Manche Unternehmen stellen Talente scheinbar nur ein, um sie nach kürzester Zeit wieder zu vertreiben. Stehen Sie Ihren Top-Performerinnen und -Performer, einmal an Land gezogen, auch unbekümmert bis gleichgültig gegenüber? Hier sind fünf Tipps aus der Praxis, mit denen Sie Ihre aufwendig rekrutierten Fachkräfte garantiert in Rekordzeit wieder loswerden.
Firmen suchen händeringend nach passenden Talenten, auf dem Arbeitsmarkt herrscht Dürre, der Fachkräftemangel frisst sich durch alle Branchen und selbst für die die attraktivsten Top-Brands ist Recruiting zurzeit eine Herausforderung. Und dann haben sie es endlich geschafft: Mit viel Rekrutierungsgeschick, Employer-Branding-Budget und professionellen Umgarnungstechniken überzeugen Unternehmen rare Talente davon, bei ihnen einzusteigen. Nur: Kaum haben sie die Talente gewonnen, vertreiben sie diese wieder.
Was genau ist es, das gute Angestellte oft schon in der Probezeit das Weite suchen lässt? Wir haben uns bei Kandidatinnen und Kandidaten nach ihren Erfahrungen umgehört. Hier sind unsere Top-«Empfehlungen» an Arbeitgebende, wie Sie ihre kostbarsten Talente garantiert in Rekordzeit in die Flucht schlagen.
Tipp 1: Versieben Sie den ersten Arbeitstag
Wenn Sie Talente möglichst schnell loswerden wollen, sollten Sie keine Zeit verlieren. Glänzen Sie als Vorgesetzte oder Vorgesetzter durch Abwesenheit (am ersten Arbeitstag oder in der ganzen ersten Arbeitswoche), übergeben Sie neue Arbeitsplätze unvollständig eingerichtet, schmuddelig oder mit dem unaufgeräumten Erbe der Vorgängerin oder des Vorgängers – oder tun Sie ganz einfach so, als wüssten Sie gar nicht, dass eine neue Person bei Ihnen anfängt. Einen nachhaltigen Eindruck hinterlassen Sie auch, wenn in der ersten Mittagspause alle Kolleginnen und Kollegen beschäftigt sind.
Eine unserer Kandidatinnen berichtet folgendermassen von ihrem misslungenen ersten Arbeitstag: «Mein Vorgesetzter war nicht anwesend, und die Empfangsmitarbeitende sagte mir, dass sie weder Zeit noch die notwendigen Informationen hätte, um mich zu begleiten. Auch von der IT oder HR sei niemand vor Ort.» Sie habe sich dann selber auf die Suche nach ihrem Arbeitsplatz gemacht, der weder angeschrieben noch eingerichtet war.
Eine andere kreative Art, schon am ersten Arbeitstag einen schlechten Eindruck zu hinterlassen, schildert diese Assistentin: «Ich trat meine Stelle ohne richtigen Arbeitsplatz an – ich sollte am Esstisch des Privathauses meines Chefs arbeiten, mit vier Kindern, einer Nanny und einem Hund. Auf meine scheue Intervention hin wurde mein ‹Arbeitsplatz› in die Eingangshalle des Hauses verlegt.»
Tipp 2: Vernachlässigen Sie die Einarbeitung
Haben Sie nicht schon im Stellenprofil betont, dass sich die oder der Neue zu helfen wissen soll? Voilà: Soll sie oder er sich auch gleich selbst einarbeiten. Und wenn wir «selbst» sagen, dann meinen wir auch «selbst»: Geben Sie Ihren neuen Leuten keine Informationen, nehmen Sie sich keine Zeit für die Einarbeitung und erwarten Sie stattdessen volle Leistung ab Tag eins.
Oder – alternativ – gestalten Sie die Einarbeitungszeit einfach so, wie es dieser Kandidat schildert: «Beim Start wurden mir zwei Vorgesetzte zugewiesen, jedoch weder ein Aufgaben- noch ein Jobprofil mitgeteilt. Die erste Zeit verbrachte ich am Schreibtisch sitzend und auf Aufträge wartend, bis ich dann auf meine Chefs zuging und standhaft auf Arbeit drängte.»
Tipp 3: Schaffen Sie eine unterirdische Firmenkultur
Mit einer Firmenkultur, in der sich niemand wohlfühlt, vertreiben Sie auch hartgesottene Talente – mit Sicherheit. Zu einer solchen Firmenkultur kann jede und jeder einzelne beitragen. Zum Beispiel mit Intrigen, dem Verdrehen von Aussagen und Tatsachen, Lästereien (gerne auch über die «Neuen»!) und Wichtigtuerei.
Chefinnen und Chefs nehmen eine besondere Rolle ein, wenn es um die Gestaltung der Firmenkultur geht. Wichtiger Führungsgrundsatz: Anstand ist überbewertet. Fairness, Feedback und Wertschätzung sind höchstens etwas für Softies und Gutmenschen. Als echte Führungskraft wissen Sie, dass Sie die einzige kompetente Person im Raum sind. Seien Sie selbstbewusst und zeigen Sie das, indem Sie keine abweichenden Meinungen akzeptieren, exzessives Mikromanagement betreiben und nie – NIE – einen Fehler eingestehen. Auf den Fehlern der Mitarbeitenden herumreiten ist aber selbstverständlich Ehrensache.
Wie gut das Vergraulen von Talenten mit den richtigen Führungs-Skills funktioniert, zeigt das Beispiel einer HR-Leiterin anschaulich: «Unmittelbar nach meinem Start hatte unser CEO einen Wutausbruch und beschimpfte Mitarbeitende mit den übelsten Worten. Am zweiten Tag reichte ich meine Kündigung ein.»
Tipp 4: Pflegen Sie eine miserable Arbeitsorganisation
Mit einer lausigen Arbeitsorganisation sorgen Sie dafür, dass jedes Projekt schief geht und Ihre Mitarbeitenden ganz schnell die Motivation und den Spass an der Arbeit verlieren. Verteilen Sie Verantwortung, aber verweigern Sie die Mittel. Sorgen Sie für chaotische Zustände, indem Sie aggressive Zeitpläne mit unrealistischen Milestones aufsetzen. Knausern Sie beim Budget und vernachlässigen Sie die Projektplanung. Ebenfalls wichtig: Hören Sie auf keinen Fall auf besorgte Stimmen mit faktischen Argumenten – es könnte Ihrer Reputation schaden oder Ihre Arbeitsabläufe verbessern.
Kleiner Benefit am Rande: Schlechte Arbeitsorganisation führt fast immer auch zu Überstunden. Gut so, denn 60 Stunden pro Woche sollten Ihre Leute schon arbeiten, selbst wenn das eigentlich gar nicht nötig wäre. Sorgen Sie dafür, dass dies alle Ihre Mitarbeitenden den neuen Kolleginnen und Kollegen auch so weitergeben.
Tipp 5: Vergessen Sie Ehrlichkeit
«Die Stelle war als dynamische und anspruchsvolle Vollzeitstelle ausgeschrieben – nach ein paar Wochen war die Einarbeitung durch, nach ein paar weiteren war der Laden aufgeräumt und ich arbeitslos.» Wer sagt, dass Arbeitgebende alle Fakten auf den Tisch legen müssen? Ohne die Verheimlichung von unangenehmen Tatsachen würde es gar nie gelingen, die Stelle zu besetzen! Anstehender Abgang des Vorgesetzten, geplanter Firmenverkauf, Reorganisation mit Stellenabbau … All diese Punkte sind auch dann noch aktuell genug, wenn der Arbeitsvertrag bereits unterschrieben ist.
Und bitte bloss keine Kleinlichkeit, wenn sich ein Stellenprofil ändert oder sich Versprechungen in Luft auflösen – nicht umsonst wurde im Inserat Flexibilität verlangt. Sie können zum Beispiel ruhig Homeoffice-Möglichkeiten anpreisen, die für sie gar nicht in Frage kommen, und dann so tun, als wüssten sie von nichts. Auch das Buzzword der Work-Life-Balance kommt immer gut an – Pech, wenn dann doch zu wenig Zeit bleibt, um zum Lunch den Arbeitsplatz zu verlassen.
Die Tipps sind selbstverständlich nicht ernst gemeint. Im Gegenteil: Employer Branding sollte unseres Erachtens nach der Anstellung erst richtig beginnen. Sie haben so viel investiert, um Fachkräfte und Leistungsträgerinnen und Leistungsträger von sich zu überzeugen und in Ihr Unternehmen zu holen. Wer nach dem Unterschreiben des Arbeitsvertrags allen Effort schleifen lässt, handelt fahrlässig, verschenkt Chancen, verbuttert Zeit und Geld und schadet der eigenen Reputation – denn schlechte Erfahrungen sprechen sich nicht nur auf Kununu herum.
Fazit: Machen Sie es besser – es ist keine Hexerei!
Zum Glück zeigen Gespräche mit von uns platzierten Kandidatinnen und Kandidaten, dass es auch anders geht: Da gibt es die Kandidatin, die berichtet, dass sich ihr Chef so oft bei ihr bedankt, dass sie sich manchmal fragt, ob sie das überhaupt verdient. Oder den Kandidaten, der sagt: «Bei meiner aktuellen Stelle arbeite ich mit unglaublich viel Freude und Sinnhaftigkeit – vor allem, weil ich mir meinen Arbeitstag selbst einrichten kann.» Glücklicherweise erzählen uns auch viele Kandidatinnen und Kandidaten begeistert von ihren hilfsbereiten und umgänglichen neuen Kolleginnen und Kollegen, vom Blumenstrauss auf dem Pult oder dem individualisierten Welcome-Banner auf dem Screen, einem hochkarätigen Einarbeitungsprogramm inklusive Workshop im Ausland oder den regelmässigen Feedback-Runden in der Zeit des Onboardings.
Solche positiven Beispiele zeigen auch, wie viel scheinbar «kleine» Dinge wie Wertschätzung, eine gute zwischenmenschliche Basis und eine sinnhafte Tätigkeit ausmachen. Es ist keine Hexerei! Und wem die Meisterleistung gelingt, hart umkämpfte Talente auf einem ausgetrockneten Markt für sich zu gewinnen, dem wird es doch wohl auch gelingen, diesen Talenten ein Umfeld zu bieten, in dem sie bleiben wollen. Oder?
Merci für Deinen Zuspruch, lieber Christoph – wie immer sehr geschätzt, denn sie stammen von einem Profi! Und das weiss ich zu schätzen!
Ich schliesse mich meinem «Vorschreiber» geradezu an. Ein Top-Beitrag! Dankeschön Sabine.
Zu oft werden nach der Vertragsunterzeichnnung die weitaus wesentlicheren Faktoren des Onboarding’s schlittern gelassen – ein hoher Preis auf dem aktuellen Markt.
Es freut mich, dass meine ironischen Beobachtungen Anklang bei Dir gefunden haben! Teilweise muss man schon den Kopf schütteln ob so viel Fahrlässigkeit… Ich bin ganz sicher, dass Du es «anders» machst!
Wie immer ein Volltreffer, der Schmunzelattacken provoziert. Wäre es nur nicht so nahe an der Realität – man könnte herzhaft lachen. Merci Sabine.
Herzliche Grüsse Christoph