von oxadi AG denke ich darüber nach, was inspirierende Arbeitgeberinnen von anderen abhebt und warum das im Kontext der gegenwärtigen Umbrüche und Neujustierungen so wichtig ist.

Zuerst wollte ich die inspirierende Organisation wie immer einfangen, indem ich unzählige Bücher und Studien scannte. Aber je mehr ich mein Vorhaben plante, desto deutlicher merkte ich, dass ich dieses Mal einen anderen Zugang wählen sollte. Ich spürte, dass ich den subjektiven Zugang wählen und mir selbst die Frage stellen sollte, was für mich ganz persönlich eine inspirierende Arbeitgeberin ausmacht. Weil ich aber selbstständig bin und keine Arbeitgeberin habe, musste ich die Frage nochmals umformulieren. Ich fragte mich, welches die am meisten inspirierenden Momente des Jahres waren.

Was waren für Dich die am meisten inspirierende Moment des Jahres Joël? Wo hast Du gestaunt, wo warst Du ganz im Moment, wo hattest Du das Gefühl etwas Besonderem beizuwohnen? Ich meinen Gedanken landete ich in Rotterdam, genauer gesagt im Depot Boijmans Van Beuningen.

Es ist ein riesiges silbriges Ei, indem das Museum sein Lager öffentlich zugänglich macht. Der ganze Morgen, den ich im Ei verbrachte, war ein inspirierender Wow-Moment – den man versuchen könnte, auf die Gestaltung der Arbeitswelten von Unternehmen zu übertragen:

  • Sich selber spiegeln: Schon der Eingang ins Depot ist pompös. Man steht vor dem riesigen Ei, dessen Oberflächen mit ganz vielen Spiegel beklebt ist – und sieht: sich selbst. Aber im selben Moment sieht man die eindrückliche Skyline Rotterdams. Die Spiegel verorten das Ich im Ganzen und konfrontieren dieses mit zahlreichen Fragen. Warum bist Du da? Was hast Du in Rotterdam verloren? Wo ist Dein Platz im Ganzen?
  • Das Unbewusste sichtbar machen: Das Depot zeigt alles, was nicht im Museum hängt. Das, was nicht mehr hängen darf oder nie gut genug zum Aufhängen war. Es wird sichtbar, was sonst im Keller landen oder weiterverkauft werden würde. Könnte man hier von einem Unterbewusstsein sprechen? Ist das Ausgestellte nicht eigentlich nur im Kontext des Nicht-Ausgestellten zu verstehen?
  • Rückseiten besichtigen: Im Depot sehen die Besuchenden die Bilder aus ungewohnten Perspektiven: von vorne, von unten und sogar von hinten. Ich umlaufe die Bilder mehrmals und wähle selbst meine Perspektive. Manchmal schaue ich mir nur die Rückseiten an. Haben die Künstlerinnen auch die Rückseite ihrer Leinwände bemalt, was haben sie notiert, was haben sie vermerkt?
  • Den Restaurateurinnen zuschauen: Während ich mir meinen Weg durch das Depot suche, Treppen rauf und runtersteige, komme ich immer wieder an Glaszimmern vorbei, in denen die Mitarbeitenden des Depots am Arbeiten sind. Die Szenerien erinnern an sterile Operationssäle. Hochkonzentriert gehen die Mitarbeitenden ihrem alten Handwerk nach, das aber längst durch High Tech unterstützt wird.
  • In die Weite blicken: Zuoberst angekommen, gibt es Pita und Kaffee. Der 360-Grad-Ausblick ist fantastisch. Ich stehe in einem biodiversen Mini-Park, überblicke die ganze Stadt, die Wolkenkratzer, die Grünanlagen, die Brücken, die Aussenquartiere. Der Ausblick ist einmal pro Woche für alle gratis, wenn das Depot seine Terrasse nach 19 Uhr der Öffentlichkeit zur Verfügung stellt.

Das Ei hat mich einen halben Tag in seinen Bann gezogen. Wir alle könnten nun versuchen, meine Inspirationsmomente auf die Gestaltung von inspirierenden Arbeitswelten zu übertragen.

Zum Beispiel könnten wir fragen was, Arbeitgebende tun müssten, wollten sie ihre Rückseiten zur Schau stellen – um dadurch ihre Mitarbeitenden zu neuen Ideen und zur Reflexion ihrer Arbeitsprozesse anzuregen. Sollten Sie ein Pop-up-Museum eröffnen und Produktinnovationen ausstellen, die verworfen wurden? Sollten wir in Videocalls darauf verzichten künstliche Hintergründe zu verwenden, damit unser Gegenüber unser Wohnzimmer sieht? Sollten wir am Ende jeder Präsentation eine Folie einfügen und die Fragen auflisten, die wir nicht beantworten konnten?

Genauso könnten wir alle anderen Spuren des silbrigen Eis aufnehmen – die Spiegel, die Terrassen, die Sichtbarkeit der Arbeit und das Unterbewusstsein des Unternehmens – … und uns aus neuen Perspektiven fragen, wie eine inspirierende hybride Arbeitswelt der Zukunft aussehen könnte.

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