Unsere Bloggerin lässt sich auf ein Schreibexperiment ein. Sie geht der Frage nach, wie wir mit der aktuellen Unsicherheit in der Arbeitswelt umgehen sollen und macht den Lesenden Mut, weniger nach Perfektion zu streben – sondern die Zukunft aktiv zu erproben.
Es gibt diese Übung, bei der man 30 Minuten einfach schreiben soll, was einem in den Sinn kommt – ohne Punkt und Komma. Okay, nicht bestanden. Ich wollte das schon immer einmal machen, hatte aber nie die Zeit dafür, oder genauer gesagt den Mut dazu gefunden. Was da wohl rauskommt, wenn man es einfach aus sich heraussprudeln lässt? Ergibt das überhaupt Sinn? Und vor allem: möchte ich das Resultat anschliessend wirklich mit anderen teilen? Also habe ich mit mir selbst einen Deal gemacht: ich nehme diese Mutprobe an, aber unter meinen Bedingungen. Ich nutze den Text für diesen Blogbeitrag und setzte den Fokus auf mein Schwerpunktthema «Future Work». Am Schluss, nach Ablauf der Zeit, redigiere ich ihn sanft. Falls die Zeit mitten im Satz um ist, erlaube ich mir ein bisschen Nachschreibzeit.
Als Ort für die Übung habe ich ideale Rahmenbedingungen gewählt: Ich sitze im Deep Work Raum des Coworking Space «Wunderraum». Dunkle Farben, ein schlichter Holztisch, ein paar ansprechende Deko-Elemente wie Farbstifte und schöne Postkarten – alles ist auf Inspiration angelegt. Liebevoll gedacht, doch in Wirklichkeit schreit mich meine Umgebung förmlich an: «Nutze mich, mach was Grossartiges, wachse über dich hinaus!» Dann kann die Inspiration jetzt kommen, ich habe ja nicht ewig Zeit. In TED-Talks erzählen erfolgreiche Autoren und Autorinnen, wie sie vom Feld nach Hause rennen oder mit dem Auto zur Seite fahren mussten, um die Geschichten festzuhalten, die sich ihnen förmlich aufdrängten. Anfängerfehler: Eine E-Mail-Pop-up erscheint und schon ist meine Konzentration wieder weg.
Na gut, wenn die Inspiration mich nicht findet, gehe ich ihr ein Stück entgegen. Ich habe mir vor dem Experiment am Morgen beim Joggen überlegt, worüber ich denn gerne schreiben möchte. Wirklich nur so nebenbei, denn schliesslich musste ich ja achtsam die Natur wahrnehmen und meinen Fokus auf den Weg und nur den Weg richten. Darin bin ich richtig gut – meist erkenne ich sogar meine Nachbarn erst unmittelbar vor der Kollision. Blablabla … die Zeit fliesst dahin und es ist noch nichts Intelligentes entstanden.
Zurück zum Thema: ich habe mir vorgenommen darüber zu schreiben – es laufen Leute am Raum vorbei und mein Fokus läuft hinterher – dass wir im Zeitalter der Unsicherheit vor lauter Suche nach Orientierung das Naheliegende übersehen und dabei verlernt haben, auf unsere eigene Weisheit zu hören. Was heisst das konkret?
Ein Kaffee wäre jetzt auch nett, wird der rausgerechnet aus den 30 Minuten? Müsste eigentlich. Vielleicht hätte ich das Buch «konzentriert Arbeiten» von Cal Newport, das schön dekorativ rechts auf dem Tisch liegt, auch mal lesen und nicht nur herunterladen sollen. Aber genau das wollte ich doch kritisch hinterfragen: Ob es sinnvoll ist, dass wir permanent nach Ratschlägen, Inspiration, Fachwissen und Expertenmeinungen Ausschau halten, in der Hoffnung, Antworten auf Unsicherheiten zu finden. Wir lesen Beiträge wie «Was erfolgreiche CEOs anders machen …», «Eine AI-Strategie in 5 einfachen Schritten …» oder «Arbeit und Zusammenarbeit sinnvoll gestalten», doch letztendlich wird mit diesen Ratschlägen nur die Hilflosigkeit des Suchenden zementiert.
Sollten wir unsere Zeit nicht besser in die Lösung der konkreten Herausforderung investieren? Eine sehr flache Aussage. «Sei ja nicht neugierig, denn du weisst ja alles schon.» Super! Versuch’s nochmals, das ist wichtig. Auf den Podcast oder das Buch verzichten, bei denen wir erst am Schluss merken, dass wir unsere Zeit ergebnislos verschenkt haben. Boring, boring, boring. Ist ja schon gut, in der Übungsanleitung heisst es, dass jeder Gedanke wertvoll ist. Vielleicht hilft es ja, die Augen kurz zu schliessen? Nichts, nur Stille. Aber das ist ja eigentlich schon mal gut. Nur aus der Stille kann Neues entstehen. Klingt nach einem richtig schlechten Psychoratgeber. Löschen ist echt nicht erlaubt? Mir läuft die Zeit davon. Ich wollte darüber schreiben, dass wir uns aktuell vor lauter Unsicherheit an jedem Strohhalm festklammern. Dass die Aussenmikrophone maximal aufgedreht sind, während es im Innern nicht mal einfachste Sensoren gibt.
Ich würde mir wünschen, dass Organisationen und Menschen sich authentisch und mutig transformieren und dabei an ihrer DNA, ihren Stärken und ihren Ambitionen ausrichten. «Peng» – das war der Satz, den ich mir beim Joggen zurechtgelegt hatte. Was heisst das konkret? Dass wir uns darauf besinnen, wofür wir einst angetreten sind, welche Mehrwerte wir für welche Anspruchsgruppen schaffen wollen – heute und morgen. Oder etwas gehobener: Wie wir die drei Räume «now», «next» und «future», wie es das Zukunftsinstitut vorschlägt (oder einst McKinsey mit den drei Horizonten) bewusst gestalten können. Die Studien zeigen ein klares Bild. Wir verbringen über 90 Prozent der Zeit im «now»,also im permanenten Anpassungsstress, und halten uns stolz für eine resiliente Organisation. Wir zahlen dafür aber einen sehr hohen Preis: Uns fehlen Zukunftsperspektiven, die nicht nur Halt geben, sondern es auch ermöglichen, gezielt ins Morgen zu investieren.
Das ständige Nachdenken über die Zukunft bedeutet nicht, dass sich dafür einige Auserwählte ins stille Kämmerchen zurückziehen. Vielmehr ist es ein Prozess, an dem die ganze Organisation beteiligt ist, indem Menschen aus verschiedenen Bereichen und mit unterschiedlichem Hintergrund auf beschränkte Zeit zusammenkommen, um Probleme zu lösen und neuen Fragen nachzugehen. Genau das ist die vielzitierte und erhoffte interdisziplinäre Zusammenarbeit im Sinne einer Organisation, in der alle von- und miteinander anhand konkreter Aufgabestellungen lernen.
Das wäre mein Beitrag eigentlich schon. Viel zu banal. Diese Übung mache ich nie mehr. Wie soll denn etwas Intelligentes entstehen, wenn man keinen richtigen Plan hat. Vielleicht ist auch das Gegenteil der Fall und diese Fixiertheit auf Pläne steht uns im Weg? Vielleicht krankt genau daran die alte Arbeitswelt? Dass sie sich herausgeputzt hat für ein Leben, das sich strikt an Pläne hält. Bei der kleinsten Abweichung verlieren wir die Fassung und bewältigen sie aus dem Krisenmodus.
Noch fünf Minuten, um etwas Sinnvolles zu schreiben. Total realistisch. Und überhaupt habe ich mir gerade selber widersprochen. Weil ich jetzt auch einen dieser Strohhalme produziert habe und damit den Lesenden Zeit gestohlen habe, die Ihnen nun fehlt für die Reflexion und Arbeit an der eigenen Zukunft.
Ist es wirklich ein Widerspruch? Ich bin nicht angetreten, um etwas zu erklären oder aufzulösen, sondern einzig und alleine, um mich auf ein Experiment einzulassen mit der vagen Hoffnung, dass sich eine neue Tür öffnet. Jetzt keine schwülstigen Interpretationen. Ich habe mich meiner Aufgabe gestellt und bin einen Schritt weiter. Um das geht es, auch in der neuen Arbeitswelt. Die Zeit ist um.