Um künftigen Anforderungen gerecht zu werden, wird sich früher oder später auch die Aus- und Weiterbildung in Unternehmen und Institutionen diesen Herausforderungen stellen müssen. Denn wir zahlen einen hohen Preis, um mit dem Tempo der Digitalisierung mithalten zu können.
Viele schätzen den technischen Fortschritt im Privatleben, doch nicht alle kommen mit den Konsequenzen im Arbeitsalltag klar. Während die Unternehmen sich stolz den Willen zu Veränderung und Innovation auf die Fahne schreiben, kämpfen viele Mitarbeitende im Stillen mit ihren persönlichen «Change Prozessen». Schaffe ich es noch mitzuhalten? Wird meine Arbeit mittelfristig noch gefragt sein?
Auf der sichtbaren Ebene ist tatsächlich alles im Wandel. Ein Blick auf das nicht Sichtbare aber zeigt: Die Bedürfnisse und Interessen von Unternehmen und Mitarbeitenden, haben sich in den letzten Jahrzehnten im Wesentlichen kaum verändert. Das Erreichen von Umsatz- und Gewinnmaximierung ist ebenso konstant, wie die Suche nach Wertschätzung, das Streben nach Sicherheit und dem Bedürfnis, eine sinnvolle Arbeit zu leisten.
Die Bildungslandschaft ihrerseits nimmt darauf wenig Rücksicht und hat sich der sichtbaren Ebene, also den Forderungen der Leistungsgesellschaft, verschrieben. Ohne Fachhochschule oder Studium bleiben die Türen für interessante Positionen meist verschlossen. Fachkompetenz in Form von Wissen ist gefragt, wo viele Situationen aus dem Alltag uns doch zeigen, dass jene die versagen, primär am fehlenden Können scheitern.
Nur Ansatzweise wird man dieser anderen, tieferen Schicht gerecht. Da wo es darum geht, die eigene Persönlichkeit zu stärken, Quellen der Wertschätzung bei sich selber zu erkennen, die individuelle Werthaltung zu definieren etc. Das Erarbeiten solcher Kompetenzen findet heute in vielen Unternehmen kaum Beachtung und wird vielfach als Weichspülangebot abgetan.
Wäre die Bereitschaft zu einem tieferen Verständnis – dem Interesse für den Menschen – vorhanden, könnte man die entsprechenden Chancen daraus nutzen. Denn gerade hier bietet sich die Möglichkeit, unter Mithilfe digitaler Lerninstrumente, Menschen auch im psychischen Bereich für die Zukunft fit zu machen. Es ist DIE Gelegenheit, Wege zu finden, welche den Ansprüchen des Unternehmens UND den Mitarbeitenden gerecht werden, also beide Ebenen miteinander zu verbinden.
Ein Beispiel: Ich glaube, Wissen wird künftig nicht mehr über Power-Point Folien und wortgewandte Referenten weitergereicht. Hilfsmittel zur Wissensanhäufung findet man zum Selbststudium mit einem Klick im Netz. Die Seminare und Weiterbildungsaktivitäten der Zukunft werden das eigene Erleben in den Mittelpunkt rücken. Persönliche Erfahrungen gilt es in selbstreflektierender Haltung zu erkennen, um daraus die entsprechenden Schlüsse zu ziehen und hilfreiche nächste Lernschritte in Angriff zu nehmen. Der frühere Coach wird zum Supervisor oder auch Mentor. Dabei stehen nicht seine intellektuellen Fähigkeiten im Vordergrund, sondern die Kunst dank seiner Lebenserfahrung anderen vielfältige Lösungsansätze zu bieten.
Im Wesentlichen geht es darum, durch konkrete Beispiele das eigene Verhalten zu reflektieren, sich dadurch zu einer konstruktiven Fehlerkultur zu bekennen, um Fehle(r)ndes in den persönlichen Erfahrungsschatz zu integrieren. Geht die Geschäftsleitung im Sinne der Vorbildfunktion einen solchen Weg, fliessen diese Erkenntnisse nach dem «top down»-Prinzip in die Unternehmenskultur mit ein.
Die digitalisierte Welt nimmt und gibt, aber verlangt auch viel. Unternehmen welche sich nicht nur mit dem oberflächlichen Blick (siehe Zitat) auf die formale Arbeitswelt begnügen werden erkennen, dass sich die Investition in persönlichkeitsbildende Massnahmen für alle Beteiligten lohnt. Verfolgt man diesen Gedankengang weiter, würde dies auch ein komplettes Umdenken in der Bildungslandschaft für Erwachsene voraussetzen. Nebst der Fleissarbeit für akademische Abschlüsse, stünde also das Einbringen und Reflektieren der eigenen Erfahrung im Vordergrund. Studierende müssten zum Beispiel den Nachweis erbringen, dass sie Wissen auch im praktischen Alltag in Können umwandeln können.
Vielleicht etwas zu utopisch gedacht, denn damit würde auch die Gefahr steigen, dass weniger Absolventen, CAS, Master und andere Studiengänge – wie bis anhin – zu beinahe 100% erfolgreich abschliessen…
Sehr spannende Ausführungen, die wir als Bildungsunternehmen gleich einschätzen und uns beschäftigen.
Herzlichen Dank für den spannenden Beitrag!
In der Tat, eine Meisterleistung auf Papier muss nicht die praktischen Fähigkeiten reflektieren. Allerdings können an dieser Stelle Bildungsstätten ansetzen, indem sie ihre Leistungsvorweise optimieren. Teils müssen Studenten ihr Wissen, welches sie in einem halben Jahr gesammelt haben, im Rahmen einer einstündigen Prüfung beweisen. Da lässt sich fragen, inwiefern dies repräsentativ ist für den Einfluss dieses Wissens auf die Praxis. Hier besteht meiner Meinung nach definitiv Verbesserungsbedarf.
Im Rahmen der Fehlerkultur ist es wichtig, seine Lehren aus den gemachten Fehlern zu ziehen. Dies trägt auch zur Persönlichkeitsentwicklung bei, indem die eigenen Fähigkeiten durch die Reflexion optimiert werden können. Fehler sollen nicht tabuisiert werden, besonders weil der Lernprozess dadurch gestärkt wird. Aber auch hierfür braucht es ein gewisses Feingefühl, um diese Einstellung in der Praxis zu etablieren.
Lieber Herr Mattmann
Absolut einverstanden. Es wird eine grosse Herausforderung sein, die Digitalisierung in die Ausbildung zu integrieren. Wissen fördern ja, Können fördern wird sie uns aber nicht abnehmen können. Und Sie sprechen es an, der Umgang mit Fehlerkultur und Selbstreflexion werden eine neue Gewichtung erhalten…
Liebe Grüsse
Markus Marthaler