Make new new work work

Future WorkWas hybride Arbeit wirklich bedeutet.

Die meisten Menschen, die sich mit den Entwicklungen der Arbeitswelt auseinandersetzen, sind sich einig, dass die laufenden Veränderungen hin zu mehr Flexibilität sowie verteilter und damit verbunden digitaler Zusammenarbeit auch ohne die Transformationshelferin Covid-19 stattgefunden hätten – einfach in einem anderen Tempo. Die Pandemie war jedoch nicht nur ein Beschleuniger, sondern eine Krise, die Dinge möglich machte, die ohne sie gar nicht oder nicht mit der gleichen Konsequenz stattgefunden hätten (beispielsweise Verwaltungen, die trotz Datenschutz-Vorbehalten Zoom nutzten, Callcenter die sich komplett verteilt organisiert haben, oder Banken, die den remote Zugriff auf Kernapplikationen temporär freigegeben haben).

Etwas vereinfach gesagt, haben wir in den letzten Monaten nicht «New Work» erlebt, sondern erst das Ausbrechen aus «Old Work». Der anstrengendste Teil der Reise liegt noch vor uns: die bewusste Gestaltung der neuen Zusammenarbeit. Veranschaulicht mit einem Pendel (siehe Grafik) haben viele Organisationen in der Pandemie einen Sprung von einem Extrem (präsent als Standard) ins andere (virtuell als Standard) vollzogen.

Bleiben wir noch einen Moment beim Pendel-Bild. Es hilft, drei Dinge besser zu verstehen, die aktuell viele Menschen und Organisationen beschäftigen.

  1. Das neue Gleichgewicht «hybrid» ergibt sich nicht von heute auf morgen. Es muss sich einpendeln. Das braucht Zeit und die Bereitschaft aller Beteiligten, über ihr Verhalten und ihre Bedürfnisse nachzudenken und gemeinsam die beste Lösung auszuhandeln. Nicht einmal, sondern immer wieder, denn Organisationen sind lebende Organismen, die in einem dynamischen Umfeld bestehen müssen. Tritt beispielsweise eine Lernende ins Team ein, so macht es Sinn, dass das ganze Team zu Beginn den Präsenzanteil der Zusammenarbeit erhöht.
  2. Die Annäherung von rechts ist deshalb so anspruchsvoll, weil viele Mitarbeitende den Prozess als ungerechtfertigte Einschränkung ihrer gerade erst gewonnen Freiheit sehen. Hatten sie nicht in den letzten zwei Jahren erfolgreich bewiesen, wie gut sie mit Eigenverantwortung umgehen können, und dass sie auch ohne Mikromanagement im Sinne des Unternehmens handeln? Das ist unbestritten der Fall und trotzdem muss dieser Frage entgegenhalten werden, dass viele Teams während des Lockdowns von den starken Netzwerken und Beziehungen zehren konnten, die sie in der Vergangenheit sorgfältig aufgebaut hatten.
  3. Der Sprung von einem Extrem ins andere hat uns mit einem Erfahrungsreichtum versorgt, der einzigartig ist. Wir alle verzeichnen einen grossen Lerngewinn in Bezug auf unsere digitalen, methodischen und sozialen Kompetenzen und sind damit gestählt für das digitale Zeitalter. Wenn wir in Zukunft darüber sprechen, welches Format für eine Aufgabe sinnvoll ist, so beantworten wir diese Frage nicht basierend auf Spekulationen und Vorurteilen (wie wir das bei der Annäherung von links gemacht haben), sondern wir können uns auf durchlebte Erfahrungen beziehen und sind ehrlicher zu uns sowie anderen.

Kommen wir nun zur Frage, was hybride Zusammenarbeit wirklich bedeutet? Wenn man sich die Bilder anschaut, die Google zum Begriff «hybrid work» liefert, so sieht man unzählige Visualisierungen von hybriden Meetings, bei denen ein Teil der Teilnehmenden physisch anwesend ist und ein Teil virtuell zugeschaltet. Dass hybride Meetings, wenn immer möglich vermieden werden sollten, erzählen uns «cloud born companies» seit bald zwei Dekaden**. Der Denkfehler liegt an einem anderen Ort: Hybride Arbeit bedeutet nicht einfach das Verlagern von physischen Sitzungen in virtuelle Zusammentreffen, sondern die bewusste Gestaltung der Arbeit und Zusammenarbeit.

Definition hybride Zusammenarbeit

Hybride Zusammenarbeit bedeutet, unterschiedliche Formate der Zusammenarbeit zielführend zur Erreichung individueller und gemeinsamer Ziele einzusetzen. Dabei sind vier Faktoren besonders wichtig:

  1. Die Vorstellung des idealen Gleichgewichts unterschiedlicher Formate hängt von der Rolle, den Erfahrungen und Präferenzen sowie den digitalen Kompetenzen der Individuen ab.
  2. Veränderungen innerhalb und ausserhalb des Teams (endogene und exogene Impulse) verlangen nach einer Neubeurteilung der Einschätzung.
  3. Die sinnvolle Nutzung des digitalen Arbeitsplatzes spielt eine zentrale Rolle bei der Frage, wie hoch der Anteil der verteilten Zusammenarbeit sein kann, ohne dass die Stärke der Gemeinschaft leidet – dabei geht es nicht primär um Lösungen, welche die individuelle Produktivität sicherstellen, sondern die kollektive, wie sogenannte «Enterprise Social Networking Tools».
  4. Erfolgreiche hybride Zusammenarbeit bedingt, dass auch Rollen, Arbeitsabläufe, Entscheidungsbefugnisse, Methoden, Instrumente etc. hinterfragt werden. Findet lediglich Substitution von physischen durch virtuelle Formate statt, verliert die Organisation unter dem Strich an Schlagkraft und es drohen Rebound Effekte. Wer Autonomie, Gestaltungsräume und Flexibilität fördern will, kommt nicht darum herum, teilautonome Strukturen zu schaffen und Entscheidungswege zu verkürzen.

Über das Thema erfolgreiche hybride Zusammenarbeit werden wir in den nächsten Monaten noch viel lesen und nachdenken. Einen zentralen Punkt möchte ich aber vorwegnehmen: Nur wenn wir vom «synchronen Denken» (physisches oder virtuelles Meeting) wegkommen und anfangen uns darüber Gedanken zu machen, wie wir Ideen, Fragen und Wissen in Netzwerken – also asynchron – offen teilen und miteinander weiterspinnen können, gelingt es uns, den nächsten Schritt erfolgreich zu bewältigen. Fast alle Organisationen haben in den letzten Monaten ihren digitalen Arbeitsplatz massiv aufgerüstet und verfügen nun über firmeninterne soziale Netzwerke (Yammer, Slack etc. (siehe Übersicht Gartner)). Werden diese erfolgreich eingesetzt, so unterstützen sie nicht nur verteiltes Arbeiten, sondern sie schaffen Brücken zwischen Menschen, die vorher nicht miteinander im Austausch waren.

Und genau darum geht es im digitalen Zeitalter: Wir müssen in der Lage sein, mit einer hohen Veränderungsdynamik und Komplexität umzugehen. Das bedeutet, dass wir unsere interdisziplinäre Vernetzung stärken müssen. Enterprise Social Networking Plattformen machen genau das. Dass es funktioniert, zeigt ein kürzlich publizierter Artikel von Carl Benedict Frey (von ihm stammt der legendäre Artikel aus 2013 zum Automatisierungspotential unterschiedlicher Jobs). Er konnte nachweisen, dass die verteilte Zusammenarbeit von wissenschaftlichen Teams nicht zu einer Einbusse der Innovationskraft führt, wenn es gelingt, die neuen Kollaborationsinstrumente zielgerichtet einzusetzen.

Hier liegt die Antwort auf den vermeintlichen Trade-off zwischen Autonomie und Stärke der Gemeinschaft. Die Erkenntnis, dass «sowohl als auch» möglich ist, stimmt mich sehr zuversichtlich. Damit die Förderung der individuellen Gestaltungsfreiheit nicht zulasten der Leistung des Kollektivs geht, braucht es jedoch einen Kulturwandel. Konkret braucht es Mitarbeitende, Führungskräfte und Unternehmensleitungen, die das «wir» vor das «ich» stellen, die lernen statt wissen und die bereit sind, sich mit Neugierde und Unvoreingenommenheit auf Neues einzulassen. Nicht zuletzt muss sich das Büro vom Headquarter zum Heartquarter wandelt – also einem Ort, an dem Menschen immer wieder freiwillig zusammenkommen, um gemeinsam Dinge zu erleben, die sie als Menschen und Organisationen weiterbringen.

 

* Dass der Begriff «hybride Zusammenarbeit» den Ausdruck «flexibles Arbeiten» abgelöst hat, kann man als Wortspiel sehen. Wenn wir jedoch «flexibel» mit der Metapher des Zustandes eines Pendels betrachten, der evolutionär stattgefunden hat und hybride für das Ergebnis einer sprunghaften, unumkehrbaren Veränderung steht sowie über Nacht den Standard neu definiert hat, so macht die Verwendung eines neuen Begriffs durchaus Sinn.

** Die Empfehlung ist banal: Meetings sollen entweder rein physisch oder rein digital abgehalten werden, damit eine passende Methodik gewählt werden kann. Sobald einige Teilnehmende sich virtuell zuschalten, macht es Sinn, wenn alle in dieses Format wechseln. Dies erklärt auch, warum es im Büro genügend Rückzugsräume braucht. Ich empfehle eine «Zelle» pro 5 Arbeitsplätze, der bisherige Standard liegt eher bei 1:15.

 

 

2 comments for “Make new new work work

  1. Franz
    25. August 2022 um 9:54

    Der Text hat mir so gut gefallen, dass ich spontan in meine New Work Sammlung aufgenommen habe.
    https://peerfinder.app/blog/new-work-pool-thema/

  2. 25. August 2022 um 9:26

    Das «Heartquarter» finde ich genial! Well done. Wirklich inspirierend. Vielen Dank Barbara.
    Herzliche Grüsse
    Christoph

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