Die Ü50, das sind die Babyboomer. Sie sind nach dem Zweiten Weltkrieg in grosser Zahl zur Welt gekommen. Sie haben goldene Wirtschaftszeiten erlebt und massgeblich zum Weltwirtschaftswachstum der letzten Jahrzehnte beigetragen. Sie sind sich ein stetiges Wohlstandswachstum gewohnt und möchten das erreichte Niveau nach der Pensionierung aufrechterhalten. Dafür haben sie gespart. Und Vorsorgewerke geschaffen.
In den letzten Dekaden ist aber nicht nur das Pro-Kopf-Einkommen kontinuierlich angestiegen, sondern auch das Durchschnittsalter. Und zweiteres rascher als ersteres. Das schafft Anpassungsbedarf bei den Altersvorsorgesystemen. Anderenfalls werden wir innert Kürze den Zenit überschreiten und beginnen, über unsere Verhältnisse bzw. auf Kosten der künftigen Generationen zu leben.
Doch eine Reform von AHV und 2. Säule erscheint unmöglich. Für keinen Vorschlag findet sich eine Mehrheit. Warum?
Bei einer Reform gehts ans Eingemachte. Entweder müssen Arbeitgeber und Erwerbstätige mehr bezahlen und/oder die künftigen Rentner erhalten tiefere Leistungen. Und wer entscheidet in dieser Gretchenfrage? Die Politiker. Und wonach richten sich die Politiker beim Entscheid? Nach den Wählern. Und wer sind die Wähler? Die Babyboomer, die ein Leben lang gearbeitet und gespart haben.
Denn aus den Auswertungen der Abstimmungen (VOX-Analysen) wissen wir, dass die Ü50 viel öfter zur Urne gehen als andere Altersklassen. Und sie stehen kurz vor der Pensionierung, das heisst, sie sind von einer Reorganisation der Altersvorsorge direkt betroffen. Die Politiker richten sich also ganz besonders nach ihren – mutmasslichen – Anliegen.
Das ist natürlich vereinfacht. Und frech, da ich als Vertreterin der Generation X nur erahnen kann, was eine Babyboomerin denkt und empfindet. Aber einen wichtigen Kern hat es. Und ich wage sogar so weit zu gehen und zu behaupten, dass die Babyboomer bereit wären, objektiv und versicherungsmathematisch notwendige Anpassungen an unseren Sozialwerken zu akzeptieren. Nur möchte kein Politiker das Risiko eingehen, an der Urne abgestraft zu werden. Also ist er gegen eine Erhöhung des Rentenalters oder eine Senkung des Umwandlungssatzes. Quasi in vorauseilendem Gehorsam.
Für die Schweiz ist das nicht gut. Unsere Sozialwerke sind eine Errungenschaft der Nachkriegszeit. Sie stellen eine wichtige Ergänzung zum liberalen Arbeitsmarkt dar. Dank des liberalen Kündigungsschutzes ist unser Arbeitsmarkt sehr durchlässig und fallen wenige Personen in eine längere Erwerbslosigkeit. Wer aber davon betroffen ist, kann auf ein dichtes Sozialversicherungsnetz bauen. Flexicurity nennt man diese Kombination von flexiblem Arbeitsmarkt und funktionierenden Sozialwerken. Daher täten wir gut daran, die Sozialwerke auch für die Zukunft abzusichern. Doch an dieser Front hapert es – weil sich die Politiker vor dem Votum der Ü50 fürchten.
Und damit nicht genug. Die mutlosen Politiker haben noch einen zweiten Hebel gefunden, um unser Flexicurity-Erfolgsmodell weiter zu gefährden. Das Thema ältere Stellensuchende ist oben auf der politischen Agenda angelangt. Die Arbeitslosenquote der Ü50 ist zwar tief. Aber wer aus dieser Altersgruppe arbeitslos wird, hat es bedeutend schwieriger als Jüngere, den nächsten Job zu finden. Das ist ein Problem, für das wir Lösungen benötigen. Die Lösungen, die derzeit kursieren, erwachsen aber leider wieder unverkennbar aus der Angst vor den Babyboomern – allen voran der bereits mehrfach geäusserte Vorschlag, den Kündigungsschutz für ältere Arbeitnehmende auszudehnen.
Damit wäre niemandem gedient. Den Ü50 am wenigsten. Denn die Bereitschaft der Unternehmen Bewerber einzustellen ist umso grösser, je geringer der Bindungszwang ist, der damit einhergeht. Der Blick über die Landesgrenze bestätigt dies. In Ländern mit ausgebautem Kündigungsschutz, wie Frankreich oder Spanien, ist die Arbeitslosenquote um ein Vielfaches höher.
Ich traue den Babyboomern den Blick über den eigenen Tellerrand hinaus zu und die Bereitschaft, sich fürs Wohl der gesamten Gesellschaft einzusetzen! Ich hoffe, den Politikern geht es bald auch so. Damit wir die Vorzüge unseres Flexicurity-Modells auch in Zukunft geniessen können.
Das Phänomen ist größer. Eine neue Gesellschaft wächst heran, die Fleiß bekämpft. Weltweit zieht eine Lebenshaltung auf, die körperliches Engagement verachtet. Es wird scharf getrennt zwischen Herren- und Untermenschen. Am Fernsehen laufen Sendungen wie Dirty Jobs, mit dem Untertitel Arbeit, die keiner machen will. Es wird in den Alltag gestreut, wie falsch Anstrengung wäre.
Wir Menschen nördlich der Alpen, die wir zusammen Großmacht waren, werden nun von Menschen aus südlicheren Gegenden überlistet. Es geschieht mit List, ich kann es nicht anders sagen. Deindustrialisierung, Digitalisierung, wie man es auch nennt, körperlicher Einsatz, Handarbeit, Zähigkeit — man gilt als dumm, wenn man nicht ein Gerät einsetzt. Man gilt als rückständig, im besten Fall als retrostylish, wenn man sich nicht von einem Automaten abspeisen lassen will.
Alle wollen am Computer sitzen und Befehle geben. Millionen werden in Zukunft, wie schon heute, Befehlen folgen. Der Computer ist unerbittlich, er funktioniert nicht, wenn man ihn nicht korrekt bedient. Was wir Ü.-50er haben aufkommen sehen, die Informatik, sie wirft uns auf die Straße. Ich kann endlos erklären, was ich alles gelernt habe und beherrsche, die Wirtschaftsbosse wollen willfährige Leute, die möglichst nichts Eigenes mitbringen. Genau das geforderte Papier vorlegen und kuschen, dann hast du eine Anstellung. Die Berufe werden korrumpiert, die alten Werte von neuen abgelöst. Auch eine neue Sprache ist da, ein jeweils mit der örtlichen Sprache vermischtes Englisch. Kannst du cool abchecken.
Liebe Frau Fischer-Rosinger
PersonalRadar hat sich zu diesem Thema auch schon mit diesem Beitrag dazu geäussert: http://www.personalradar.ch/arbeitsmarkt-schweiz/aha-du-bist-ueber-50-du-kommst-in-den-streichelzoo/12563
Viele 50+ würden gerne über den Tellerrand sehen. Würde man sie nur lassen. Der Fachkräftemangel wird bald so stark zunehmen, dass sich die Unternehmen die Ignoranz gegenüber dieser Altersgruppe gar nicht mehr leisten kann. In der Tat ist es so, dass viele Abstriche in Kauf nehmen würden. Das geht aber nur, wenn sie auch angestellt werden. Und da ist die Krux. Die Politik wird kaum helfen. Es ist die Wirtschaft, die vorspuren muss! Danke für den interessanten Beitrag!
Lieber Gruss aus Basel – PersonalRadar
Liebes PersonalRadar-Team
Sie haben es in Ihrem Blog-Beitrag auf den Punkt gebracht. Gut zu wissen, dass doch nicht ganz alle meinen, mit dem Ausbau des Kündigungsschutzes für 50+ wäre das Problem gelöst.
Ein netter Gruss zurück nach Basel!
Danke für den Beitrag. Auch ich bin Babyboomer und arbeite seit 43 Jahren. Nun ist es ja nicht so, dass die Babyboomer keine Anpassungen erfahren haben. Zu Beginn hatten wir noch ein Leistungsprimat; heute gelangt nur noch mit wenigen Ausnahmen das Beitragsprimat zur Anwendung. Ich erinnere mich an einen Stellenwechsel wo ich nur die Arbeitnehmerbeiträge erhalten habe. Die Arbeitgeberanteile von damals sind für mich verloren. Meine Vorgänger sind grösstenteils mit 7.2% Umwandlungssatz in die Pension gegangen und haben diesen Prozentsatz bis ans Lebensende. Betrachte ich meinen heutigen Rentenumwandlungssatz erhöht dieser das Wohlbefinden nicht geschweige bei einem gewünschten früheren Austritt zwischen 62 und 64. Das vielfach beschriebene Sorgetragen zu älteren Arbeitnehmern geht mir massiv auf den Geist. Es wird weder etwas ausgearbeitet, noch etwas angeboten … aber Alle finden es grundsätzlich wichtig und richtig. Ich würde sehr gerne meine Arbeitskraft noch weiter zur Verfügung stellen, möchte aber „kürzertreten“ da die benötigte Kraft immer aufwändiger produziert werden muss. Natürlich hätte dies aus finanzielle Konsequenzen, die aber manch älterer Arbeitnehmer gerne auf sich nehmen würde. Tatsache ist aber, dass mein KnowHow und meine Loyalität sehr geschätzt wird, trotzdem werde ich dauernd an einem X- oder Y-Mitarbeiter gemessen …. der kannn zwar vieles nicht …. ist aber „billiger“ und am Schluss kommt noch ein Pensionskassenexperte mit einer haarsträubenden Statistik, dass hier die Menschen bis in 15 Jahren vermutlich 105 Jahre alt werden. Wen wunderts, dass der Babyboomer sucht was noch zu retten ist.
Ich kann nur unterstreichen, dass wir konkrete Aktivitäten benötigen statt gut gemeinte Worte!
Beste Grüsse
Konstruktiver Beitrag, vielen Dank! Als Babyboomerin bin ich sehr wohl bereit, Anpassungen im Interesse des Generationenkonflikts zu akzeptieren. Hohe Werte werden uns Babyboomern nachgesagt, und ich behaupte, dass wir diese schon immer über die eigenen Interessen gestellt haben, wenn es um die Wurst geht. Aber ich wünsche mir ein differenziertes Herangehen an das Thema und endlich einen professionellen Umgang mit den „Älteren“!
Besten Dank für den ebenso konstruktiven Kommentar!