Volle Batterien – nach einem Arbeitstag? Ja, das geht!

Blog Barbara Josef HR Today Future Work Lernen, Gestalten, Framen, Entkoppeln: Wie «regeneratives Arbeiten» die Idee von Arbeit als Energiefresser über den Haufen wirft.

Mein Seismograf für Themen, die aktuell die Arbeitswelt und die Menschen darin bewegen, sind Stifte. Sobald ich etwas anspreche, was für mein Gegenüber besonders wertvoll ist, senken sich die Stifte auf Papier. Wie schade, dass ich nicht auf diese festgehaltenen Gedanken zugreifen kann, denke ich mir manchmal. Momentan gibt es ein Thema, bei dem fast alle Stifte sofort magisch zu tanzen beginnen, oft begleitet von einem kurzen Aufleuchten in den Blicken. Es ist genau genommen nur eine banale Frage: «Wie muss ein Arbeitstag aussehen, an dem deine Batterien am Abend voller sind als am Morgen?»

Diese Frage überrascht deshalb viele, weil sie ein ungeschriebenes, für lange Zeit gültiges Gesetz – Arbeit ist ein Energiefresser – über den Haufen wirft. Historisch betrachtet war Arbeit ursprünglich der Gegensatz zu Freiheit und damit negativ besetzt. So lässt sich das Wort «Arbeit» in fast allen Sprachen zurückführen auf Begriffe wie Mühsal und Anstrengung bis hin zu Leid, Plage und Not. Erst während der Reformation erfuhr Arbeit langsam eine Aufwertung.

Auch wenn in entwickelten Volkswirtschaften wie der Schweiz Arbeit heute stark mit einem sinnhaften Leben und der persönlichen Entfaltung in Verbindung gebracht wird, so scheint sich der Glaubenssatz, dass Arbeit an unseren Kräften zehrt, uns müde macht und ermattet, hartnäckig zu halten. Das ist mit ein Grund, dass unsere Lösungsansätze für bessere Arbeit stark eingeschränkt sind und primär auf Arbeitszeitreduktion, Belastungsminderungen, Pausen und Stressvermeidung abzielen.

Auf den Schultern von Riesen

Ich habe mich in den letzten Wochen und Monaten intensiv mit dem noch relativ jungen Konzept des regenerativen Wirtschaftens auseinandergesetzt. Die Grundidee: «Der Umwelt, Gesellschaft und Wirtschaft mehr zurückzugeben, als man nimmt». Das Umdenken von «weniger Schaden anrichten» hin zu «aktiv positive Effekte erzielen» hat mich zur eingangs geschilderten Frage und zur Ableitung des Begriffs «regenerative Arbeit» inspiriert.

Ich bin überzeugt davon, dass wir auf andere Erkenntnisse kommen, wenn wir Arbeit nicht nur als Verursacher von Belastungen, sondern gleichermassen als Energiequelle sehen. Das ist nicht per se neu – seit den 1950er Jahren wird viel zur Frage, was Menschen antreibt, geforscht und publiziert. Wichtige Meilensteine sind etwa die in den 1970ern entwickelte Selbstbestimmungstheorie von Edward Deci und Richard Ryan, das aus den 1990er Jahren stammende «Flow»-Konzept des Glücksforschers Mihály Csíkszentmihály oder der Begriff «thriving at work», den die Management-Professorin Gretchen Spreitzer vor rund 20 Jahren geprägt hat.

Heute setzen sich Führungsausbildungen mit Themen wie Purpose, Sinnhaftigkeit, Energie, oder Emotionen auseinander und schenken ihnen beinahe so viel Beachtung, wie Kennzahlen zum wirtschaftlichen Erfolg von Unternehmen.

Trotz dieser starken Entwicklungen hin zu einer menschenzentrierten Arbeitswelt sind die jüngsten Zahlen zur Gesundheit der Erwerbstätigen so besorgniserregend wie noch nie.

Rund ein Drittel der Arbeitnehmenden fühlen sich mental erschöpft. Macht man sich auf die Suche nach den Ursachen, so kommt unter anderem zutage, dass viele Menschen Mühe haben, mit dem hohen Veränderungstempo Schritt zu halten, dass die Flut an Informationen und Reizen, die täglich auf sie einprasselt, lähmend wirkt, dass sie sich fremdgesteuert und teils sogar ohnmächtig fühlen.

Too big, too bad

Natürlich schauen verantwortungsbewusste Führungsgremien hier nicht tatenlos zu, sondern versuchen, diesen Herausforderungen aktiv zu begegnen. Doch häufig verfehlt der Rettungsring, den sie auswerfen – sei es der Purpose-Workshop, der Stärkenfinder-Test, das Seminar zur Burnout-Prävention oder die Weiterbildung zur Stärkung der individuellen Resilienz – sein Ziel, weil die am stärksten Betroffenen mit dem Schwimmen bei hohem Wellengang beschäftigt sind und sich nicht eigenverantwortlich mit der Lösung des Problems auseinandersetzen können.

Ich gelange immer mehr zur Erkenntnis, dass die Vorstellung, vom Grossen ins Kleine zu kommen – also quasi vom persönlichen Purpose, den individuellen Stärken, dem Bewusstsein für Selbstwirksamkeit hin zu einem gelungenen Arbeitsalltag – in der Realität nicht funktioniert. In meinen Augen müssen wir das Ausbrechen aus dem Kleinen stärker in den Fokus rücken und beim Arbeitsalltag beginnen, nicht bei den grossen Zielen.In Workshops fordere ich die Teilnehmenden mit der Übung «hack your workday» dazu auf, etwas Kleines im Arbeitsalltag zu verändern, mit dem Ziel, einen Energiefresser zu eliminieren oder einen Energiespender zu verstärken.

Während am Anfang häufig über Pausen, Abgrenzung und Fokus diskutiert wird, wendet sich die Diskussion mit der Zeit immer mehr den Lichtblicken der Arbeit zu, also Themen, welche die Teilnehmenden beflügeln und mit Energie versorgen. Und ja, diesen Momenten der Lebendigkeit ist bereits der Begründer der New-Work-Bewegung, Frithjof Bergmann, vor 40 Jahren in beeindruckender Weise nachgegangen (warum ich dennoch zur Weiterentwicklung unserer Vorstellung einer gelungenen Zukunft der Arbeit und zur Abkehr vom Konstrukt «new work» aufrufe, habe ich schon Anfang 2024 HR-Today-Blog unter dem Titel «R.I.P. New Work» beschrieben). Plötzlich wird klar, dass die Arbeit nicht per se etwas Schlechtes ist, sondern wir unsere Aufmerksamkeit auf die Frage lenken müssen, wie jede Person mehr Eigenverantwortung für das Wohlergehen von sich und anderen übernehmen kann.


Schritt für Schritt zu mehr Energie

Zurück zur eigentlichen Frage: Wie muss Arbeit gestaltet sein, dass sich unsere Batterien im Prozess nicht entladen, sondern aufladen? Meine Betriebsanleitung für regeneratives Arbeiten – work in progress! – beginnt so:

  • Lernen: Beobachte dich selber und versuche herauszufinden, wie du am besten durch den Arbeitsalltag kommst. Was macht dir Freude, was bremst dich aus? Welche Herangehensweisen helfen dir, Wirkung zu erzielen und dir selber Sorge zu tragen?

Eine Sales-Verantwortliche merkt, dass sie Calls in der Zeit zwischen Terminen besonders stressen, weil es die einzigen Pufferzeiten sind, also vermeidet sie dies zukünftig. Ein Callcenter-Teamlead merkt, dass er Mühe hat, Sitzungen zu moderieren und gleichzeitig gut auf alle Anliegen einzugehen, also einigt er sich mit dem Team, dass abwechselnd jemand die Moderation übernimmt.

  • Gestalten: Was kannst du bewusst beeinflussen oder gar gestalten? Wo liegen deine persönlichen Handlungs- und Freiräume? Die Forschung zeigt, dass Erholung nicht nur in Form von klassischen Pausen stattfindet, sondern auch wenn wir zwischen unterschiedlichen Belastungen variieren (zum Beispiel körperliche und geistige Arbeit, individuelle Arbeit und Teamaktivitäten oder Arbeit im Sitzen und im Stehen).

Eine Lehrperson merkt, dass es ihr gut tut, nach der Arbeit mit dem Velo nach Hause zu fahren und erst nach dieser Pause die Vorbereitungen für den nächsten Tag zu Hause in ihrer Lieblingsecke zu machen. Eine Lastwagenchauffeuse holt sich vor einer langen Fahrt ihren Lieblingskaffee und wählt einen Podcast zu ihrem Hobby für die Reise aus. Eine Lernende absolviert einen Online-Kurs zu Hause auf dem Hometrainer und hört so zum einen konzentriert zu und kann gleichzeitig eine Sporteinheit in den Alltag einbauen.

  • Framen: Wenn du die vermeintlichen Stressverursacher genauer betrachtest, was genau fordert dich besonders?

Eine CEO sieht in der Agenda, dass sie von 7 bis 22 Uhr eingespannt ist. Bei genauerer Betrachtung wird ihr aber bewusst, dass sie genau genommen nur vier Mal während etwa 30 Minuten vor Publikum sprechen und Höchstleistung erbringen muss und sich in der restlichen Zeit immer wieder kurz erholen kann.

  • Entkoppeln: Wie kannst du dich gezielt von Dingen abgrenzen, die nicht in deiner Macht stehen? Wie kannst du verhindern, dass dich Sachen demotivieren, auf die du keinen Einfluss hast?

Eine Mitarbeiterin im Kundendienst überlegt sich nach einem sehr unangenehmen Gespräch, welche Note sie sich für Ihre Leistung geben würde, wie sie sich verbessern könnte und was sie für sich gelernt hat. Danach legt sie den Fall gedanklich zur Seite und grenzt sich so von negativen Emotionen, die nichts mit ihr zu tun haben, ab.

Diese vier Ansatzpunkte können enorm viel bewirken, wenn man erst einmal den Perspektivenwechsel von «Arbeit raubt Energie» zu «Ich gestalte bewusst» vollzogen hat.


Sich und anderen Sorge tragen

Für mich persönlich fehlt aber noch ein Element, das mir sehr am Herzen liegt. Nämlich eine Antwort auf die Frage, was ich denn dazu beitragen kann, dass andere einen besseren Arbeitstag haben. Diese Antwort finden wir – wie so oft – indem wir uns weitere, andere Fragen stellen:

Wie kann ich jemanden auf seinem Weg bestärken?

Wo kann ich durch gute Kommunikation Unsicherheit beseitigen?

Wo kann ich jemandem entgegenkommen und Ängste reduzieren?

Wo kann ich den ersten Schritt machen und eine Hürde abbauen?

Wo macht es Sinn, aktiv zu unterstützen, auch wenn ich nicht um Hilfe gebeten wurde?

Wo gebe ich nach, weil es für den anderen wichtig ist?

Wie teile ich meine eigenen Ängste und Fehler und mache so anderen Mut?

Wie schaffe ich ein Klima, das von Authentizität, Freude und Neugierde gekennzeichnet ist?

Wie kann ich jemandem eine Freude bereiten?

Was kann ich dazu beitragen, dass jemand seine Arbeit mit Stolz und Freude macht?

Wie kann ich Menschen sichtbar machen, die sonst nicht auf der Bühne stehen?

Was schätze ich an einer Person und wie kann ich ihr dies am besten mitteilen?

Diese Liste ist nicht abschliessend. Im Grunde geht es mir um die Überzeugung, dass Motivation und Antrieb nicht ausschliesslich aus dem Innern, beziehungsweise der Führung kommen muss, sondern wir alle – sei dies als Arbeitskollegin, Kunde, Lieferant oder Nachbarin – eine enorme Macht haben, aus einem grauen Arbeitstag einen ganz besonderen zu machen.

Wenn uns diese Dinge gelingen – Eigenverantwortung für den eigenen Arbeitsalltag zu übernehmen und auf unsere Mitmenschen zu achten – investieren wir auch gezielt in unsere Zuversicht, dass wir nicht nur gesund, sondern vielleicht sogar um eine wertvolle Erfahrung reicher durch zukünftige Turbulenzen kommen.

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