Wenn wertschätzende Kommunikation als «aussergewöhnlich» gilt

Selina Frei Recruiting

Die Reaktionen von Bewerbenden auf ehrliche und zeitnahe Rückmeldungen werfen eine wichtige Frage auf: Wann wurde Wertschätzung im Bewerbungsprozess eigentlich zu einer Besonderheit? Gedanken aus dem Recruiting-Alltag.

Heute möchte ich über ein Thema aus meinem Recruiting-Alltag schreiben, das mich nachdenklich stimmt. Kürzlich durfte ich eine Teilzeitposition in Marketing und Kommunikation rekrutieren. Eine Stelle, auf welche bekanntlich sehr viele Bewerbungen eingehen. In diesem Fall waren es über einhundert innert weniger Tage. Es waren nicht nur viele, sondern auch viele gute. Wir hatten die Qual der Wahl und entschlossen uns, mit sechs Bewerbenden in eine erste Interviewrunde zu gehen. Den Bewerbenden, die für uns gar nicht in Frage kamen, sagte ich zeitnah ab. Es gab aber einige, die wir zwar nicht unter den ersten sechs eingeladen haben, die aber trotzdem ein spannendes Profil mitbringen und durchaus auch valabel waren. Diesen teilte ich transparent mit, dass wir ihr Profil spannend finden, aber zunächst mit anderen Bewerbenden in den Prozess starten. Vielleicht nicht die erfreulichste Nachricht, aber ehrlich und transparent. Auf diese kurzen Zwischenberichte erhalte ich regelmässig solche Antworten:

«Liebe Frau Frei,

vielen Dank für Ihr Zwischenfeedback – das ist wirklich nicht selbstverständlich und ich finde Ihre offene, wertschätzende Kommunikation grossartig.

Ich verstehe gut, dass sich durch die Herbstferien alles etwas zieht. Umso schöner, dass mein Dossier noch im Rennen ist – ein kleiner Funken Hoffnung bleibt also. 😊

Unabhängig vom Ausgang wollte ich Ihnen einfach sagen: Ihre Art macht den Bewerbungsprozess angenehm menschlich – das bleibt auf jeden Fall positiv in Erinnerung.

Freundliche Grüsse»

Solche E-Mails freuen mich jeweils sehr. Sie bestätigen, dass unsere sorgfältig formulierten Rückmeldungen wahrgenommen und wertgeschätzt werden. Gleichzeitig stimmen sie mich aber auch nachdenklich und werfen die Frage auf: «Wann ist es zur Besonderheit geworden, Menschen im Bewerbungsprozess wertschätzend zu behandeln?»

Heutzutage scheint eine freundliche, klare und zeitnahe Rückmeldung bereits als aussergewöhnliche Dienstleistung im Recruiting zu gelten. Und nicht nur das: offenbar gilt es schon als herausragend, dass man auf eine Bewerbung überhaupt eine Rückmeldung erhält. Das zeigen solche Reaktionen auf eine Standardabsage:

«Sehr geehrte Frau Frei

Vielen Dank für Ihre Nachricht und die Information zum Entscheid.

Auch wenn der Ausgang negativ ist, schätze ich die transparente und wertschätzende Kommunikation sehr, das ist nicht selbstverständlich.

Ich wünsche Ihnen bei der Besetzung dieser Stelle alles Gute.

Freundliche Grüsse»

Bei solchen Rückmeldungen denke ich mir oft: Kein Wunder, kommt es in sozialen Medien regelmässig zum «Bashing» gegenüber Recruitern und Rekrutierungsprozessen. Natürlich ist es für uns Recruiter eine Herausforderung, bei den vielen zu besetzenden Positionen und zahlreichen Bewerbungen allen gerecht zu werden. Die Ressourcen sind oftmals knapp und es gelingt leider nicht immer zeitnah zu antworten. Vor allem, da im Rekrutierungsprozess oftmals viele Personen involviert sind. Jedoch können wir mit Kleinigkeiten einen grossen Unterschied machen. Aus meiner Erfahrung nehme ich folgende Schlüsselerkenntnisse mit, die ich gerne teilen möchte:

1. Stärkung der Arbeitgebermarke durch wertschätzende Kommunikation

Wie wir mit Bewerbenden im Rekrutierungsprozess umgehen, definiert, wie unsere Arbeitgebermarke auf dem Markt wahrgenommen wird. Es lohnt sich, die eigene Kommunikation laufend zu hinterfragen und zu verbessern. Zeitnahe, transparente und wertschätzende Kommunikation schafft Vertrauen und positive Erlebnisse. Es lohnt sich zuerst hier zu starten, bevor man in Hochglanz-Employer-Branding-Kampagnen investiert.

2. Keine Antwort ist keine Option

Eine Antwort ist immer besser als keine, auch wenn es eine Standardantwort ist. «Ghosting» wird immer mehr zum Thema im Rekrutierungsprozess, von beiden Seiten: Unternehmen und Bewerbende. Dem können wir als Recruiter einfach entgegenwirken, indem wir regelmässig etwas von uns hören lassen. Die Ausrede, dass wir dafür keine Zeit haben, gilt nicht. Es ist nur ein kleiner Aufwand, den man mit jeder Rekrutierungs-Software mit wenigen Klicks erledigen kann.

3. Eine personalisierte Standardabsage ist kein Widerspruch

Wir sollten Standardabsagen personalisieren. Nicht für jede einzelne Person, die sich bewirbt. Mir ist bewusst, dass das nicht möglich ist. Aber: Absagen sollen so formuliert sein, dass sie zu uns und unserer Kultur passen und Wertschätzung zeigen. Ein kleines Beispiel: Wir weisen bei Absagen auf die Möglichkeit zur Registrierung für unser Job-Mail hin, so dass sich Bewerbende dort anmelden können. Nur weil es dieses Mal nicht geklappt hat, heisst nicht, dass es bei einer anderen Position nicht passt.

4. Rückfragen auf Absagen beantworten

Wir sollten uns Zeit nehmen, um Rückfragen zu beantworten. Für alle Recruiter ist klar, wir müssen mit Standardabsagen antworten, alles andere ist ressourcentechnisch gar nicht möglich. Wenn jedoch jemand nachfragt, was der konkrete Grund für die Absage ist, sind wir den Bewerbenden eine Antwort schuldig. Ja, es braucht ein bisschen Zeit, hat aber grosse Wirkung und zeigt Wertschätzung.

Es braucht nicht viel, um einen Unterschied zu machen. Bevor wir in teure Kampagnen investieren, können wir mit Kleinigkeiten bereits viel bewirken. Lasst uns gemeinsam gegen diesen negativen Trend wirken und zeitnah, transparent und wertschätzend kommunizieren. Das sollte die Regel und nicht die Ausnahme sein.

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