«Wer eine friedliche Revolution verhindert, macht eine gewaltsame Revolution unausweichlich»

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Christoph Jordi HR StrategieDas ist ein Zitat von John F. Kennedy, dem 35. Präsidenten der USA. Die meisten von uns, die in Leitungsfunktionen im HR sitzen, sind in einer Welt gross geworden, die nach Regeln tickte, die heute mehr und mehr ihre Berechtigung verlieren. Wir stehen mitten in einer stillen Revolution. Wir sind aufgewachsen mit Ausbildungsgängen, die man «abschliessen» konnte. Mit Stellen, die «besetzt» wurden. Talente wurden «gemanagt». Wer sich einigermassen anständig aufgeführt hat, der wurde «befördert». Wir «rekrutieren». Und wer brav seine Ziele erreicht hatte, bekam einen «Bonus». Unsere gängigen Grundregeln für Personalarbeit fallen gerade aus der Zeit. Hier ein paar Gedanken, die uns helfen, den Wandel zu verstehen.

Von der abgeschlossen zur unendlichen Weiterbildung

Lernen endet nicht mehr mit dem Abschluss einer formellen Ausbildung: Dynamische komplexe Marktumfelder erfordern einen neuen Blick auf das Lernen. Lernen wird zur Geisteshaltung und ersetzt die Jagd nach Abschlüssen. «Skillisation» beschreibt diese Verschiebung in Richtung einer lebendigen Könnenskultur: weg von der Idee einer «abschliessbaren» Ausbildung, hin zur kontinuierlichen Weiterentwicklung von fachlichen und sozialen Kompetenzen und Kenntnissen. Wer eingesandte CVs nach Ausbildungszertifikaten durchforstet, der sollte sich lieber an der Erfahrung des Kandidaten oder der Kandidatin orientieren: Wie gross ist die Erfahrung mit Wandel? Welche Lebensabschnitte deuten auf Lernwille, Fähigkeit sich auf neue Situationen einzustellen oder sich in neuen Situationen zurechtzufinden? Wie hoch schätzen wir die Fähigkeit ein mit neuen Menschen zu kooperieren? Die Lernfähigkeit und die Fähigkeit sich in neuen Umfeldern zurechtzufinden, ist oft nicht eine Frage der erfolgreich absolvierten Zertifikationslehrgänge.

Care statt War!

Talente wollen nicht nur gewonnen werden. Sie wollen auch nach dem Onboarding gefördert und umsorgt werden. Wer jetzt die Nase rümpft, soll sich kurz überlegen, was mehr kostet. Einen guten Mitarbeitenden, dessen Fähigkeiten man gut abschätzen kann, zu behalten oder einen neuen auf dem freien Markt zu suchen und einzuführen? Die Antwort ist klar. Das heisst, dass das gegen Innen gerichtete Employer Branding an Bedeutung gewinnt und eng mit der Gestaltung einer Unternehmenskultur verknüpft werden muss, die den Menschen statt den Profit ins Zentrum stellt. Wer jetzt schreit «Und wer soll denn hier das Geld verdienen?», muss weiterdenken. Glückliche Mitarbeitende leisten mehr, sind weniger krank, zeigen mehr Leidenschaft am Arbeitsplatz und bleiben länger im Unternehmen. Die Konsequenz? Richtig! Mehr Umsatz. Intergenerationelles Lernen wird wichtiger: die Weitergabe von Wissen, Kompetenzen und Erfahrungswerten ist relevant. So rücken auch ältere Mitarbeitende wieder in den Fokus der Talentpflege. Merke: Care heisst nicht mehr Lohn oder mehr Homeoffice. Care heisst ein Umfeld zu schaffen, das dem Mitarbeitenden erlaubt seine volle Leistungsfähigkeit zu entfalten.

Wachstum neu denken

Kritische Konsumenten und Konsumentinnen, wachsendes Verständnis für schädliche Unternehmensführung: Die Ethik des Unternehmens wird wichtig. Wenn die Chefs nur das Ziel haben, möglichst schnell möglichst viel Geld zu verdienen, dann führt das heute bei vielen Kundinnen und Kunden und Mitarbeitenden zu Unverständnis. Die Rolle, die das Unternehmen in der Gesellschaft einnimmt, wird wichtiger. Gewinnmaximierung und Shareholderkapitalismus sind kein Massstab mehr. Schon gar nicht, um junge Talente zu gewinnen. Wohin das führt, zeigen die jüngsten Ereignisse in der Bankenwelt. Mitarbeitende wollen nicht nur einen Job. Sie wollen sich mit der Arbeit identifizieren. Damit wird die Unternehmenskultur zum entscheidenden Erfolgsfaktor eines Unternehmens.

Felder statt Leitern

Auch dem herkömmlichen Karrieredenken geht es an den Kragen. Wenn es früher ein Ziel war, die Karriereleiter für mehr Lohn, mehr Privilegien und Macht möglichst schnell emporzuklettern, dann zählen heute andere Dinge. Lebensqualität, Wertschätzung und die Möglichkeit Erfahrungen zu sammeln. Spannende Karrieren entwickeln sich heute oft seitwärts. Wenn es früher eine Schmach war, als Chef sich wieder zurück ins Team zu begeben, dann werden solche Laufbahnentscheide heute bewundert. Erfahrungsfelder und horizontale Entwicklungsfelder zählen schon heute mehr als steile Karrieren, die oft genug in der Überforderung enden. Unsere herkömmlichen Karrieremodelle, die Art und Weise, wie wir immer noch Leistung beurteilen oder Funktionsstufen qualifizieren, braucht dringend eine Revision.

Begleitung statt Führung

Chefs werden gerade neu definiert. Der einst angesehe Posten steht auf dem Prüfstand. Die Konkurrenz kommt von ChatGPT und noch mehr von der schieren Marktdynamik. Die Halbwertzeit von Wissen reduziert sich gerade exponentiell. Der Chef hat sich früher dadurch ausgezeichnet, dass er die meisten Aufgaben in seinem Team am besten beherrscht hat – heute ist das schlicht nicht mehr möglich. Wer als Vorgesetzter oder Vorgesetzte Mitarbeitende anweisen, kontrollieren und korrigieren will, wer seine oder ihre Zeit damit verbringt die Pendenzen des Teams durchzugehen und wer seinen oder ihren Leuten hinterher rennt um deren Fehler auszubügeln – der oder die kann sich mal schon einen Termin für die Burnout Reha suchen. Die Frage lautet höchstens, wann die Buchung eingelöst werden muss. Wenn «Servant Leadership», «Leader als Coach» und ähnliche Buzzwords in den letzten Jahren noch dazu dienten, die Kolleginnen und Kollegen im HR zu beeindrucken, dann wird jetzt bitterer Ernst. Die Neudefinition der Führungsrolle im Unternehmen und damit verbunden das Redesign der Führungskräfteentwicklung wird zum Erfolgsfaktor.

Kästchen und Kreise

Und wenn wir noch die nächste Baustelle öffnen wollen, dann sicher die der Organisationsentwicklung. Traditionelle Organisationsstrukturen bringen Unternehmen immer mehr an den Ressourcenabgrund. Das Gärtchendenken in der Normalstruktur mit Abteilungen, Bereichen und Teams konkurriert mit einer immer grösser werdenden Anzahl von Projekten, die nebenher gestemmt werden müssen. Soziokratie, Holokratie oder kollegiale Führung bieten interessante Denkansätze, wie man die Konventionen durchbrechen kann und gleichzeitig die Liquidität der Erfahrung und des Wissens optimiert. Und das ist die Herausforderung jeder Geschäftsleitung: Wie kann ich die richtigen Ressourcen mit den richtigen Kenntnissen der Organisation möglichst flexibel zur Verfügung stellen? Das blöde dabei ist: Es gibt kein Erfolgsrezept. Unsere Erfahrungen zeigen, dass Holokratie eine brachiale Umstellung ist, die keine Organisation unbeschadet übersteht. Andere Formate sind nicht so brutal, aber auch da: Eine Organisation umzustellen ist kein Zuckerschlecken. Und manche Organisation wurstelt lieber in den bestehenden Denkmustern weiter, als sich mit Grundsatzfragen zu beschäftigen.

Fazit

Eigentlich ist die Revolution in vollem Gange. Wir sehen überall Signale und Zeichen. Alles ist noch recht friedlich, aber Marktzahlen, die Arbeitsmarktentwicklung oder die neue Generation der Arbeitskräfte sprechen eine andere Sprache. Irgendwann wird aus dem Dürfen und Können ein müssen. Mir gefällt auch die Symbolik der Welle, die man surft, versus der Welle, die einen überrollt. Halten Sie die Augen offen, spitzen Sie die Ohren und bringen Sie Ihre Organisation auf den Weg. Es ist noch nicht zu spät. Surfen Sie die Welle, bevor Sie überrollt werden.

4 comments for “«Wer eine friedliche Revolution verhindert, macht eine gewaltsame Revolution unausweichlich»

  1. Nadia Funk
    27. März 2024 um 6:51

    Was für ein treffender Einblick in die HR-Welt / -Organisationen. Danke Christoph.

  2. 21. März 2024 um 14:28

    Wie wahr. Aber es kostet ja was, in die Mitarbeiter zu investieren und Veränderung tut oft auch weh. Was ich oft auch beobachte, ist eine geringe Wertschätzung für das bereits Geleistete von seitens der Veränderer. Dabei gibt es ohne die Vergangenheit keine Zukunft. Oft wollen die Führungskräfte ja, wissen aber nicht wie. Mindset-Change führen hat halt was mit Menschen führen zu tun. Oft will Mann/Frau auch von einem Familienunternehmen oder Verwaltermindset direkt mal schnell agil werden. Man wird ja auch nicht vom Baby über Nacht mal schnell 30 Jahre alt… Darum hier so schön beschrieben; weg vom Managen zum Enablen. Diese Stufen und Kompetenzen lassen sich sehr wohl erklimmen. Allerdings müssen dazu „neue Methoden“ her. Die Neuropsychologie hat diese schon seit den 80igern im Peto. Vielleicht ist jetzt die Zeit reif?

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