Sie sind schuld, wenn Mitarbeitende Überstunden bunkern, Firmeninternes ausplaudern, Bleistifte entwenden und Quittungen fälschen.
Schütteln Sie heftig den Kopf, wenn Sie das lesen? Dann möchte ich Ihnen gerne einen Einblick in eine Statistik der Universität Zürich geben, die mich zu dieser Aussage veranlasst.
Vor einigen Jahren wurde eine interessante Befragung mit mehr als 1400 Mitarbeitenden aus der deutsch-, französisch- und italienischsprachigen Schweiz zum Thema «eigenes Fehlverhalten» gemacht. Die befragten Mitarbeitende gaben offen zu, dass sie schon mal die Arbeit herausgezögert hätten, um Überstunden anzusammeln oder Firmeninternes ausgeplaudert hätten.
Mitarbeitende, die jedoch ihre Probleme ansprechen können, sammeln deutlich weniger Überstunden an, nehmen weniger Büromaterial mit nach Hause, plaudern nichts Vertrauliches über den Arbeitgeber aus oder weisen anderes «Fehlverhalten» auf. Und es gibt sie tatsächlich: Mitarbeitende, die Missstände am Arbeitsplatz ohne Angst vor Repressionen ansprechen.
STARS sprechen Klartext
Es sind die arbeitsmarktfähigen und leistungsstarken oder mit einem Blick auf das bekannte HR-Portfolio gesprochen: es sind besonders die STARS und WORKHORSES, die es unumwunden wagen Klartext zu sprechen.
Ich erinnere mich an ein Unternehmen in Winterthur, welches nicht nur eine hohe Fluktuation zu beklagen hatte, sondern auch überdurchschnittlich viele Kurzabsenzen. In der gleichen Periode verschwanden auffällig viel Toilettenpapier, Büromaterial und Kaffeebohnen. Die Unternehmensleitung nahm diese Anzeichen ernst und erhöhte als erstes das Mitspracherecht der Mitarbeitenden bei Firmenentscheiden. Ausserdem erhielt jeder der vier Abteilungsleitenden neun Monate lang einen Coach zur Seite gestellt, der Führung durch Vertrauen etablieren sollte.
Dadurch erkannte man: das bestehende Lohnsystem (variable Lohnanteile, die an persönliche Leistungen gebunden waren) nährte die Misstrauenskultur. Das Lohnmodell machte die Mitarbeitende mundtot und hielt sie davon ab Missstände oder Misstrauen anzusprechen. Denn ein zu tiefer Bonus wurde mit Fehlverhalten (zu viele Überstunden aufschreiben, Büromaterial entwenden, Quittungen fälschen etc..) und mit der «Faust im Sack» kompensiert. Teilweise ging dieses Verhalten mit einer inneren Kündigung oder Resignation einher. Das Unternehmen passte also auch noch das Lohnsystem an.
Der ganze Prozess dauerte zwar mehrere Jahre, lohnte sich aber: Heute stagniert die Fluktuationszahl und ist im Branchenvergleich sogar recht niedrig, die Kurzabsenzen wurden halbiert und es wurde ein Lohnsystem entwickelt, dass der neuen Vertrauenskultur zuträglich ist.
Was zu tun ist
HR-Aufgaben inkludieren moralische Fragen, denn Menschen arbeiten für Menschen. Fehlentscheide und Fehlverhalten von Personalverantwortlichen ziehen oft ein Fehlverhalten von Mitarbeitenden nach. Und wir (HR) wissen ja eigentlich, was zu tun ist: Eine der Arbeit angemessenen Honorierung, Karrieremöglichkeiten, die echte, wertschätzende, sichtbare Loyalität des Arbeitgebers gegenüber den Mitarbeitenden, Arbeitsplatzsicherheit, spannende, herausfordernde Arbeitsplatzinhalte und auch die Möglichkeit, Eigenverantwortung zu zeigen und übernehmen zu dürfen.
Die Voraussetzung für eine sinnstiftende, gewinnbringende und ausgeglichene «Beziehung» zwischen einem Arbeitgeber und einem Arbeitnehmer ist und bleibt das Vertrauen. Das ist weder durch digitalisierte Prozesse noch durch den Einsatz künstlicher Intelligenz, SAP gestützte Mitarbeitergesprächsformulare, Prozesslandschaften oder ellenlange Balance-Score-Cards zu erreichen. Viel mehr durch echte, wertschätzende, respektvolle und klare Dialoge, die echtes Vertrauen nähren.
Pflegen Sie schon eine Vertrauenskultur oder überlegen Sie noch, wie Sie das Kopierpapier diebstahlsicherer machen können?
Ich finde es bemerkenswert, wie wichtig eine offene Kommunikation am Arbeitsplatz ist. Die Statistik der Universität Zürich verdeutlicht, dass Mitarbeiter, die ihre Probleme ansprechen können, weniger Fehlverhalten zeigen. Es ist ermutigend zu sehen, dass es tatsächlich Mitarbeiter gibt, die Missstände ohne Angst vor Repressionen ansprechen. Das Beispiel des Unternehmens in Winterthur zeigt, dass eine vertrauensbasierte Führungskultur positive Auswirkungen auf die Mitarbeiterzufriedenheit und das Fehlverhalten haben kann.
LG, Karin