Wo ist bloss der Anstand geblieben?

Inside HRMan muss beileibe nicht gleich den Knigge bemühen, um zum Schluss zu gelangen, dass heutzutage in der Chefetage einzelne verbale Ausrutscher oder emotionale Entgleisungen scheinbar salonfähig geworden sind. Beispiele unserer Kunden gefällig? «Solche Themen sind exakt auf jemanden wie Sie ausgerichtet – jung, blond und ungebildet.» Oder: «I talk – you listen.» Kein Wunder, machen sich die so Angesprochenen auf die Suche nach einer neuen Stelle. Einer Position, wo sie mit Respekt behandelt werden. Dies schliesst unbeherrschte, diktatorische und unberechenbare Vorgesetzte von vornherein explizit aus!

Ist es der rauere wirtschaftliche Wind, der einen rüderen Umgangston auf Managerebene vermeintlich rechtfertigt? Sind die von Quartalsabschlüssen getriebenen Manager die Schuldigen, die nur mehr kurzfristigen Unternehmenszielen verpflichtet und weniger auf Nachhaltigkeit bedacht sind? Oder gelangen zu oft selbstverliebte Karrieristen in die Chefetagen, die mit dem «Schnellzug durch die Kinderstube» respektive die Managementausbildung gefahren sind? Die Menge der Rückmeldungen und die eigenen Beobachtungen verleiten zur Feststellung, dass sich unter den führenden Managern, gelinde gesagt, eine grosse Anzahl anstrengender Persönlichkeiten befindet. Man könnte gar von narzisstisch veranlagten Menschen sprechen, deren Eigen- und Fremdwahrnehmung erheblich auseinanderklaffen.

Dies alles ist nicht neu – ebenso wenig wie der daraus resultierende Verlust einer authentischen Vorbildfunktion, das Schwinden der Arbeitsmoral und der unwiederbringliche Gesichtsverlust des unbeherrschten Vorgesetzten. Neu und erschreckend sind hingegen das Ausmass der grassierenden Unkultur und die dramatischen Folgen auf die Mitarbeitenden. Die einen reagieren mit Verunsicherung, die andern machen die Faust im Sack oder setzen auf den «Göschenen-Airolo-Effekt». Einige kündigen innerlich und diejenigen, die couragiert und unabhängig genug sind, werfen das Handtuch. So verlieren namhafte Firmen in Zeiten des Fachkräftemangels möglicherweise Talent um Talent, während der Verursacher bleibt und meist politisch so gut im Unternehmen positioniert ist, dass er trotz auffallender Fluktuation auch weiterhin auf die Unterstützung von oben zählen kann. Dabei wäre es möglicherweise effizienter, den Auslöser loszuwerden. Insofern ist dieser Beitrag auch ein Aufruf an alle Betroffenen, sich vor dem Schritt zur Kündigung gemeinsam für einen Kulturwandel einzusetzen.

Anstand ist ebenso gleichbedeutend mit gegenseitiger Wertschätzung, wie Unternehmenserfolg und Respekt Hand in Hand gehen. Gewisse Manager wären gut beraten, sich dies vermehrt vor Augen zu führen.

3 comments for “Wo ist bloss der Anstand geblieben?

  1. Titanium
    31. März 2016 um 15:43

    Aus eigener Erfahrung weiss ich, dass es für Führungskräfte mit ausgeprägten Kommunikationsfähigkeiten und Dominanz, gepaart mit geschäftlichem Erfolg und Akzeptanz bei der Kundschaft möglich ist, das Personal sehr eng und kontrolliert zu führen. Frische Ideen werden dadurch von Beginn weg abgewürgt und das Personal unter starken Druck gesetzt. Unter stark vorgehaltener Hand und mit dem Hinweis, ja nichts der Führungskraft zu sagen, ist es vielleicht dem Einen oder Anderen möglich, etwas vom diktatorischen Führungsstil mitzuteilen. Es ist enorm schwierig, überhaupt etwas vom betroffenen Personal zu hören, da die Angst, die an sich gute und interessante Stelle zu verlieren, sehr gross ist, insbesondere dann, wenn der Arbeitsmarkt nicht viele gleichwertige Stellen bietet und ähnlich qualifizierte Arbeitnehmer aus dem Ausland drängen.
    Glücklicherweise haben wir es schliesslich geschafft, die Führungskraft „loszuwerden“, aber es war ein gewaltiger Kraftakt und hat tiefe Spuren hinterlassen, welche erst jetzt, 2 Jahre später und einer weiteren, unbrauchbaren Führungsperson, jetzt mit einer neuen, vielversprechenden Führungspersönlichkeit langsam verheilen!
    Auch wir vom Verwaltungsrat mussten lernen und Fehler eingestehen! Wir sind nun überzeugt, auf dem richtigen Weg zu sein.

    • Sabine Biland-Weckherlin
      12. April 2016 um 9:29

      Lieber Titanium-Kommentator
      Ihre Gedanken in Reaktion auf meinen Blog stimmen mich optimistisch – mit Verzögerung danke ich Ihnen herzlich hierfür und die Teilhabe an Ihrer persönlichen Erfahrung mit problematischen Führungspersonen. Das Erstaunliche und gleichzeitig Erfreuliche an Ihrem Beispiel ist die Nähe Ihres Verwaltungsrates zum operativen Geschäft, die es offenbar zugelassen hat, den Missstand innerhalb der Firma zu erkennen. Viel zu oft ist leider der VR entweder viel zu weit weg von der Front oder über persönliche Seilschaften derart mit dem Management vernetzt und subjektiv verblendet, dass leider keinerlei Handlungsbedarf erkannt wird. Eine weitere problematische Entwicklung sehen wir dann, wenn ein Geschäftsleitungsmitglied in den Verwaltungsrat wechselt und dort seinen Einfluss weiterhin geltend macht, so dass Veränderungen gleich im Keim erstickt werden. Ich hoffe, dass es andere mutige Verwaltungsräte wie Sie gibt, die sich nicht scheuen, kritisch hinzuschauen und wenn nötig mutig zu handeln. Danke. Sabine Biland-Weckherlin

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